Und wie wär's mit einem Schiff?

 Blick auf Marseille von Notre Dame de la Garde aus

Blick auf Marseille von Notre Dame de la Garde aus

Ein Boot! Das ist Marks neuester Einfall. Herr Spörrle macht uns darauf aufmerksam, dass wir seit zehn Tagen in Zügen unterwegs sind und dass man Barcelona auch auf dem Seeweg erreichen kann. Stimmt. Doch wer nimmt vier Typen wie uns (samt Küken?) mit?

Mit dieser wirren Idee im Kopf brechen wir auf zum alten Hafen. Was zunächst als Spaß gemeint war und als Stoff für unseren Videoblog dienen sollte, wird von der Besatzung einer Riesenyacht ernst genommen. Unsere Frage „Könnten wir mit dieser Yacht nach Barcelona fahren?“ versetzt sie in Begeisterung. Sie erklären uns, dass der Kapitän auf Mallorca wohnt und sich freuen würde, gen Westen zu fahren. Er – ein Vierzigjähriger mit dem fotogenen Gesicht eines südafrikanischen Seemannes –kommt zu uns an Land und nennt uns den Preis: zwölftausend Euro pro Tag plus Treibstoff und Besatzung. Ich denke an SuperSusannes Gesichtsausdruck, würde das Goethe-Institut die Rechnung erhalten, und lächle.

Fischerbötchen, riesige Katamarane, Segelschiffe, Regattayachten und Schlauchboote - nicht eines möchte uns mitnehmen. Halb so wild: Wir nehmen einen Touristenzug – ich weiß, das ist unsere fixe Idee - und erkunden das Quartier du Panier, das alte Fischerviertel, das saniert wurde. Mit uns im Zug fährt eine französische Kindergartenklasse. Die Kinder beobachten uns zwei ausländische Männer, die wir gefilmt werden, und finden uns anscheinend ziemlich besonders. Ganz unrecht haben sie nicht.

Marseille ist eine interessante Stadt. Weltweit bekannt für die französische Nationalhymne, ihre Seife, ihren Hafen und ihre traditionelle Kriminalität, erweist sich die Stadt als lebendig und temperamentvoll. Ich war schon letztes Jahr wegen einer Buchpräsentation hier, und die Stadt hat mir gut gefallen. Dieses Jahr bemerke ich, dass sie auch meinen Reisegefährten gefällt. Mark läuft mit seinem i-Phone herum und
fotografiert alles, was sich bewegt, Gianni freut sich, endlich ein wenig Meerwasser filmen zu dürfen und Soledad scheint bei dieser
Etappe besonders entschlossen, als Touristin unterwegs zu sein. Sie verlässt uns sogar für ein paar Stunden und wir nutzen die Gelegenheit, um nur gut über sie zu sprechen.

Im Hotel, in dem wir untergebracht sind – grandiose Sicht auf den alten Hafen, Empire-Betten, eine Dusche wie aus einer anderen Welt – können wir später auschecken. Wir nutzen die restlichen paar Stunden, um zu arbeiten, zu lesen und zu philosophieren. Ich hole mir französische, britische und amerikanische Zeitungen. Während Italien immer nur über einen Mann diskutiert – dreimal dürfen Sie raten, über wen – scheint in der Welt was voranzugehen. China macht sich Sorgen um die demokratischen Einflüsse, Russland beschäftigt der Machtkampf zwischen Putin und Medwedew, die Vereinigten Staaten diskutieren über die Gefährlichkeit eines weißhaarigen Osama, der sich Videos von sich anschaut, und Frankreich diskutiert über Kinder mit Migrationshintergrund (darunter auch das ungeborene Kind von Carla Bruni Sarkozy).

Das Taxi fährt uns im Zickzackkurs durch Multikulti-Fußgänger, denen die Ampeln ziemlich egal sind, zum Bahnhof. Das Küken tritt zum Appell an. Kofferwerfen vor den Augen philosophischer Polizisten. Zug nach Bordeaux, Abfahrt 16.12 Uhr, doch wir steigen schon in Montpellier aus: Die Reise verläuft reibungslos, abgesehen von Soledad, die ihren Sitz umarmt und dabei lacht. Nach einer Stunde setzen wir unsere Fahrt nach
Figueras fort. Um 22.45 Uhr sollen wir in Barcelona ankommen, der drittletzten Etappe unserer Fahrt. Gemäß den katalonischen Gepflogenheiten genau rechtzeitig zum Abendessen, lieber Mark.

(Deutsche Übersetzung: Soledad Ugolinelli)

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