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Sie schrieb über zeitgenössische russische Kunst, übersetzte zunächst für den Verlag Progress, dann für russisch-finnische Unternehmen und arbeitete für die Zeitschrift "Karelia", die sowohl in Russland als auch in Finnland erscheint. Seit Kurzem ist sie auch für die finnische Botschaft tätig.
Über all die Jahre, die Lehmus in Russland verbrachte, nutzte sie ein von ihren jeweiligen Arbeitgebern ausgestelltes Visum.
Doch nun ändern sich die Verhältnisse: Sie ist mittlerweile 64 und möchte ein freies ungebundenes Rentnerdasein fristen, hin und wieder eine Geschichte veröffentlichen und sich in Russland zur Ruhe setzen. Da sie aus Finnland eine Pension erhält, würde sie gern aus freien Stücken in Russland leben und über ihre Wahlheimat schreiben oder mit Übersetzungen die russische Literatur ihren Landsleuten nahebringen.
Da sie keinen regulären Arbeitgeber mehr hat, der ihr beim Visum behilflich ist, hatte sie schon vor Jahren versucht, eine Daueraufenthaltsgenehmigung für Russland zu bekommen. Ohne Erfolg. Immer wieder Zeit wurden die Einwanderungsgesetze geändert − ebenso wie die Gründe, mit denen ihre Anträge abgelehnt wurden. Derzeit lautet die Bedingung der Nationalen Einwanderungsbehörde: Sie müsse nach den aktuell gültigen Bestimmungen zunächst eine befristete Aufenthaltsgenehmigung beantragen, mit der sie dann drei Jahre im Land bleiben darf - sofern sie sich nichts zu Schulden kommen lässt, bevor sie danach eine Daueraufenthaltsgenehmigung beantragen kann. Doch Daueraufenthaltsgenehmigungen sind durch eine Quote limitiert: Für dieses Jahr stehen in Moskau nur 1500 zur Verfügung; und die sind ausgeschöpft.
Das ist für Christina Lehmus zuviel: Sie wohnt bereits seit 30 Jahren in Russland und möchte nicht noch weitere drei Jahre "auf Probe" hier leben – selbst wenn ihr eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung zugeteilt würde. Sie verlöre damit auch den Zugang zur Gesundheitsversorgung in der örtlichen Polyklinik, denn eine befristete Aufenthaltsgenehmigung berechtigt nicht zur Inanspruchnahme dieser Sozialleistung.
Auch der Umstand, dass sie ihren Abschluss an einer russischen Universität gemacht hat, zählt nicht. Die Jahrzehnte, die sie bereits in Russland lebt, sind für die Behörden irrelevant. Dass sie seit vielen Jahren nicht mehr umgezogen ist, wird nicht berücksichtigt, da sie die Eigentumsverhältnisse ihrer Wohnung nicht beweisen kann. Christina Lehmus erwarb sie, als sie Mitarbeiterin des Verlags Progress war, und die Dokumente sind heute lückenhaft. Wer konnte schon wissen, dass sie für eine spätere Aufenthaltsgenehmigung gebraucht würden?
Aus diesem Grund kann sie der Nationalen Einwanderungsbehörde nicht sauber nachweisen, wie lange sie schon in Russland lebt. Die Tatsache, dass jeder Arbeitsvertrag, den sie abschloss, immer dieselbe Wohnanschrift trug, wird ebenso irgnoriert wie ihre russischen Wurzeln mütterlicherseits und ihre siebenjährige Ehe mit einem Russen. All das ist Vergangenheit, heute hält sich die Nationale Einwanderungsbehörde an die aktuellen Gesetze.
Neue Regelungen zur Einwanderung
Mit Beginn des Jahres 2011 hatte Russland erneut seine Einwanderungspolitik geändert. Zum einen will das Land vor dem Hintergrund eines anhaltenden Fachkräftemangels verstärkt Hochqualifizierte anwerben. Zum anderen soll die illegale Migration eingedämmt und der Zuzug stärker reglementiert werden. Außerdem soll in Russland straffällig gewordenen Ausländern die Wiedereinreise gänzlich verweigert werden. Ausländer, die bereits in Russland leben, sollen - zumindest ist das die offizielle Rechtsauslegung - besser integriert werden. Und schließlich will die Regierung auch das Problem der Ausländerfeindlichkeit in den Griff bekommen.
