Gerichte pochen auf Meinungsfreiheit

Oleg Kashin. Foto: Kommersant-photo

Oleg Kashin. Foto: Kommersant-photo

Journalisten dürfen für ihre veröffentlichte Meinung nicht strafrechtlich belangt werden, während Politiker dazu verpflichtet sind, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen – immer mehr Gerichte in Russland berufen sich auf die Meinungsfreiheit.

Am 12. Juli wurde im Moskauer Bezirksgericht Sowjolowskij die Klage von Wassilij Jakemenko behandelt. Der Leiter der russischen Jugendagentur „Rossmolodjosch“ war in einem Beitrag des Online-Magazins „Gazeta.ru“ beschuldigt worden, an den tätlichen Übergriffen auf den Journalisten Oleg Kaschin beteiligt gewesen zu sein - daraufhin verklagte der Beamte die Zeitung wegen Verletzung seiner persönlichen Ehre und Würde und forderte einen Schadensersatz in Höhe von einer Million Rubel. In einem ähnlichen Verfahren ging Jakemenko bereits im Juni gegen einen Journalisten der Zeitung “Nowyje Iswestija” vor – und scheiterte.

 

In seinem Urteil berief sich das Gericht damals auf die Menschenrechtskonvention und die russische Verfassung, die das Recht auf Freiheit der Gedanken und Worte garantieren. Der Richter zitierte sogardie vom Ministerkomitee des Europarates am 12. Februar 2004 verabschiedete Erklärung zur politischen Redefreiheit in den Medien. Dieser Deklaration zufolge sind politische Akteure verpflichtet, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen, die Kritik an Beamten wiederum ist notwendig, um eine transparente und verantwortliche Wahrnehmung der Kompetenzen zu gewährleisten.


Anfänge einer neuen Entwicklung


“In letzter Zeit entscheiden die Gerichte immer häufiger für die Sache der Meinungsfreiheit”, bemerkt Kaschins Anwalt Ramil Achmetgalijew. So erachtete das Verfassungsgericht in einem Urteil die Kritik von Beamten an ihren Vorgesetzten für rechtmäßig, und der Oberste Gerichtshof übte in einem Beschluss seines Plenums zu Angelegenheiten der Extremismusbekämpfung öffentlich Kritik am “Schüren von Zwietracht“.

 

“Das sind Anfänge einer neuen Entwicklung in Russland, und die wird sich ihren Weg weiter bahnen”, bekräftigt Alexej Simonow, Präsident der Stiftung zur Verteidigung von Glasnost. Schon im Jahr 2005 forderte der Oberste Gerichtshof bei Verhandlungen ähnlicher Angelegenheiten, die Fakten von den Meinungen zu trennen. “Dabei definierte er jedoch nicht hinlänglich überzeugend den Begriff des öffentlichen Interesses”, erinnert der Experte. Daher verwandelten sich Klagen wegen Verletzung des Rechtes auf Ehre und Würde in Instrumente zur Unterdrückung der Massenmedien.


Dies spielte auch im Fall Jakamenko eine wichtige Rolle, da für das Gericht letztlich entscheidend war, dass der Journalist von “Nowyje Iswestija” seinen Artikel später als Meinungsbeitrag bezeichnet hatte. Dem Kläger Jakamenko blieb also nur der Weg über die Verletzung seines Rechts auf persönliche Ehre und Würde, womit er letztlich scheiterte. Alexej Simonow bleibt dennoch vorsichtig: “Ich würde trotz der positiven Anzeichen in der Rechtsprechung nicht voreilig von einer Trendwende sprechen.”

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitung "Wedomosti".

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