Der Mord an der Journalistin Anastassija Baburowa und dem Anwalt Stanislaw Markelow rüttelte landesweit die Bürger auf. Sie gingen mit Antinationalistischen Parolen auf die Straße. Foto: AFP/East News
Er ist 30, sie 25. Ein junges Paar, das Händchen hält und lächelt. Das tun Nikita Tichonow und Jewgenija Chassis auch am letzten Prozesstag im Moskauer Stadtgericht, an dem in einem der aufsehenerregendsten Mordfälle der letzten Zeit nach nur zwei Monaten das Urteil verlesen wird.
Tichonow muss wegen zweifachen Mordes an dem Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastassija Baburowa lebenslänglich hinter Gitter, Chassis tritt wegen Beihilfe 18 Jahre Lagerhaft an. Für die Anklage sind sie Überzeugungstäter aus dem rechten Milieu, im Richterspruch heißt es, sie hätten aus Hass gehandelt, im Bewusstsein ihrer „eigenen Überlegenheit“. Tichonow und Chassis bestreiten jegliche Beteiligung an dem Verbrechen.
Markelow und Baburowa waren am Nachmittag des 19. Januars 2009 im Moskauer Zentrum erschossen worden. Nach Ansicht der Ermittler hatte Chassis die Opfer ausgespäht, bis sie den Gehweg betraten, dann gab sie Tichonow das Zeichen. Der streckte Markelow mit zwei Schüssen in den Hinterkopf nieder. Baburowa, die den Schützen offenbar aufhalten wollte, wurde ins Gesicht getroffen und erlag ihren schweren Verletzungen.
Stanislaw Markelow hatte wiederholt gegen einflussreiche Kreise in Russland prozessiert, unter anderem in der Teilrepublik Tschetschenien. Deshalb vermuteten die Medien und Menschenrechtsorganisationen einen Racheakt. Allerdings verfolgten die Behörden von Anfang an auch eine andere Spur: in den nationalistischen Untergrund. Denn 2006 hatte Markelow die Mutter eines ermordeten Antifaschisten vertreten. Auch Tichonow gehörte zu den Tatverdächtigen. Er war Herausgeber der Zeitschrift „Russische Form“, aus der sich später eine rechte Organisation entwickelte. Schon im Untergrund, lebte er vom illegalen Waffenhandel. Ein halbes Jahr lang observierte der Geheimdienst ihn und seine Lebensgefährtin Chassis. Im Oktober 2009 schlug er dann zu und verhaftete sie in ihrer gemeinsamen Wohnung, hier fand sich auch die Tatwaffe.
Rechtsradikale aus der Szene belasteten Tichonow schwer, Zeugen erkannten in ihm den Täter wieder. Tichonow gestand, behauptete jedoch später unter dem Einfluss seiner Anwälte, sein Geständnis sei erzwungen gewesen.
Die Motive für die Tat sind in der Radikalisierung der rechten Szene zu suchen. Zuletzt forderten ihre Vordenker einen Strategiewechsel: „Die Zeit der Pogrome ist vorbei, wir müssen nun gezielt wichtige Ziele angreifen“, heißt es in einem Pamphlet, an dem Tichonow mitgearbeitet hat. Er hat seine Forderung in grausame Tat umgesetzt.
Kommentar
Ljudmila Alexejewa, Menschenrechtlerin
Der Schuldspruch des Geschworenengerichts gegen die Mörder von Markelow und Baburowa hat exemplarischen Charakter. In Russland sind Verbrechen mit nationalistischem Hintergrund keine Seltenheit. Diese Morde stellen insofern eine Besonderheit dar, als die Tat auf einer slawophilen Ideologie gründete, die meisten Überfälle der Nationalisten dagegen rassistisch motiviert sind. Die Ermittler gingen professionell vor, und das Geschworenengericht schöpfte für die Mörder die ganze Strenge des Gesetzes aus.
Doch darf man nicht vergessen: Dies war kein politischer, sondern ein ideologischer Mord. Die Täter waren Auftraggeber und Ausführende in einer Person. Die meisten Übergriffe gegenüber Menschenrechtlern und Journalisten in Russland sind hingegen Auftragsmorde, die auf hoher politischer Ebene initiiert wurden. Sobald in einer Strafsache jedoch hochrangige Hintermänner figurieren, gerät das Verfahren ins Stocken. Russlands Gesetze werden bislang nur auf die Bürger, nicht auf die Mächtigen angewendet. Den Vertretern der Macht wird dieser Prozess deshalb keine Lehre sein.
Und doch hat sein Ausgang Positives bewirkt: Breite Schichten der Bevölkerung haben die Morde verurteilt, Bürgerrechtsorganisationen und Journalistenverbände entschieden protestiert. Eine solche aktive zivilgesellschaftliche Position zwingt auch die Hintermänner der Macht zu größerer Umsicht und Besonnenheit.
Ljudmila Alexejewa ist Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe und im Menschenrechtsrat von Präsident Medwedjew.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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