Bricht USA zusammen, bebt die Welt

Amerikaner protestieren verkleidetet gegen eine höhere Staatsverschuldung. Foto: Reuters/Vostock photo

Amerikaner protestieren verkleidetet gegen eine höhere Staatsverschuldung. Foto: Reuters/Vostock photo

Trotz aller Bemühungen haben Barack Obama und der republikanisch dominierte amerikanische Kongress noch immer kein Einvernehmen über die Anhebung des staatlichen Schuldenlimits erzielt. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts. Eine „progressive Weltöffentlich könnte darüber sicher Freudensprünge vollführen, empfindet sie doch jeden aus der US-Bundeszentralbank emittierten Dollar als Beleidigung.

Die Zahlungsunfähigkeit der USA hätte gravierende Folgen - nicht nur für die Amerikaner selbst, sondern für die Weltfinanzwirtschaft, auch für die Russische Föderation. Sind doch in der heutigen Weltwirtschaft die Interessen aller nur allzu eng verflochten.

Bisher konnten sich die USA in der ganzen Welt zu günstigen Bedingungen – d. h. zu einem niedrigen Zinssatz – Geld leihen, denn die Bonität des Landes stand außer Zweifel. Deshalb hatte jeder, von der chinesischen Zentralbank bis zum Pensionär aus Nebraska, gern Staatsanleihen der USA als verlässlichen Posten in seinem Depot.

Doch wenn sich auf dem Finanzmarkt nun Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der USA regen, sinkt das Interesse der Kreditgeber und sie suchen nach alternativen Investments. Das können etwa Gold, Erdölkontrakte, Hypothekenpapiere oder Staatsanleihen anderer Länder sein, der Dollar ist dann weniger gefragt. Gleichzeitig wachsen die Befürchtungen der Spekulanten, dass Amerika seine Probleme durch das Ankurbeln der Gelddruckmaschinen löst. Und diese Inflationsängste würden die Flucht aus dem Dollar noch mehr beschleunigen.

Die amerikanische Währung könnte schneller entwertet werden als das in den letzten Jahren der Fall war. Dann sinkt die Kaufkraft der US-Bürger, und das wiederum wird den gesamten Weltmarkt hart treffen. Eine neue Welle der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ist unter Umständen nicht mehr vermeidbar.

Russland wird das unmittelbar zu spüren bekommen, da eine wegbrechende Nachfrage auf dem Weltmarkt zu Export- und Produktionsrückgängen beispielsweise von Erdöl führen wird. Die Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit haben gelehrt, dass eine Verbilligung des Erdöls sofort negativ auf die Ökonomie Russlands durchschlägt. Doch der aus „faulen“ privaten Hypothekenkrediten erwachsene Einbruch der US-Wirtschaft Mitte der 90-er Jahre dürfte sich noch harmlos ausnehmen im Vergleich zu den verheerenden Konsequenzen, die eine Zahlungsfähigkeit der USA insgesamt nach sich zieht. Davon betroffen wären nämlich augenscheinlich nicht nur die USA selbst, sondern auch China als „Werkstatt der Welt“. Mit anderen Worten: Verarmt das reichste Land der Erde, wird der globale Produzent Nr. 1 unweigerlich Betriebe schließen.

Das wäre ein gravierender Wirtschaftseinbruch, wie ihn China in den letzten 30 Jahren nicht mehr erlebt hat, der eine akute sozialpolitische Krise in diesem Land heraufbeschwören könnte. Ich will mich hier zu keiner Prognose aufschwingen, doch die Vergangenheit hat schon oft gezeigt, dass immer dann gefährliche Situationen entstehen, wenn nach Phasen des Wirtschaftswachstums und der Produktionsausweitung plötzlich Massenarbeitslosigkeit und Kaufkraftverlust eintreten.

Dieser Gefahr ist sich Peking übrigens sehr wohl bewusst. Nicht umsonst verfolgt die Führung die gegenwärtigen revolutionären Erhebungen in der arabischen Welt mit Argwohn, könnte von ihnen doch eine große Verlockung für die mittellosen chinesischen Massen ausgehen.

Eine politische Krise in China – an der Südgrenze Russlands – als Nachbeben der ökonomischen Krise in den USA sowie der stürmischen „arabischen Renaissance“, das wäre ein Katastrophenszenario! In Panik zu verfallen wäre aber so unvernünftig, wie hämisch über die Probleme der Vereinigten Staaten herzuziehen. Erstens haben der US-Kongress und Präsident Obama noch etwas Zeit, um einen Kompromiss auszuhandeln. Zweitens stehen dem Präsidenten juristische Winkelzüge zur Gebote, mit denen er die Finanzprobleme selbst dann kurzfristig lösen könnte, wenn es zu keiner Einigung mit den Republikanern kommt. Und drittens ist die Lage der US-amerikanischen Volkswirtschaft nicht so katastrophal, dass die Kreditgeber reihenweise abspringen. Denn die gigantische Staatsverschuldung wird erträglicher, wenn man sie als relative Größe in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt betrachtet. Dann sind die USA geringer verschuldet als Japan, Griechenland oder Italien.

Dmitri Trawin ist Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Modernisierungsforschungen an der Europäischen Universität St. Petersburg.


Dieser Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung „Nowaja Gaseta“

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