Studenten der Welt

20 Jahre Stillstand: viele Studenten haben keine Interesse an der Lehre.

20 Jahre Stillstand: viele Studenten haben keine Interesse an der Lehre.

Russische Universitäten sind wie die Bildungsinstitutionen anderer Länder auch bezüglich ihres wissenschaftlichen Rufs und ihrer Studenten mit immer größerer internationaler Konkurrenz konfrontiert. Während ausländische Universitäten sich zunehmend einer internationalen Philosophie verpflichten, hat sich das russische Universitätssystem in einer geschlossenen Umgebung nur langsam entwickelt. Einen Höhepunkt bildete im letzten Jahr die Liste der 200 besten Universitäten "Times Higher Education" [THE]: Keine einzige russische Universität war darin aufgeführt.

Russische Bildungsbeauftragte, darunter der Rektor der Staatlichen Universität Moskau (größte Universität Russlands), kritisieren die Rankingsysteme: sie seien mangelhaft und legten zu viel Wert auf bestimmte Kriterien, insbesondere die Verwendung von Englisch in Publikationen. Nichtsdestoweniger haben viele in Russland bemerkt, dass das System der höheren Bildung zu weit hinter die entsprechenden Institutionen nicht nur in Europa und den Vereinigten Staaten, sondern auch in Asien zurückzufallen kann.

Sogar das Zitieren ist in Russland ein Problem. Zwar verfügt Russland über einen nationalen Katalog wissenschaftlicher Forschung, ist der Russische Index wissenschaftlicher Texte (RIHC) nach Aussage nur schwer zu benutzen, und es fehlen viele wichtige Artikel in der Datenbank. Troitsky Variant, eine Zeitschrift für die wissenschaftliche Gemeinde in Russland, veröffentlichte mehrere Artikel von Wissenschaftlern, die dringend eine Überarbeitung des RIHC-Systems fordern. In seinem Artikel "RIHC mit den Augen des unerfahrenen Benutzers" schreibt Professor Sergej Golunow darüber, welchen Schwierigkeiten man bei der Suche nach seinen eigenen Artikel im System begegnet. Zudem stellt er fest, dass russische Artikel in ausländischen Zeitschriften unterrepräsentiert sind.

Doch das Zitieren sei nur ein Teil des Problems, und russische Universitäten hätten in vielen Punkten keine guten Leistungen vorzuweisen, so Soja Saizewa, Direktorin der Ratingagentur QS World University Ranking . Insgesamt gebe es international kein großes Interesse am Studium an russischen Universitäten, sagt sie, und oft wüssten die Studenten schlicht und einfach nicht von der Existenz der Universitäten, weil diese sich nicht effektiv vermarkten. Dennoch ist sie weiterhin optimistisch, was die Zukunftsaussichten betrifft. »Russische Universitäten brauchen meiner Meinung nach nur ein wenig Anregung, sie brauchen jemanden, der kommt und ihnen sagt ›Sie schaffen das‹, nicht nur auf ihrem eigenen Gebiet, sondern ganz allgemein, und dann glaube ich wirklich, dass es einen Schneeballeffekt geben könnte: Zuerst beginnt man, an internationalen Events teilzunehmen, man hält seine Vorträge und repräsentiert seine Universität, dann veröffentlicht man einen Artikel, den die Leute bemerken, und dann erinnern sie sich, dass sie den Namen des Autors schon einmal gehört haben.« 

Ein verschwundenes Reich

Während Russlands Hochschulen Schwierigkeiten hatten, mit den internationalen Forderungen mitzuhalten, mussten sie zugleich mitansehen, wie das progressive sowjetische Universitätssystem immer mehr ausgehöhlt wird. Igor Fedjukin, Direktor der Abteilung für Politikstudien an der New Economic School, stellte fest, dass abgesehen von einer neuen Regierungsinitiative zur Gründung mehrerer föderaler Universitäten das russische Bildungssystem unter einer langen Periode des steilen Abstiegs gelitten habe. »Es gibt im Moment zwar keine bestimmte Krise ‒ es gab nur einen Stillstand in den letzten 20 Jahren, und der besteht größtenteils weiter, obwohl die Regierung Maßnahmen ergriffen hat ‒ einige Universitäten wurden ausgewählt, die sich mit föderaler Unterstützung selbst reformieren sollten. Abgesehen davon war es ein ziemlich langer Prozess von Niedergang und Stagnation.«

Nabi Abdullajew, stellvertretender Herausgeber der Moscow Times, studierte zu Beginn der neunziger Jahre an der Staatlichen TU, arbeitete nach dem Examen als Journalist und Menschenrechtsaktivist im Nordkaukasus und studierte später an der Harvard Universität. Er diskutierte den plötzlichen Wandel, den der Wert seiner Ausbildung mit der Auflösung der Sowjetunion erfuhr. »Ich habe Bauingenieurwesen studiert. Angefangen habe ich 1990, zu dem Zeitpunkt war das eine ziemlich gute sowjetische Technische Universität. In meinen fünf Studienjahren dort ist die Qualität der Ausbildung allerdings rasch gesunken. Viele Professoren sind einfach gegangen, weil das Gehalt an den Unis wirklich sehr niedrig war, und haben sie sich für andere Berufe entschieden. Die besten Professoren haben für verschiedene Fabriken und Unternehmen gearbeitet und sind nach Moskau und St. Petersburg gezogen, und einige jüdische Professoren haben schlicht und einfach das Land verlassen.

Neue Hoffnung

In den letzten Jahren ist eine neue Initiative zur Gründung von Vorzeigeuniversitäten gesetzlich fixiert und stark subventioniert worden. Daher sind einige Experten vorsichtig optimistisch, was die Chancen für die neuen  Universitäten und ihren Stand im globalen Wettbewerb betrifft. Insgesamt wurden sieben neue Universitäten in ganz Russland gegründet, indem man zumeist mehrere kleinere, lokale Universitäten zusammenlegte. Ihr ausdrückliches Ziel ist es, Russlands Ansehen vor allem in den Naturwissenschaften zu heben und die internationale Zusammenarbeit in der Forschung zu fördern. Zwei der Universitäten, die Südliche Föderale Universität und die Sibirische Föderale Universität, wurden 2006 genehmigt und öffneten ihre Tore im darauffolgenden Jahr mit einem Budget von je drei Milliarden Rubel (74 Millionen Euro) für den Anfang. Fünf weitere föderale Universitäten in anderen Regionen wurden 2009 genehmigt.Das sei ein positiver Schritt und spiegele den internationalen Trend zur einer Hierarchisierung der Universitäten wider, sagt Fedjukin. »Wir werden ein paar Universitäten herausgreifen oder ein bestimmtes Auswahlverfahren ermöglichen, sei es ein natürliches oder ein staatliches, um einige Universitäten zu Vorzeigeinstitutionen zu machen, während andere einfach nicht international wettbewerbsfähig werden können.«

Dieser Artikel erschien zuerst auf russiaprofile.org.

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