Copyright: Dmitri Divin
Als die EU 2007 Strauss-Kahn trotz aller Skepsis zum Vorsitzenden des Internationalen Währungsfonds ernannte, deutete viel darauf hin, dass der französische Sozialist der letzte Europäer auf diesem Posten sein würde. Mit der Gründung der Bretton-Woods-Institutionen im Jahr 1944 hatten sich die USA und Europa darauf verständigt, wichtige personale Schaltstellen untereinander aufzuteilen. Seitdem stellen die USA traditionell den Direktor der Weltbank, die EU den IWF-Chef. Doch heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, erscheint eine solche Aufteilung der Pfründe fraglich: China gewinnt rapide an Einfluss, und die Finanzkrise hat diesen Trend nur noch beschleunigt. Keiner wird freiwillig auf seine Privilegien verzichten, weshalb alle Diskussionen über eine Reformierung des IWF bloßes Gerede bleiben.
Die Affäre um Strauss-Kahn hat dazu beigetragen, die Position der Schwellenländer zu stärken. Die boomenden asiatischen Staaten sehen ihre Zeit gekommen und treffen bei den USA auf offene Ohren. Ein Beispiel ist der Kyoto-Prozess, bei dem Europa nur eine Nebenrolle spielt, oder die Doha-Runde der Welthandelsorganisation. Und sollten die USA auf den Vorstandsposten beim IWF verzichten, ist ihnen ein adäquater Ausgleich gewiss.
Europas politischer Einfluss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts basierte auf zwei Tatsachen: Zum einen hatte es eine Schlüsselposition in internationalen Institutionen wie dem IWF inne, zum anderen hatte seine Integrationspolitik Vorbildfunktion. Sie stand für eine wirtschaftlich erfolgreiche und ausgewogene Entwicklung. Beides verliert im Moment an Bedeutung.
Hinzu kommt: Lange Zeit war Europa eine der wichtigsten Säulen der Nato und hatte vom Diktum der UN profitiert, als „Führungskraft“ des Westens und später der ganzen Welt respektiert zu werden. Der euro-atlantische Raum ist nicht mehr Zentrum der Weltpolitik, und die Nato hat nach dem Scheitern der weltweiten Missionen an Einfluss verloren und wird offenbar zu regionalen Aufgaben zurückkehren. Auch ist mit dem Libyen-Einsatz deutlich geworden – die USA ließen Frankreich und seine Partner ihre Militäroperationen allein in Nordafrika durchführen, dass sie kein Interesse mehr daran haben, die europäischen Probleme auf eigene Kosten zu lösen. Die Libyen-Operation zeigte auch, dass die großen EU-Staaten selbst entscheiden, ob sie Krieg führen (Frankreich oder Großbritannien) oder auf Distanz gehen (Deutschland).
Zugleich ist das Image Europas deutlich schlechter geworden: Der Wohlstand beginnt zu bröckeln und die politische Korrektheit auch. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und politische Diskrepanzen führen zu einer tiefen Kluft zwischen den einzelnen Beitrittsländern, deren Koexistenz disharmonische Züge annimmt. Die Stimmung ist gekippt, und aus Sorge um ihre Zukunft kämpfen die EU-Bürger um den Status quo.
Sei es durch wirtschaftliche Konkurrenz oder den Einwanderungsdruck, seien es die gleichmachenden EU-Richtlinien, die kulturelle Identität verwischen: Rechtspopulisten gewinnen zunehmend an Einfluss. Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich das Image Europas in den nächsten Jahren neigen wird.
Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs.
Dieser Beitrag erschien bei RIA Novosti.
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