Das Projekt soll vielen Menschen das Leben erleichtern. Foto: ITAR-TASS
Moskaus Regierungsbeamte sollen die Stadt verlassen – so jedenfalls hat es Russlands Präsident Dimitrij Medwedew während des St. Petersburger Wirtschaftsforums im Juni verkündet. Wie das genau von statten gehen soll ist noch nicht geklärt. Das Konzept sieht vor, dass vor den Toren Moskaus ein komplett neues Geschäfts- und Verwaltungszentrum geschaffen wird. Entstehen soll der Megakomplex auf dem Gebiet, das an die Kiewer und Warschauer Chaussee sowie an den großen Moskauer Eisenbahnring angrenzt. Es ist vorgesehen, Immobilien mit einer riesigen Fläche von 105 Mio. m2 zu bauen. Davon sind 45 Mio. m2 Büro- und 60 Mio. m2 Wohnfläche. Das ist in etwa das Doppelte des gesamten jährlichen Bauvolumens in Russland.
Die erklärten Ziele des Vorhabens klingen zweifellos edelmütig: „Die Entwicklung der Megastadt Moskau zu verbessern und vielen Menschen das Leben zu erleichtern“, so Präsident Medwedew. „Die Baudichte wird um ein Mehrfaches gesenkt, weshalb Moskau wieder atmen kann“, führt Bürgermeister Sobjanin aus. „Dieses Projekt wird Moskaus Gesicht verändern. Jetzt gibt es in der Stadt Hunderte Bauten, in denen sich staatliche Institutionen befinden. An diesen Orten können nun andere, komfortablere Gebäude entstehen“, fügt Präsidentenberater Arkadij Dworkowitsch hinzu. Damit dies alles Wirklichkeit wird, brauche es gar nicht viel, meinen zahlreiche Experten mit einer gewissen Ironie. Man müsse bloß von Grund auf eine neue Stadt mit 100.000 bis 500.000 Einwohnern aufbauen.
Und um genau so ein Projekt geht es, sagen die Spezialisten. „Selbst wenn die Beamtenstadt vergleichsweiße nicht sehr groß sein wird, muss sie dennoch gründlich geplant werden“, meint der Vizepräsident der Moskauer Architektenvereinigung Michail Chasanow. „Schließlich geht es nicht allein um Büros. Die Beamten benötigen auch Wohnfläche, eine Sozial- und Verkehrsinfrastruktur sowie einen Dienstleistungssektor, der die Bedürfnisse der Bewohner zufriedenstellt“, so der Architekt. Der Plan sei ambitiös, doch durchaus realistisch, meint Sergej Tkatschenko, Direktor des Instituts für den Generalentwicklungsplan Moskaus. Bereits jetzt würden von Experten Analysen angefertigt, wie ähnliche Projekte in anderen Ländern wie Frankreich, Kasachstan, Nigeria, Brasilien und Malaysia realisiert wurden. Oft mit anderen Intentionen, doch immer nach dem gleichen Schema.
Vorbilder gibt es zuhauf
So ist auch die heutige Hauptstadt Brasiliens von null an aufgebaut worden und das mitten im Dschungel. Nach analogem Schema hat auch der Präsident Kasachstans Nursultan Nasarbajew gehandelt, indem er die Hauptstadt von Almaty nach Astana verlegte. Durch den Wiederaufbau an einem weit entfernten und unbequemen Ort sollen die Banden zwischen Eliten, die Korruption begünstigen, geschwächt und ein Neuanfang gewagt werden. In Nigeria wurde das neue Zentrum der Macht ebenfalls an einen schwer zugänglichen Ort neu aufgebaut. Doch ein Elitenwechsel ging damit nicht einher. Im Gegenteil, mit diesem Schritt versuchten sich die Machthaber vor möglichen sozialen Unruhen zu schützen.
Doch weder die Bekämpfung von Korruption noch die Sicherung der eigenen Macht stehen bei dem russischen Projekt im Vordergrund.
