Primaballerina, Parteimitglied oder provozierende Bloggerin?

Anastasia Wolotschkowa, ein Skandal ohne Ende.

Anastasia Wolotschkowa, ein Skandal ohne Ende.

Anastasia Wolotschkowa ist Verdiente Künstlerin Russlands und Volkskünstlerin der Republik Karatschajewo-Tscherkessien. Viele Jahre ist sie eine der größten Newsmaker in Russland: vom Partei Einstieg bis zum Chodorkowski Fall.

Jede ihrer zahlreichen Rollen - großartige Künstlerin, politisch Engagierte, Society-Prinzessin, Provokateurin, und, ja wirklich, dicklich gewordene Ballerina - spielt Anastasia Wolotschkowa, der einstige Stern des Bolschoi, großartig und vor großem Publikum. Man nehme zum Beispiel ihre Millionen Dollar teure Hochzeit mit dem Geschäftsmann Igor Wdowin. Schneeweiß gewandet und mit langer flatternder Schleppe schwebte die Wolotschkowa in einem Heißluftballon am Katharinenpalast in St. Petersburg vom Himmel herab.

Oder man betrachte ihre jüngste Verwandlung vom Liebling des Establishments zur Selfmade-Dissidentin, nachdem ein Nacktfoto die Partei des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin in Aufruhr versetzt hatte: »Heutzutage ist die Mitgliedschaft in Wladimir Putins Partei Einiges Russland wesentlich rufschädigender als Nacktfotos im Internet«, schreibt sie in ihrem Blog. Für sie sei der Rausschmiss aus der Partei ein Warnschuss gewesen, sagt sie. Jetzt gehört sie zu deren Kritikern.

Wolotschkowa, 34, ist wieder mal Stadtgespräch. Und sie spielt ihre bekannte Rolle als abservierte, empörte Diva, die kein Blatt vor den Mund nimmt. »Ich bin größer als Ihre Partei!«, sagt Wolotschkowa kürzlich in einem Interview, als spräche sie mit Putin persönlich. Die Partei Einiges Russland, in die sie 2003 mit großem Tamtam eintrat und über die sie jetzt spottet, lässt sich aber auch nicht aus Ruhe bringen: »Wir geben keinen Kommentar zum Wolotschkowa-Skandal ab«, wiegelt Inna Tschernawina ab, die Pressesprecherin von Einiges Russland.

Die Russen lieben Märchen, hierzulande die beliebteste Literaturgattung. Woran soll man denn sonst glauben, fragen sich die Russen. Und Wolotschkowa scheint in Russland die schöne, leibhaftige und den Sieg davon tragende Märchenprinzessin zu geben. In ihrem Buch "Geschichte einer russischen Ballerina" vergleicht die Wolotschkowa die Kapitel ihres Lebens mit den Handlungen der zwölf großen russischen Ballette, in denen sie aufgetreten ist. Natürlich triumphiert darin die Heldin stets aufs neue. An der Waganowa-Ballettakademie, einer der härtesten Ballettschulen der Welt, an der auch Vaslav Nijinsky und Rudolf Nurejew ihre Ausbildung erhielten, musste  Wolotschkowa als Teenager von ihren Lehrern hören, dass eine so grobknochige Elevin wie sie niemals auf großen Bühnen tanzen würde. Ihr blühe eine Provinzkarriere, so hieß es.

Ein paar Jahre später debütierte Wolotschkowa als Primaballerina des Mariinski-Theaters mit Schwanensee an der Metropolitan Opera in New York. Als eine, die die Kämpfe hinter den Kulissen aus langer Erfahrung kennt und "überlebt" hat, umringt von "Eifersucht und bösartigen Beleidigungen", bezeichnet Wolotschkowa den dramatischen Plot von Black Swan als "Peanuts" im Vergleich mit den üblichen Intrigen am Bolschoi-Ballett.

Nachdem sie in sechs großen Ballettaufführungen aufgetreten und über fünf Jahre um die Welt getourt war, ging ihre Bolschoi-Karriere 2003 auf peinlichste Weise zu Ende. Das Theater feuerte Wolotschkowa, nur ein Jahr, nachdem sie den hochangesehenen "Prix Benois de la Danse" ertanzt hatte, und riefen ihr ein nicht zu überhörendes ein "Nie mehr" hinterher. Die Geschäftsführer von Moskaus berühmtestem Theater äußerten sich in der Öffentlichkeit, Wolotschkowa sei eine "fette Ballerina" geworden, zu schwer, um jemals wieder auf der Bühne des Theaters zu stehen. Die Geschasste argwöhnte jedoch, dahinter stecke ein mächtiger, abgelegter Liebhaber, den sie jedoch nicht öffentlich nennen mochte. Als ihr das widerfuhr, habe sie unter den Marmorsäulen des Bolschoi sogar geweint, sagt sie. »Niemand war da, an den ich mich hätte anlehen können.«

}

Voller Bitterkeit erinnert sich die Ballerina noch an den Tag, an dem sie auf eine Waage steigen musste, die ein Journalist der New York Times zum Interview mitgebracht hatte, um eine "unabhängige Gewichtskontrolle" durchzuführen. Die Waage zeigte knapp 50 Kilo an, eigentlich ein ausgezeichnetes Gewicht für eine 1,68 Meter große Tänzerin. Aber das half ihr nicht wieder ins Bolschoi.

