FK Energija Woronesch (in roten Trikots) spielen gegen "Mordovochka" aus Saransk. Foto: Energija Homepage
Russinnen sind bekannter für ihre schwindelerregenden High Heels als für Fußballschuhe mit Nocken. Kristina Zdor aus der westrussischen Stadt Woronesch träumt trotzdem von einer Fußballkarriere und vom großen Geld. Ein Gegensatz, könnte man meinen, denn Frauenfußball gilt in Deutschland als wenig lukrativ. Doch in Russland ist das anders. Mit 3000 Euro monatlich würde das Einkommen der 18-Jährigen weit über dem russischen Durchschnitt von 500 Euro liegen. Ihre Karriere als Profikickerin bietet echte Aufstiegschancen für Kristina, die mit ihren Eltern und Geschwistern zwischen Plattenbauwohnung und Schule Nummer 74 das Leben eines russischen Durchschnittsbürgers fristet.
Der große Ansturm auf Frauenfußballvereine ist bisher ausgeblieben. Zdors Freundinnen gehen lieber in Cafés und zum Shoppen. In Russland spielen bei 143 Millionen Einwohnern etwa 30 000 Frauen und Mädchen Fußball. „Davon sind nur 2000 in Vereinen registriert“, beklagt Jekaterina Dmitriewa vom russischen Fußballverband. Zum Vergleich: In Deutschland kicken eine ganze Million Frauen zum Spaß und in Vereinen.
Nur gut 50 russische Fußballclubs stellen überhaupt Frauenmannschaften, eine systematische Jugendarbeit gibt es nicht. Während der Spiele vom FK Energija Woronesch sagt der Stadionsprecher immer wieder Telefonnummern von Jugendtrainern durch. Händeringend werden Nachwuchstalente gesucht und sollen sich bei ihnen melden. „Wir wollen künftig nach Altersgruppen gestaffelte Teams zusammenstellen“, sagt Swetlana Sajenko, Sprecherin von Energija Woronesch. In Deutschland ist das längst Standard.
Platz 20 in der FIFA-Rangliste
Unter diesen ungünstigen Bedingungen hat sich der russische Frauenfußball kaum weiterentwickelt. „Junge russische Talente wollen keine Erfahrungen im Ausland sammeln, weil sie dort weniger verdienen“, sagt Marina Burakowa, 250-fache russische National- und ehemalige Bundesligaspielerin. Umgekehrt kann es für ausländische Spielerinnen sehr lukrativ sein, bei einem russischen Club anzuheuern.
Zum Beispiel für die Deutsche Sabrina Esslinger. Die Zweitliga- und Jugendnationalspielerin hat bei Energija Woronesch für ein Jahresgehalt von 40 000 Euro plus Prämien gespielt und gute Erfahrungen gemacht: „Das Spiel der Russinnen ist körperbetonter, und es wird mehr Wert auf Fitness gelegt“, sagt sie. Auch Jahre nach ihrer Legionärszeit schwärmt sie von den Trainingsbedingungen bei Energija: vereinseigenes Internat, zweimal täglich professionelles Training, sehr gute Teamarbeit, um zehn Uhr abends Bettruhe.
Trotzdem steht Russland nur auf Platz 20 der Weltrangliste. „Die meisten deutschen Fußballspielerinnen gehen den ganzen Tag einer Arbeit nach und sind dann noch besser als unsere Profis“, klagt Marina Burakowa, die eine Saison als Innenverteidigerin in der Bundesliga und im DFB-Pokal beim FFC Flaesheim-Hillen gespielt hat. Russinnen hätten die falsche Einstellung zum Fußball, mutmaßt sie und zitiert den Dichter Fjodor Tjutschew: „Verstand wird Russland nie verstehn.“
Training ohne Plan
Ihrer Meinung nach liegt es an der russischen Mentalität, dass sich der Frauenfußball anders als in Deutschland entwickelt: „Den Spielerinnen fehlt es an logischer Denkweise und Taktik. Außerdem gehen junge Talente nicht konsequent und kontinuierlich ihrem Training nach.“ Was im deutschen Fußball schon bei der Kleinfeldstaffel in der Kreisliga verteilt wird, fehlt: ein simpler Trainingsplan. Meist erfahren die Spielerinnen, auch die der Profiliga, erst einen Tag vorher von der nächsten Trainingseinheit.
