Rossio - einer der drei wichtigsten innerstädtischen Plätze in Lissabon
Ich will nicht langweilig werden, aber der Nachtzug, der uns vom Bahnhof Madrid Chamartin nach Lissabon bringt, war ein Stück der Reise von Moskau hierher wert. Weniger wegen seiner rosa-pastellfarbenen Plastikinnenausstattung, die heute schon fast wieder kultig wäre. Schon eher wegen der Dusche und Toilettenkabine in jedem Schlafabteil, die wir sofort filmen. Und dazu Soledad, die übersetzend und mit einem Handtuch um den Kopf aus der Dusche tritt.
Vor allem aber nehmen wir alle, nur nicht Soledad und das Küken, an diesem Abend schätzungsweise ein halbes Kilo zu. Denn wir aßen zuerst in Madrid zu Abend, in einer Tapas-Bar mit Fotos von Toreros, Stieren, Heiligen und röhrenden Hirschen an den Wänden und einem laufenden Fernseher, in dem ein Stier nach dem anderen niedergestreckt wurde. Und ein zweites Mal essen wir im Zug. Ich weiß nicht mehr, was alles, ich weiß nur noch, dass wir zum Abschluss Portwein trinken und Beppe erst kurz vor Lissabon mit erstauntem Blick aus seiner Schlafkabine stolpert.
Auf dem Bahnhof dann großer Bahnhof für uns, denn, richtig, hier endet unsere Reise: Ein Team der Zeitung Público, dazu Joachim Bernauer und Isabell Lopes vom Goethe-Institut. Völlig überraschend taucht auch Susanne auf, der wir alles verdanken, während sie uns gerade mal den Namen Über-Susanne verdankt (sie ist zu bescheiden, ihn anzunehmen). Ebenso überraschend überreichen wir Soledad die Rosen: 15 Stück, eine für jeden Tag ihres Martyriums mit uns.
Im wunderschön schattigen Garten des Hotels York House treffen wir Miguel Sousa Tavares, wohl den bekanntesten Journalisten Portugals, der auch Romanschriftsteller (»Am Äquator«) und Kinderbuchautor ist. Und ein absoluter Fan des Vereins FC Oporto. Wir sprechen allerdings vor allen über Berlusconi (immer für einen Witz gut), Westerwelle (nicht für einen Witz gut) und Guttenberg (einfach ein Witz!). Und natürlich über das Hilfspaket von 78 Milliarden Euro, das Portugals Regierung mit EU, IWF und EZB ausgehandelt hat. Die Portugiesen hätten begriffen, dass sie sparen müssten, sagt Tavares, aber die Zinsen seien zu hoch für das Land.
Durch die Stadt führt uns dann Catarina Pestana, Künstlerin und Designerin. (Ein Hinweis an unsere tschechische Übersetzerin: Hier ist sie, die Frau mit rotem Haar!). Aber zuerst überreicht sie jedem von uns eine Figur der Jungfrau Maria von Fátima, jenem berühmten heutigen Wallfahrtsort, an dem 1917 drei Hirtenkinder eine Marienerscheinung hatten. Und zwar am 13. Mai, also heute vor 94 Jahren; der Grund, weshalb der Taxifahrer, der uns mit halsbrecherischem Tempo durch Lissabons Verkehr jagt, dabei im Radio andächtig einen Gottesdienst hört. Wüsste er, dass die Fatimafiguren, die wir mit uns führen, Gimmicks sind, die je nach Wetterlage die Farbe wechseln, er würde uns sofort des verbeulten Wagens verweisen.
Ich habe andere Sorgen, denn Beppe hat wieder einmal eine seiner Ideen: Er möchte das Küken für unser Video in einem Boot auf den Fluss Tejo hinaustreiben lassen, gen Westen, die Richtung, in die die Seefahrer am Entdeckermal Padrão dos Descobrimentos schauen. Filmerisch eine interessante Idee, aber nicht mit meinem Küken! Das nicht einmal meins ist. Aber dazu morgen mehr.
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