Russland und die EU auf dem Weg zur Visafreiheit

Der Russische Präsident Dmitri Medwedew. Foto: ITAR-TASS

Der Russische Präsident Dmitri Medwedew. Foto: ITAR-TASS

Seit dem EU-Russland-Gipfel im Jahr 2003 drängt Russland auf das Ende der Visapflicht. Für Moskau ist die Abschaffung der Visapflicht nicht nur eine Prestigefrage, sondern auch Voraussetzung für seine Modernisierungspläne, um Investitionen und Schlüsselkräfte aus dem Ausland anzuziehen. Während Russland den Know-how-Transfer beflügeln wollte, verlangte die EU-Kommission vor allem weitere politische Reformen in Russland, beispielsweise bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit oder der Sicherheit ausländischer Investitionen und privatem Eigentum.

Nachdem sich der Präsident der Russischen Föderation Dmitri Medwedew, im vergangenen Jahr persönlich und vehement gegenüber der Europäischen Union für die Abschaffung der Visapflicht eingesetzt hat, scheint nun der Erfolg in greifbarer Nähe gerückt zu sein. Russische und europäische Diplomaten konnten sich endlich auf gemeinsame Schritte einigen, die zu einem Abkommen über die Aufhebung der Visapflicht führen sollen. Diese Schritte sind in einer "Liste gemeinsamer Schritte" festgehalten. Nach Abarbeitung der vereinbarten Vorbedingungen wollen beide Seiten zu einer gemeinsamen Unterzeichnung einer Vereinbarung über die Visafreiheit gelangen.

Die Diplomaten Russlands und der EU brauchten fast ein ganzes Jahr, um ihren Erklärungen, man müsse die Visafreiheit einführen, Taten folgen zu lassen. „Ich bin zufrieden, dass wir viele Gemeinsamkeiten gefunden haben“, sagte der Unterhändler der EU Stefano Manservisi, Leiter der Generaldirektion Inneres der Europäischen Kommission.Nach Aussage von Wladimir Woronkow, Leiter der Abteilung für europäische Zusammenarbeit des Außenministeriums der Russischen Föderation, muss die „Liste gemeinsamer Schritte“ nur noch redigiert werden, damit sie von beiden Seiten angenommen werden kann. Wie Woronkow bestätigt, hat die Europäische Union allen anderen Staaten einen Aktionsplan vorgelegt, während Moskau keine Auflagen erhielt.

Vier Abschnitte


Wie Manservisi mitteilte, umfasst die „Liste gemeinsamer Schritte“ vier Abschnitte. Der erste betrifft die Sicherheit der Dokumente, das heißt der Pässe und Personalausweise. Hier wird festgelegt, wie ein biometrischer Pass auszusehen hat und welche Informationen auf dem Chip gespeichert werden, welche Voraussetzungen die Lesegeräte an der Grenze erfüllen müssen, um die Informationen der Pässe zu erfassen, und wie mit Informationen über verlorene oder gestohlene Pässe umgegangen werden soll.

Im zweiten Abschnitt  geht es um den Kampf gegen die illegale Einwanderung. Hier wird auf die Notwendigkeit einer Grenzsicherung und eine gemeinsame Kontrolle des  grenzüberschreitenden Verkehrs hingewiesen. Im dritten Abschnitt geht es um die Koordination von Sicherheitsfragen.

Der vierte Abschnitt der "gemeinsamen Schritte" trägt die Überschrift „Internationale Beziehungen“ und fordert die Umsetzung einer diskriminationsfreien Politik, die den uneingeschränkten Anspruch auf Reisedokumente und die Schaffung von Voraussetzungen für die Reisefreiheit der russischen Staatsangehörigen umfasst. Dies zielt offenbar auf eine Vereinfachung der innerrussischen Meldepflicht, die von der EU kritisiert wird.

Die Arbeit an dem Dokument wird voraussichtlich schon in den nächsten Wochen abgeschlossen. Auf der am 19. Mai 2011 in St. Petersburg stattfindenden nächsten Sitzung des ständigen Partnerschaftsrats EU - Russland soll der Text paraphiert werden. Die endgültige Fassung der „Liste der gemeinsamen Schritte“ kann dann von den Repräsentanten der Europäischen Union und Russlands beim Gipfeltreffen in Nischni Nowgorod am 9. und 10. Juni 2011 unterzeichnet werden.

Nur 180 Tage im Jahr


Moskau und Brüssel sind damit in einer Reihe von Aspekten zu Absprachen über eine visafreie Einreise gekommen, die sich im Laufe der Verhandlungen kaum noch ändern werden. Unter anderem haben sie sich darauf geeinigt, dass das Abkommen zur Aufhebung der Visapflicht nur für Inhaber biometrischer Pässe gilt und dass die Dauer einer visafreien Reise 180 Tage im Jahr nicht überschreiten darf. Noch offen ist, welche Länder vom zukünftigen Abkommen profitieren werden, denn nicht alle Mitgliedsländer der EU gehören zur Schengen-Zone (Ausnahmen sind beispielsweise Rumänien, Bulgarien oder Zypern) und das Schengener Abkommen umfasst nicht nur Staaten der Europäischen Union (auch die Schweiz, Island oder Norwegen gehören zum Schengen-Raum). Moskau und Brüssel gehen aber heute davon aus, dass das Abkommen für das Gebiet der Russischen Föderation und die gesamte Schengen-Zone gilt.

Obwohl der jüngste Stand der russisch-europäischen Vereinbarungen einem Durchbruch gleichkommt, kann es bis zur endgültigen Ratifizierung des Abkommens noch Hindernisse geben. Die EU besteht darauf, dass die russischen Behörden die nach Brüsseler Ansicht diskriminierenden Einreiseregeln aufheben. Auf Kritik stößt nicht nur der Zwang, beim Übertritt der russischen Grenze eine Einreisekarte ausfüllen zu müssen, was die EU-Länder im Gegenzug nicht fordern, sondern auch die Notwendigkeit, sich am Ankunftsort in der Russischen Föderation behördlich melden zu müssen.

Kaum ist die Einigung mit der EU in Sicht, knöpft sich die Führung der Russischen Föderation schon das nächste Ziel vor: Beim Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden im März 2011 in Moskau sprachen sich sowohl Präsident Dmitri Medwedew als auch Premier Wladimir Putin für die Aufhebung der Visapflicht gegenüber den USA aus. Später versuchte zwar Michael McFaul, der Berater Obamas für russische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat, die Erklärung Putins zur Aufhebung der Visapflicht für die Einreise in die USA herunterzuspielen. Aber das Außenministerium der Russischen Föderation lässt keinen Zweifel daran, , dass die Aufhebung der Visapflicht mit großem Engagement weiterverfolgt wird.   

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung Kommersant.   

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