„Eine ländliche Schönheit“, so stellt die „Chochloma-Malerei“ die kunstvollen Puppen auf ihrer Website vor. Gelbes Tuch, rotes Sarafan-Kleid, Blümchenschürze, das ist die klassische Matrjoschka aus Semjonow.
Photo: Kommersant
„Dieser Typ hätte eigentlich das Maskottchen der Olympischen Spiele in Sotschi werden sollen. Wir haben sie mit Fackel und Skiern dargestellt und einen entsprechenden Antrag eingereicht. Den Zuschlag als Maskottchen hat sie nicht bekommen. Zum offiziellen Souvenir hat sie es dennoch gebracht – Gott sei Dank“, sagt Chefkünstlerin Valentina Daschkowa zufrieden. Die Matrjoschkas aus Semjonow dürfen jetzt offiziell das olympische Logo auf ihren Schürzen tragen. Doch so romantisch die Puppen auch aussehen, es ist Schwerstarbeit, sie herzustellen.
Gute Stimmung bei rauem Klima
„Ich schnitze schon vierzig Jahre Matrjoschkas“, sagt Anna Malyschewa, während sie den Holzrohling auf der Drehbank befestigt und ihn zu bearbeiten beginnt, so dass die Späne nach allen Seiten spritzen. „Ich liebe diese Arbeit, ich liebe den Duft des Lindenholzes.“ Die Atmosphäre in der Werkhalle ist familiär. Ein offener Raum, viele Tische, Gespräche, die alle hören. Man kennt sich, oft arbeiten ganze Familien gemeinsam. Hier werden die Schulleistungen der Kinder, das Verhältnis zu den Männern, die Preise und Schnitte von Hochzeitskleidern diskutiert, es wird getratscht und geklatscht. Und dennoch ist das Drechseln eine gefährliche Arbeit.
„Man muss höllisch aufpassen, dass das Holz sich nicht aus der Halterung löst, sonst schlägt es einem mit voller Wucht an den Kopf.“ Anna Malyschewa zeigt Spuren der Verletzungen in ihrem Gesicht. Berufsunfälle kommen häufig vor. Krankschreiben lassen kommt für sie aber nicht in Frage. „Ich bin einfach mit meinem blauen Auge oder der gebrochenen Nase weiter zur Arbeit gegangen.“
Harte Arbeit, wenig Geld
Über tausend Menschen arbeiten hier in der Kunstfabrik für die Chochloma-Malerei. Einer davon ist Anna Nikolajewna. „Die Bezahlung ist schlecht“, berichtet sie. Die Leiterin der Drechselabteilung, Galina Korjewa, sieht das anders: „Es ist eine schwere Arbeit, deshalb zahlen wir ihnen einen Aufschlag von 100 Prozent in Form einer Prämie. Eine siebenteilige Matrjoschka kostet 4 Rubel 50 Kopeken (ca. 0,16 €). Wenn eine Frau beispielsweise für 200 Rubel am Tag Ware produziert, zahlen wir noch 200 Rubel obendrauf (also insgesamt 10 €).“ So kommt eine Drechslerin auf circa 12.000 Rubeln (ca. 300 €) im Monat. „Das ist sehr viel für unser Unternehmen“, sagt sie. Doch viel für das Unternehmen bedeutet nicht viel für die Arbeiterinnen. In der Sowjetzeit rissen sich zehn Abiturienten um einen Arbeitsplatz. Jetzt fehlt es an Arbeitskräften.
Fast alle der Arbeiter sind Frauen. Wie in Russland üblich, haben die Männer meist leitende Positionen inne oder suchen nach lukrativeren Stellen. „Unsere arbeitsfähigen Männer sind jetzt alle zu Saisonarbeiten in Moskau, aber es gibt auch ein paar Säufer“, berichtet Anna Nikolajewna. Sie hat immer für die Familie gesorgt, zwei Söhne großgezogen und wenn der Mann trank, auch ihn durchgebracht. Nun hat sie drei kleine Enkel. Daher ist an Aufhören nicht zu denken, obwohl ihr Rücken und Beine Schmerzen bereiten.
Die Arbeit an den Steckpuppen ist hart, doch Alternativen gibt es kaum. „Wo soll man denn sonst hin? In einem Laden als Verkäuferin arbeiten?“ fragt Schenja Prokoschewa. „Da lässt dich keiner nachhause, wenn deine Kinder krank sind. So sind wir Mütter hier wenigstens in dieser Hinsicht geschützt.“
Die Stadt selbst wurde in die Liste der kulturellen Attraktionen für die Olympiade aufgenommen. Viele Besucher der Olympischen Spiele in Sotschi werden zu Besuch in Semjonow erwartet. Der Betrieb „Chochloma-Malerei“ soll von Touristen besichtigt und von Ehrengästen der Stadt aufgesucht werden. Alles soll im Chlochlomastil geschmückt werden. Bisher haben sie schon die Straßenschilder, den Stadtbrunnen und einige Zäune geschafft. Wenn das Städtchen Semjonow auf etwas stolz sein kann, dann auf seine Erzeugnisse des Kunsthandwerks.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst in der Zeitschrift Ogonjok.
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