Zwischen Russland und der EU

Sergej Schilzow, Wiktor Mironenko und Wladimir Scharichin bei einer Life-Schaltung nach Kiew. Foto: Susanne Spahn

Sergej Schilzow, Wiktor Mironenko und Wladimir Scharichin bei einer Life-Schaltung nach Kiew. Foto: Susanne Spahn

Trotz der erklärten Blockfreiheit kooperiert die Ukraine mit der Nato. Auch mit der EU wird weiter über ein Assoziierungsabkommen verhandelt. Moskau ist von der Kiewer Führung um Präsident Wiktor Janukowitsch enttäuscht – denn sie galt als Russland-freundlich.

Russland beobachtet argwöhnisch die Zusammenarbeit der Ukraine mit der Nato. Ein besonderes Ärgernis ist das gemeinsame Manöver See-Breeze im Schwarzen Meer. Dabei nähert sich der Raketenkreuzer der Militärflotte der USA „Monterey" der Grenze der Russischen Föderation. Das Außenministerium Russlands verurteilt dies scharf als „Bedrohung der Sicherheit Russlands". Dieses Szenario einer Eiszeit zwischen Moskau und Kiew entstammt nicht der Zeit, als die Orangene Führung die Ukraine auf Westkurs bringen wollte. Es ist von Ende Juni 2011. In Kiew regiert der als Russland-freundlich geltende Präsident Wiktor Janukowitsch.

„Die Macht ist neu, die Handlungen sind die alten", konstatiert der stellvertretende Direktor des Instituts für GUS-Staaten, Wladimir Scharichin bei einer Diskussion in der Nachrichtenagentur RIA Nowosti in Moskau. Mit dem Amtsantritt Janukowitschs habe es große Hoffnungen auf Veränderungen gegeben - diese seien aber enttäuscht worden. „Früher hieß es: Wir gehen nach Europa, weil Russland schlecht ist." Jetzt heißt es: „Wir gehen nach Europa, weil Russland gut, aber Europa besser ist." Die Antworten seien dieselben, nur die Begründung eine andere, kritisiert Scharichin. Ebenso habe die neue Führung um Janukowitsch Russisch nicht als Staatssprache eingeführt. Der Integration mit den GUS-Nachbarn, insbesondere der Zollunion, bleibt Kiew weiter fern.

Die Weigerung der Ukraine, der Zollunion mit Russland, Kasachstan und Belarus beizutreten, ist ein weiteres aktuelles Ärgernis zwischen Moskau und Kiew. Die Ukraine möchte zwar nach dem Muster eines „3 plus 1" mit der Zollunion kooperieren, aber nicht beitreten. Denn das ist nicht mit ihrer Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation WTO zu vereinbaren. „3 plus 1", das versteht hier keiner, erläutert Scharichin die russische Position. „Die Ukraine muss sich entscheiden." Auch die Verhandlungen zur Schaffung einer Freihandelszone mit der Europäischen Union sind Moskau ein Dorn im Auge. Die Annäherung an die EU sei nur „günstig für die Sponsoren der Partei der Regionen", sagte Scharichin mit Blick auf die Großindustriellen der Ostukraine. Sie bilden die wirtschaftliche Machbasis Janukowitschs.

„Es gibt keine Fortschritte", stimmt Michail Pogrebinskij, Direktor des Kiewer Zentrums für politische Forschung und Konflikte, zu. Auch die Ukraine erwartet Taten von Russland, vor allem Investitionen. „Die Industriebetriebe stehen, seit einem Jahr passiert nichts", kritisiert Pogrebinskij. Am Beispiel von Belarus sehe die Ukraine, dass Russland trotz Mitgliedschaft in der Zollunion keine Hilfe in der Wirtschaftskrise biete: „Der große Bruder schaut dem Albtraum zu, aber helfen will er nicht." Die Forderung der russischen Regierung, die europäische Integration zurückzustellen, sei nicht akzeptabel. „Die Ukraine will Teil Europas werden."

Ein anderer ständiger Zankapfel sind die Gaspreise. Zwar bezieht die Ukraine seit April 2010 einen Nachlass von 30% - im Gegenzug hatte sie der Verlängerung der Pacht der Schwarzmeerflotte auf der Krim zustimmt. Aber im dritten Quartal 2011 steigen die Preise auf 350 USD pro 1.000 cbm Gas. Dies ist wirtschaftlich kaum tragbar, Kiew fordert deshalb weiteren Nachlass. Russland ist hingegen nur zu Zugeständnissen bereit, wenn die Ukraine der Zollunion beitritt. Gazprom fordert zudem eine Vereinigung mit dem ukrainischen nationalen Energiekonzern Naftogaz – und damit die Kontrolle über die ukrainischen Transitwege für Öl und Gas in den Westen. Auch hier steht die Ukraine zwischen Russland und der EU – denn auch Brüssel will die Pipelinenetze modernisieren.

„Russland und die EU führen einen Kampf um die Ukraine", sagt Sergej Schilzow, Leiter des GUS-Zentrums der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums. Die Erwartungen an Janukowitsch als pro-russischen Politiker seien überhöht gewesen. Moskau hat sich von den Illusionen verabschiedet und erwartet seinen Worten nach keinen schnellen Durchbruch mehr bei den Streitfragen. Aber die Mindestforderung lautet, „dass die Ukraine neutral bleibt und keine Annäherung an die EU forciert." Aus ukrainischer Sicht hingegen unternimmt Russland zu wenig, um Kiew eine Alternative zur EU zu bieten. „Nicht nur das Großkapital ist europäisch, auch die Eliten", sagt der Kiewer Politologe Pogrebinskij. „Für junge Leute ist es leichter ein Stipendium in Dublin zu bekommen als an der Moskauer Universität."

Susanne Spahn arbeitet in Moskau als freie Journalistin und ist Autorin des Buches „Staatliche Unabhängigkeit – das Ende der ostslawischen Gemeinschaft. Die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine und Belarus seit 1991".

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