Nach Schätzungen der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen lebten 2010 ca. 12,3 Mio. Migranten in Russland. Dies entspricht 8,7% der Bevölkerung. Die Immigranten kommen überwiegend aus GUS-Staaten, vor allem aus Usbekistan, Tadschikistan und der Ukraine. Laut UN-Schätzungen wird die Arbeitsbevölkerung Russlands zwischen 2010 und 2014 jährlich um 1,4 Mio. Personen schrumpfen. Um diesen bereits seit Jahren anhaltenden Rückgang auszugleichen, ist Russland auf Einwanderung angewiesen.
Doch Rentner will keiner haben - nirgendwo in der Welt, auch nicht in Russland. Kurz nachdem Lehmus ihren Antrag bei der Nationalen Einwanderungsbehörde eingereicht hatte, rief ein jemand an und machte ihr die Versprechung, für sie unproblematisch eine Aufenthaltsgenehmigung zu besorgen. Für den lächerlichen Betrag von 140.000 Rubeln - also ein glatter Fall von Korruptionsversuch. Christina Lehmus konnte sich nicht erklären, wer von ihrem Problem wusste und gleichzeitig ihre Telefonnummer hatte - allenfalls die Einwanderungsbehörde …
Gehalt als Kriterium
Zugegeben: Der Zustrom unqualifizierter Migranten nach Russland wächst beträchtlich, so dass die Regierung ihn durch die Nationale Einwanderungsbehörde regulieren muss. Das Gesetz, um hochqualifizierte Fachkräfte ins Land zu holen, umfasst die Regelung, dass Anträge auf Erteilung einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bevorzugt werden und nach einem vereinfachten Verfahren ablaufen, sofern der Antragsteller "hochqualifiziert" ist.
Was hält der russische Gesetzgeber für ein Kriterium zur Messung der Qualifikation eines Experten? Das Gehalt. Punkt. Diese Herangehensweise lässt das Bildungsniveau unberücksichtigt, ebenso die professionellen Leistungen und Referenzen oder den potentiellen Nutzen für Russland. Das Gehalt stellt das einzige Kriterium dar. Wer pro Jahr zwei Millionen Rubel (rund 50.000 Euro) verdient, gilt als hochqualifizierte Fachkraft. Wer russische Literatur für finnische Zeitschriften übersetzt, gilt nicht als hochqualifizierte Fachkraft, sondern als ganz normaler Mensch.
Finnland legt besonderen Wert darauf, seine Literatur in Russland publik zu machen. FILI, eine Organisation, die die Übersetzung finnischer Literatur sowie finnisch-, schwedisch- und samischsprachiger Belletristik und Sachbücher in andere Sprachen fördert, gewährt besondere Zuschüsse für Übersetzer. FILI bemüht sich jedoch nicht um den Gegenstrom. Sie hat kein Interesse daran, zeitgenössische russische Schriftsteller in Skandinavien zu verlegen, und bemüht sich nicht sonderlich darum, deren Werke publizieren. Aus dieser Perspektive ist die Zeitschrift "Karelia", die gerade „Escape from Paradise“ veröffentlicht, einen Roman über Lew Tolstoj, geschrieben von Pawel Basinskij und übersetzt von Christina Lehmus, eine Brücke, die es finnischen Intellektuellen ermöglichen würde, die zeitgenössische Literatur Russlands kennen zu lernen.
Doch die kleine Zeitschrift "Karelia" ist nicht in der Lage, Honorare von mehreren Millionen Rubel zu zahlen, als dass ihre ausländischen Mitarbeiter "Hochqualifzierte" und "Schwerverdiener" wären. So bleibt die Frage offen, ob jemand, der seit 30 Jahren in Russland lebt und arbeitet und sich dabei nichts zu Schulden kommen lässt, ein Bleibe- und Arbeitsrecht hat, auch wenn er nur ein ganz kleines Licht ist.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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