Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Sowjetische Dissidentin und Menschenrechtlerin Jelena Bonner. Foto: ITAR-TASS

Sowjetische Dissidentin und Menschenrechtlerin Jelena Bonner. Foto: ITAR-TASS

Jelena Bonner, die Menschenrechtsaktivistin und Mitbegründerin der Moskauer Helsinki-Gruppe, der Menschenrechtsorganisation Memorial sowie Witwe des Wissenschaftlers und Regimekritikers Andrej Sacharow, verstarb am 18. Juni im Alter von 88 Jahren.

Jelena Bonner wurde am 15. Februar 1923 in Merw in der Turkestanischen ASSR geboren. Sie war Kinderärztin, Schriftstellerin, sowjetische Dissidentin und russische Politikerin. In den 1960er Jahren schloss sie sich einer Gruppe von Schriftstellern und Künstlern an, die die Freiheiten der nach-stalinistischen Ära nutzten. Besonders „auffällig“ wurde sie 1968, nachdem sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschiert waren. Andrej Sacharow begegnete sie 1970, 1972 heirateten die beiden. Die Ehe mit dem berühmten Dissidenten veränderte Bonners Leben. Sie gab ihren Beruf auf und widmete sich ganz dem Leben ihres Mannes. Als Köchin, Sekretärin, Managerin und Botschafterin in anderen Ländern diente sie ihm hingebungsvoll. „Sie tippte immer seine Artikel auf der Schreibmaschine, die er nicht bedienen konnte, und über den Inhalt hatten die beiden zuvor stets als Partner auf Augenhöhe diskutiert“, erinnert sich die Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe Ljudmila Alexejewna.

1975 vertrat sie ihn bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo und hielt die Nobelpreis-Rede in seinem Namen, weil ihm die russischen Behörden die Ausreise zur Entgegennahme des Preises verweigerten. Sie repräsentierte Sacharow bei Auftritten in Italien, Frankreich und den USA.1976 gehörte sie zu den ersten Unterzeichnern der Gründungsdokumente der Moskauer Helsinki-Gruppe, bis heute eine der führenden Menschenrechtsorganisationen in Russland.

Bonner zog 1980 von Moskau nach Gorkij (heute Nischnij Nowgorod), um Sacharow ins Exil zu begleiten. Sie war bis 1984 sein einziger Kontakt nach Moskau und ins Ausland. Doch dann wurde es Bonner ebenfalls verboten, Gorki zu verlassen, ein Gericht verurteilte sie sogar selbst wegen „antisowjetischer Propaganda“ zu einer mehrjährigen Verbannung, 1984 wurde sie selbst wegen Diffamierung des Sowjetsystems verurteilt.

Schon 1984 traten bei Bonner starke Herzbeschwerden auf. Um eine Herzoperation in den USA möglich zu machen, trat Sacharow dreimal in den Hungerstreik. Erst Ende 1985 wurde Bonner am Massachusetts General Hospital in Boston operiert. Die große Wende kam im 1986/87, als sie in die Sowjetunion zurückkehrte und Michail Gorbatschow die Verbannung der beiden aufhob. Sacharow und Bonner gehören zu den Gründungsmitgliedern der Menschenrechtsorganisation Memorial, einer weiteren führenden Menschenrechtsorganisation in Russlan.

„Als Andrej Sacharow 1989 verstarb, übertrug man einer Regierungskommission die Organisation seiner Beisetzungsfeierlichkeiten. Jewgenij Primakow, damaliges Mitglied der Kommission und späterer russischer Ministerpräsident, schlug vor, eine Abschiedszeremonie wie für hohe kommunistische Würdenträger in der Säulenhalle des Gewerkschaftshauses durchzuführen“, erinnert sich der Chef der Menschenrechtsbewegung Lew Ponomarjow. „Doch Jelena Bonner lehnte dies kategorisch ab. Sie wollte nicht, dass für Sacharow dieselbe Zeremonie abgehalten würde wie für frühere Hardliner der Kommunisten.“ Schließlich fand die Zeremonie im Palast der Jugend statt und wurde zu einem großen nationalen Ereignis.

Jelena Bonner setzte ihre Arbeit fort und konfrontierte die Regierung weiter mit lauten und unbequemen Fragen. Als Protest gegen den Tschetschenienkrieg trat sie 1994 aus der präsidialen Menschenrechtskommission Russlands aus und emigrierte kurze Zeit später für immer in die USA. „Vorrangig nicht aus politischen Beweggründen“, berichtet Ljudmila Alexejewna, „ denn sie litt immer noch am Herzen und wollte ihren Kindern nah sein, die zuvor nach Boston emigriert waren.“ Von Amerika aus blieb sie weiter aktiv, so gut sie konnte, und unterzeichnete offene Briefe und Erklärungen. Bemerkenswert ist vor allem eine Erklärung, die den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin zum Rücktritt auffordert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung Kommersant.

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