Nach diesem Skandal trat Wolotschkowa in die Partei Einiges Russland ein. Sie war eine von mehreren Prominenten, die die Partei angeworben hatte, um ihr Image aufzupolieren, das man bislang eher mit farblosen Bürokraten assoziiert hatte. Wolotschkowa behauptet, sie habe der Partei treu gedient. Ihr Konterfei zierte Werbematerial. Als Kulturbotschafterin begleitete sie Gouverneure aus den Regionen auf Reisen nach Westeuropa. Vor 6000 Parteifunktionären, Ölmagnaten, Chefs von Erdgasunternehmen und Investmentfonds führte sie im Kremlpalast, im größten Konzertsaal des Landes, ihre berühmte "42 fouettés en tournant" auf. Erst vor ein paar Monaten trat sie auf einer Tagung der Partei Einiges Russland auf, schwebte zwischen den Männern in schwarzen Anzügen und den Wodkaflaschen umher. »So lange ich mich mit ihrer Fahne in der Hand gedreht habe, waren sie alle meine Freunde«, sagt sie. »Aber jetzt sehen sie mich nicht mehr an.«

Was war passiert? Schon 2009 begann in ihrer Beziehung zur Partei etwas schiefzulaufen. Angebliche "formale Probleme" führten zur ihrem Ausschluss von der Kandidatenliste zur Bürgermeisterwahl in Sotschi, der Stadt, die 2014 Gastgeber der Olympischen Winterspiele ist. Einer der unifermen grauen Herren bekam den Job zugeschoben. Plötzlich, sagt sie, wurden auch ihre Soloauftritte abgesagt, weil sie offenbar mit ihrer politischen Impertinenz die Parteigrößen herausgefordert hatte.

Der endgültige Bruch kam aber erst vor einem Monat, als Wolotschkowa ein Foto, auf dem sie sich "oben ohne" zeigt, so bearbeitete, dass es aussah, als werfe ihr Präsident Medwedjew einen wollüstigen Blick zu. Und dann stellte sie das Foto auch noch ins Netz. »Mein Fotoshooting am Strand hat einen Sturm der Entrüstung in den Parteietagen ausgelöst. ›Wie ist das möglich! Ein Mitglied von Einiges Russland kann doch nicht ihre Brüste zeigen!‹, ereiferten sich die Parteifuzzis«, schreibt Wolotschkowa. »Auf einmal ist ihnen wieder eingefallen, dass ich Mitglied von Einiges Russland bin.«

Obwohl ranghohe Parteimitglieder ihren Ausschluss heruntergespielten, schlug Wolotschkowa zurück. Die Partei habe 2005 ohne ihr Wissen ihren Namen unter einen offenen Brief gesetzt, der sich für die Gefängnisstrafe von Michail Chodorkowski aussprach. Der frühere Ölmagnat, sagte sie kürzlich, sei aber »mehr Mann« als all diejenigen, die sie in Putins Partei sehe. Stehende Ovationen bekommt die Skandalnudel jetzt von Russlands angeschlagener Opposition.

»Anastasia Wolotschkowa hat die Aufmerksamkeit von Russlands prominenter Elite auf sich gezogen, indem sie eine anständige Haltung gezeigt hat. Ich bewundere ihre Entscheidung«, so Boris Nemzow, Oppositionsaktivist und Kremlgegner. Die eigene Partei zu kritisieren, sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, sagen hingegen Kritiker, und fügen hinzu, dass Bürgermeister und höhere Verwaltungsbeamte ihre Jobs schon wegen geringerer Vergehen verloren hätten. Wolotschkowa kokettiert damit, dass sie unter ihren Pelzmänteln und Seidenkleidern, die Bewunderer über die Jahre geschenkt hätten, "ein ziemlich dickes Fell" habe. 

Und obwohl es so aussieht, als sei sie beim Herrscher in Ungnade gefallen, scheint ihr Märchenleben noch nicht zu Ende zu sein. Neulich stellte nämlich die Ballerina ein Foto eines neuen Maybachs ins Netz, ein Superluxusschlitten im Wert von einer Million Dollar. Neugierige Journalisten fragen nun, woher sie die wohl genommen hat. »Woher, ja woher denn?«, schreibt sie in ihrem Blog. »Ich habe einfach zu Gott gebetet. Und Er hat mich erhört. Ich trat aus dem Haus, und siehe da: Da stand mein Goldstück einfach da.«

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!