«Die Zukunft der Lokalpresse liegt in neuen Technologien." Foto:Popherald
"Rund 80 Prozent aller Regionalzeitungen sind staatlich", sagt Pawel Gussew zum Auftakt der Diskussion und gibt ihren Tenor an. Der Chefredakteur und alleiniger Besitzer von Moskowski Komsomolez, einer der größten und auflagenstärksten Zeitungen Russlands, zählt traurige Fakten auf: dass in Russland von über 74 000 Regionalzeitungen nur rund 100 finanziell unabhängig sind, dass der Rest staatlich subventioniert wird, dass es jährlich 20 Milliarden Euro kostet und dass die Lokalbehörden die Gunst der Redaktionen indirekt erkaufen, wenn direkter Einfluss nicht möglich ist – etwa durch Senkungen der Mietkosten. "Damit wird hinterlistig die missliche Lage der Redaktionen ausgenützt und die Loyalität der Redakteure erkauft", sagt Gussew.
Das Paradoxon: Die russischen Diskussionsteilnehmer sehen ein, dass staatliche Beteiligung an Medien zwar unzulässig ist, "ohne sie würden die Regionalzeitungen aber fast alle Pleite gehen", erklärt Gussew. Somit sei auch die mediale Beteiligung des Staates in Ordnung, jedoch sollte der Staat die Subventionen nicht selbst verteilen dürfen. Stattdessen müsste der ganze Etat über lokale Journalistenverbände oder überregional über die Gesellschaftliche Kammer verteilen, deren hochrangiges Mitglied Gussew als Vorsitzender des Ausschusses für Kommunikation, Informationspolitik und Pressefreiheit selbst ist.
Die Tragödie des russischen Zeitungsmarkts
"Der regionale Zeitungsmarkt entwickelt sich in Russland leider nach dem Boulevard-Szenario", sagt Galina Woronenkowa, Professorin und Leiterin des Freien Russisch-Deutschen Instituts für Publizistik in Moskau. Überlebensfähig seien nur Tabloide und Pendants der Bild-Zeitung. Auch hätten die russischen Zeitungsverleger aus ihrer sowjetischen Vergangenheit heraus noch nicht verinnerlicht, dass die Zeitung ein marktwirtschaftliches Produkt sei, das ausschließlich von den Verkaufs- und Anzeigenerlösen lebe - und nicht etwa von staatlichen Geldspritzen. Aber auch die Medienexpertin räumt ein: "Ohne Subventionen würden fast alle Regionalzeitungen Russlands schließen. Das ist die Tragödie des russischen Zeitungsmarktes".
Ein Rezept gegen diese Staatssucht haben die Kollegen nicht: "Ein nicht subventioniertes unabhängiges Medium in einer Kleinstadt wie beispielsweise Kostroma – das würde wirtschaftlich niemals funktionieren!", glaubt Alexej Wenediktow. Der Chefredakteur und Direktor des unabhängig-oppositionellen Moskauer Radiosenders Echo Moskwy malt damit ein weiteres Malheur auf, nämlich dass in den Regionen Russlands kein richtiger Anzeigenmarkt existiert. Das gerade entstehende Klein- und mittelständische Gewerbe wirbt nur ungern und selbst wenn, dann über die lokalen Radio- oder Fernsehsender, die ihr Programm größtenteils von den föderalen Sendern übernehmen und lediglich lokale Nachrichten sowie Werbung einspielen. Dabei sind die föderalen Sender so gut wie alle in staatlicher oder staatsnaher Hand: "Alle, ausnahmslos alle Fernsehsender Russlands sind staatlich kontrolliert", resümiert Gussew bestürzt.
Eine komplizierte Sache
Die Frage deutscher Kollegen, ob in Russland ein öffentlich-rechtliches System wie in Deutschland möglich wäre, bleibt bei der Diskussion unbeantwortet: Die Diskussionsteilnehmer stürzen sich in Polemik, ob die russische Gesellschaft für öffentlich-rechtliches Fernsehen überhaupt reif sei: "Wenn ein Russe eine Pay-TV-Antenne installiert, zapft die ganze Nachbarschaft sein Kabel an, aber nur er allein zahlt. Das ist normal in Russland", behauptet Wenediktow. "Der Staat würde niemals eine Fernsehsteuer berechnen, das würde die ohnehin unzufriedenen Bürger auf die Palme treiben", schätzt Gussew. Einen Konsens finden sie dabei nicht.
Beim Abschlussplenum des Petersburger Dialogs im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Dmitri Medwedjew hakt man auch beim russischen Staatschef nochmal nach. "Die Zukunft der Lokalpresse liegt in neuen Technologien. Medien, die sich nicht im Internet richtig aufstellen können, werden kaum überleben", prognostiziert Medwedjew. Das öffentlich-rechtliche System sei zwar eine gute, gleichzeitig aber auch eine komplizierte Sache: "Wenn wir öffentlich-rechtliches Fernsehen aufbauen wollen, wie soll es sich finanzieren? Es muss doch vom Staat wie von der Wirtschaft gleichermaßen unabhängig sein. Das ist die Hauptfrage, die wir bisher nicht beantworten können". Er jedoch stehe für alle Vorschläge offen. Beim nächsten Petersburger Dialog wird wohl wieder darüber diskutiert.
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