Gaddafi und die russischen Waffen

Der sowjetischer Kampfpanzer T-72. Foto: Reuters/Vostok

Der sowjetischer Kampfpanzer T-72. Foto: Reuters/Vostok

Aufgrund eines Erlasses des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew haben der libysche Machthaber Muammar al Gaddafi, sein Führungskreis und seine Verwandten Einreiseverbot in Russland. Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat vom 17. März über militärische Sanktionen gegen Tripolis hat sich Russland enthalten. Dennoch hatte das russische Staatsoberhaupt kurz zuvor Sanktionen gegen die libysche Regierung verhängt. Mit einem Dokument, das die Resolution Nr. 1970 des UN-Sicherheitsrats vom 26. Februar umsetzt, wird allen staatlichen Institutionen, Industrie-, Handels-, Finanz- und sonstigen Unternehmen bzw. Organisationen Russlands die Ausfuhr aller Arten von Waffen und damit verbundenen Materials nach Libyen untersagt.

Darüber hinaus verbot der Präsident alle Dienstleistungen, die der Anleitung des militärischen Personals Libyens dienen, sowie jede technische, finanzielle oder andere Hilfestellung für Libyen, die für kriegerische Zwecke oder den Einsatz von Waffen genutzt werden kann. Die Zollbeamten der See- und Flughäfen sind angewiesen, alle Güter, die nach Libyen gehen und aus Libyen kommen, einer gründlichen Durchsuchung zu unterziehen und unter das Verbot fallende Güter umgehend zu beschlagnahmen.

Wie Experten behaupten, bedeuten diese strikten Einschränkungen der Lieferung russischer Rüstungsgüter an das Gaddafi-Regime für die betroffenen Rüstungsbetriebe einen Verlust von 1,8 Milliarden US-Dollar und können einen Einnahmeausfall von bis zu 4 Milliarden zur Folge haben. Zwar hält Anatoli Issaikin, der Leiter der staatlichen Waffenexportfirma Rossoboronexport, es für verfrüht, den Schaden zu beziffern. Russland hat noch keine Vorauszahlung für die Lieferung von Rüstungsgütern an Tripolis erhalten,  die Ausführung der Verträge ist noch nicht angelaufen und solange der Ausgang des libyschen Kampfes unklar ist, ist es verfrüht, von einem Gewinnausfall auszugehen. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue Regierung, egal, welcher Couleur sie sein wird, die abgeschlossenen Vereinbarungen übernehmen wird. Jede Regierung braucht für die Ausrüstung ihrer Armee und die Ordnungskräfte moderne Waffen und Kampfmittel, deren Kauf sich nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis richtet.

Und nach diesen Kriterien ist die russische Rüstungsproduktion speziell in den Ländern Nordafrikas durchaus konkurrenzfähig. Umso mehr als Russland - im Gegensatz zu anderen Staaten - den Export seiner Rüstungsgüter nicht von dem politischen System in dem Importland abhängig macht.

Nach den Angaben der Übersicht „The Military Balance“ des Londoner Internationalen Instituts für strategische Forschungen (IISS) hat Libyen heute ca. 2.000 Panzer vom Typ T-72, T-62 und T-55, die noch aus der Sowjetzeit stammen. Darunter allerdings nur 200 relativ moderne vom Typ T-72. Nicht mehr als 450 großkalibrige Artilleriegeschütze russischer und westlicher Provenienz: 122-mm-, 152-mm- und 155-mm-Feldhaubitzen. Es gibt Mehrfachraketenwerfer vom Typ „Grad“. 770 Militärfahrzeuge und Panzer sowjetischer und westlicher Provenienz vom Typ M-113 und BTR-60. An Luftabwehrsystemen verfügt Libyen über Fliegerabwehrkanonen Selbstfahrlafetten vom Typ ZSU 23-4 „SCHILKA“ sowie über Flugabwehrraketensysteme vom Typ „OSSA“, „KUB“ und „DWINA“. Aber die Hauptstoßkraft des Regimes liegt in den Jagd- und Angriffsfliegern in Gestalt von französischen Flugzeugen vom Typ Mirage und sowjetischen Flugzeugen vom Typ MIG 25, 23, 21 und SU 24, sowie in den Sturmhubschraubern in Gestalt von amerikanischen CH-47 Chinook, russischen Mi-17 und Mi-8. Von dieser technischen Ausrüstung macht Gaddafi bei seinen Schlägen gegen die bewaffnete Opposition Gebrauch, wobei die westlichen Staaten übrigens entgegen den Sanktionen des UN-Sicherheitsrats die bewaffnete Opposition mit Waffen und Kriegsausrüstung versorgen. Man ist im Westen der Meinung, dass das Embargo der Resolution Nr. 1970 sich nur auf die gegenwärtige Regierung, nicht aber auf die Opposition bezieht.

Experten gehen davon aus, selbst wenn die Oppositionellen in Tripolis an die Macht kommen und antirussisch eingestellt sind, werden sie kaum in einem Zug ihre ganze Rüstung auf den westlichen Zuschnitt umstellen können, dazu reichen die Geldmittel einfach nicht. Das heißt, es werden Reparaturen nötig sein, Lieferungen von Ersatz- bzw. Zusatzteilen und Modernisierungen. Sie werden sich also an Moskau wenden müssen, eine aussichtsreiche Quelle von Einkünften für die russischen Rüstungsbetriebe.

Auf dem Treffen der Verteidigungsminister der NATO-Länder und dem EU-Außenministertreffen in Brüssel wurden militärische und wirtschaftliche Maßnahmen der westlichen Länder gegen das Gaddafi-Regime vereinbart. Obwohl eine Bodenoperation und die Landung von Marine- und Lufttruppen an der afrikanischen Nordküste bisher nicht geplant sind, ist die Flugverbotszone über Libyen bereits Realität.

Das Bestreben, die Bomber von Oberst Gaddafi an den Boden zu fesseln, ist eine unmittelbare Hilfe für die oppositionellen Kräfte, die große Mühe haben, die eroberten Stellungen an den Ölfabriken und den Ölhäfen Bengasi und Al-Bayda zu halten. Der Chef des Pentagons Robert Gates mutmaßt allerdings, dass die Umsetzung dieser Maßnahmen in der Praxis keineswegs einfach sein wird; man muss dazu die Luftabwehr Libyens ausschalten und ihre Stellungen treffen. Das kann sich leicht zu einem regelrechten Krieg auswachsen.

Die Befürchtungen der USA und der NATO sind verständlich. Sie sind im Irak und in Afghanistan ohnehin in Kriege verwickelt und können einen weiteren militärischen Konflikt, der neue Kriegsverluste an Menschen und Technik bringen kann, nicht brauchen. Es ist bereits eine ständige Einrichtung, dass an der nordafrikanischen Küste Kampfschiffe der NATO und ihres Partners USA die Mittelmeeroperation „Active Endeavor“ durchführen und alle ein- und auslaufenden Schiffe kontrollieren.

Ob das den Sturz des Regimes fördert, ob die von Moskau unterstützten Sanktionen gegen die Regierung Libyens Wirkung zeigen, wird sich in naher Zukunft

Wiktor Litowkin ist militärischeKommentator bei RIA Novosti. 

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