Nicht zuletzt seien auch Luftverschmutzung und schlechte Ernährung ein Problem, das die Entwicklung junger Sportlerinnen negativ beeinflusse. „Solange unsere Gesellschaft nicht umdenkt und mehr Wert auf Umweltschutz und Gesundheit legt, werden es junge Sporttalente im internationalen Vergleich immer schwer haben“, sagt Burakowa.
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In Sachen Gleichberechtigung geht Russland voran: Frauenvereine wie Energija Woronesch oder Zwezda 2005 Perm tragen ihre Ligaspiele selbstverständlich in den großen Stadien aus. In Deutschland ist ihnen ein solches Forum nicht vergönnt: Dort ist es unvorstellbar, dass etablierte Männervereine ihren Frauenmannschaften regelmäßig das Stadion überlassen.
Frauenfußball genieße in Russland dennoch kein besonders hohes Ansehen, sagt Michail Soldatow vom Profiverein Rjasan WDW. „Der persönliche Einsatz von einer Handvoll Powerfrauen sorgt dafür, dass es ihn überhaupt gibt“, sagt er. Wer in Russland als Mädchen oder Frau Fußball spielt, sei eine Exotin. Für eine günstigere Entwicklung bedürfe es mehr Förderung durch den russischen Fußballverband und den Staat, ist Soldatow überzeugt.
Der Verband teilt diese Meinung, verweist aber auf seine prekäre finanzielle Lage. Vorzeigevereine wie Rjasan WDW und Energija Woronesch werden großzügig von der jeweiligen Regionalregierung unterstützt, sorgen sie doch für das Ansehen ihrer Heimatregion, unbekanntere Clubs müssen kämpfen.
Ein großes Leistungsloch klafft zwischen Profiliga und Regionalligen. Und selbst in der Profiliga treffen manchmal allzu ungleiche Gegner aufeinander wie Ende Mai Rjasan WDW auf FK Energija. Die erste Halbzeit dehnte und dehnte sich, die Dominanz Energijas wurde immer unerträglicher. Nach einem Foul bekamen auch die Rjasanerinnen einmal den Ball. Ergebnis: 3:0 für Energija.
Lasst die Frauen kicken!
Es gibt wenige, dafür aber umso erfolgsverwöhntere Fans des FK Energija Woronesch. Mit Recht können sie auf die männlichen Kollegen der Stadt herabblicken: FK Fakel Woronesch dümpelt am Tabellenende der zweiten russischen Liga. „Die Frauen zeigen aggressiven und vor allem schönen Fußball“, erklärt der Gründer des Energija-Fanclubs „Crazy Energy“ Konstantin Kolpakow. Seine Mitglieder sind überwiegend männlich und nicht besonders zahlreich, zu Spielen im 35 000-Zuschauer-Stadion kommen in der Regel ein paar Hundert Besucher zusammen.
Auf den Schals der Energija-Fans ist nach fünf Meisterschaften und sieben Pokalsiegen kaum noch Platz. Manche Zuschauer in Woronesch wie Juri Gladyschew gehen nur aus einem Grund zu den Frauenspielen: „Die Angriffe sind langsamer, es fehlt ein wenig an Spannung, aber das Ergebnis stimmt.“ Darum heißt es in Woronesch, wenn die Männer von Fakel wieder einmal schlecht gespielt und verloren haben: „Lasst doch das nächste Mal Energija auflaufen!“
Heidi Beha ist Lektorin der Robert-Bosch-Stiftung in Woronesch. Zu Hause kickt sie für ihren Heimatclub SV Titisee.
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Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011:
09.07.2011 - 17.45 Uhr, Frauen-WM, Viertelfinale: England - Frankreich
09.07.2011 - 20.30 Uhr, Frauen-WM, Viertelfinale: Deutschland - Japan
10.07.2011 - 12.45 Uhr, Frauen-WM, Viertelfinale: Schweden - Australien
10.07.2011 - 17.15 Uhr, Frauen-WM, Viertelfinale: Brasilien - USA
13.07.2011 - 17.45 Uhr, Frauen-WM, 1. Halbfinale
13.07.2011 - 20.30 Uhr, Frauen-WM, 2. Halbfinale
16.07.2011 - 17.15 Uhr, Frauen-WM, Spiel um Platz 3
17.07.2011 - 20.30 Uhr, Frauen-WM, Finale
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