Vielmehr ist die Moskauer Situation mit Malaysia und Frankreich zu vergleichen. Hier wurden mit Putrajaya und La Défense neue Verwaltungszentren errichtet, um die Effizienz zu erhöhen. Genau das ist auch das Ziel des Projektes in Moskau. Denn auf dem Areal, das Moskau nun bekommen soll, kann man durchaus eine neue Wolkenkratzerstadt im Stile der Pariser La Défense erbauen – vorausgesetzt die Finanzierung wird gewährleistet.
Explosion der Kosten befürchtet
Gleich nachdem Bürgermeister Sobjanin seine Unterstützung für das Megaprojekt bekanntgegeben hatte, wurde schon die Frage nach den Kosten laut. In seiner ihm eigenen gelassenen Art entgegnete Sobjanin: „Es ist zu früh um über Geld zu reden, solange es noch keine konkreten Bauprojekte gibt.“ Allerdings sollte in der Tat zumindest die ungefähre Anzahl zu verlegender Beamten bekannt sein, um wenigstens ansatzweise das Kostenvolumen berechnen zu können.
Auf jeden Fall wird der Umzug nicht billig sein. „Pro Staatsbeamten muss man 12-15 m2 Bürofläche berechnen. Für Bau und Ausrüstung werden ca. 3000 US Dollar pro Quadratmeter veranschlagt. Doch gemeinsam mit den Beamten zieht auch der gesamte Apparat mit: Sekretäre, Berater usw. So kostet der Umzug eines Staatsbeamten schnell 50-100.000 US Dollar“, erklärt Konstantin Kowalew, Partner des Immobilienunternehmens Blackwood.
Zweifler werden eines Besseren belehrt
Die Initiatoren der Beamtenumsiedlung sind sich einig, dass sich alle Ausgaben amortisieren werden. Auf die Frage der Journalisten nach den Kosten antwortete Finanzminister Alexej Kudrin, dass der Umzug „rein gar nichts kosten wird.“ Durch Verlegung des Beamtenapparats werde es möglich sein, die freigewordenen Gebäude und weitere Einrichtungen im Zentrum der Stadt anderweitig zu verwenden. Wenn man dieses Potential effizient nutze, könne man die Kosten dieser Rochade komplett aufwiegen, so der Minister.
Der Vizebürgermeister für Wirtschaftspolitik Andrej Scharonow hält das Projekt für sehr sinnvoll, „aber nur, wenn alle umziehen. Wenn gewisse Institutionen im Zentrum bleiben und die Beamten beginnen hin und her zu fahren, dann ist das Verkehrsproblem nicht gelöst.“
Artjom Zogojew, Projektmanager bei Trifinco Property Management bezweifelt einen Erfolg: „Russland hat bereits einen wenig erfolgreichen Amtsumzug hinter sich – die Verlegung des Verfassungsgerichts nach St. Petersburg. Dieser Plan hat nicht wirklich geklappt“, erklärt Zogojew, „da die Richter arbeitshalber trotzdem gezwungen sind, den größten Teil ihrer Zeit in Moskau zu verbringen.“
Frühere Versuche, eine Moskauer Verwaltungssiedlung zu bauen waren nicht vom Erfolg gekrönt. Eine solche Idee wurde bereits im Kabinett des früheren Bürgermeisters Jurij Luschkow bearbeitet. 2005 war der Plan verkündet worden, nordöstlich des Gewerbe- und Geschäftsviertels Moskva-City auf 800 Hektar Verwaltungsgebäude bauen zu wollen. Die Expertenschätzungen zu den Kosten der Neuüberbauung inklusive Umsiedlung der bereits anwesenden etwa 100 Industrieunternehmen betrugen damals 80 Mrd. US Dollar. Schlussendlich wurde das Projekt nicht realisiert, wobei auch der Erfolg von Moskva-City selbst äußerst skeptisch beurteilt wird. Doch um die alten Fehler nicht zu wiederholen, haben die Stadtplaner diesmal viel Zeit. Nach den Schätzungen des Analysezentrums „Indikatoren des Immobilienmarkts“ wird die Idee von Präsident Medwedew nicht früher als in 10 bis 15 Jahren realisiert sein. Man darf gespannt sein, wie es mit der Vision des Präsidenten weitergeht.
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