Komplexes einfach erklären - das ist das Erfolgsgeheimnis von Georgi Patschikow.
Eine kaputte Waschmaschine
Auf dem Bildschirm von Georgi Patschikow erscheint eine große weiße Museumshalle. Auf Podesten stehen ein Rennwagen, ein großer Holzteller auf Rädern, ein Flugzeugtriebwerk. Alles anschaulich dreidimensional.
Flink greift Patschikow mit dem Mauszeiger den Holzteller auf Rädern, der sich als Panzerfahrzeug Leonardo da Vincis mit Kanonen und metallischer Hülle entpuppt. „Siehst du, hier dreht sich dieses Zahnrad, und das treibt gleichzeitig den Turm an.“ Nach zehn Sekunden zoomt er eine Holzschnitzmaschine heran: „Hier setzt du waagerecht den Holzrohling ein und hier senkrecht von oben den Stichel. An diesem Knopf machst du die Maschine an. Je länger du jetzt die Maustaste gedrückt hältst, desto tiefer wird der Einschnitt im Holz. Schau mal! Wuuuusch!!“, zischt Patschikow begeistert.
Patschikow ist Gründer und Geschäftsführer von Parallel Graphics. Die Software-Firma entwickelt virtuelle Handbücher – animierte Reparaturanleitungen und technische Dokumentationen in 3D. Die Frage, auf die er Antworten gibt, stellt er sich seit seiner Kindheit: „Wie funktioniert das eigentlich?“
Eine kaputte Waschmaschine verändert die Welt
Beruf: Software-Entwickler
Alter: 58
Georgi Patschikow wurde 1953 im georgischen Tiflis geboren. Er studierte Wirtschaftskybernetik in Moskau. Bis 1988 arbeitete er als Software-Ingenieur im Ministerium für Gasindustrie. 1986 eröffnete er mit seinem Bruder Stepan und dem Schachspieler Garri Kasparow den ersten Computerclub der UdSSR.
1989 gründeten die Brüder ParaGraph, die der US-Softwareriese Silicon Graphics 1997 für 57 Mio. Dollar kaufte. Seine heutige Firma Parallel Graphics kooperiert u.a. mit Siemens PLM. Umsatz 2010: 4 Mio. Euro.
Patschikow sitzt freundlich lächelnd in einem Asia-Café im Zentrum Moskaus. Sein Alter lässt sich durch seine jugendliche Art kaum bestimmen. „Wie fühlst du dich heute?“, steht auf Englisch auf seinem Comicfratzen-Shirt.
1989 gründeten Georgi und sein Bruder Stepan, beide Software-Ingenieure, die Firma ParaGraph. „Damals waren wir weltweit die Ersten, die den Alltag auf dem Rechner simulierten, lange vor Second Life“, erzählt Patschikow stolz. Sie entwickelten eine virtuelle Umgebung, in der jeder Nutzer mit einem Alter Ego über den Roten Platz spazieren konnte. „Jeder Avatar hatte eine Sprechblase über dem Kopf, in die er hineinchatten konnte.“ So innovativ das Ganze auch war, der Erfolg blieb aus. „Nach einer Weile ließen alle User ihre Avatare stehen und beschränkten sich aufs Chatten - zwischenmenschliche Kommunikation war eben doch das Wichtigste“, lernte Patschikow. Keiner wusste so recht, was man mit 3D-Grafik alles anstellen kann. Der Markt war noch nicht da.
Als Patschikow 1999 in eine neue Wohnung zieht, geht seine Waschmaschine kaputt. Zusammen mit einem Kollegen nimmt er das Gerät auseinander, „bis auf die letzte Schraube“. Als sie die Maschine wieder zusammensetzen und einschalten, funktioniert sie zwar, aber fünf Schrauben sind übrig.
„Wir wussten überhaupt nicht mehr, wo sie hingehören: Die Gebrauchsanweisung war auf Französisch, es gab keine Übersetzung. Und obwohl wir beide Ingenieure sind, waren wir völlig aufgeschmissen“, erinnert sich Patschikow. Die Waschmaschine bringt den Programmierer auf die geniale Idee: „Eine animierte Reparaturanleitung in 3D, die die einzelnen Arbeitsschritte nacheinander erklärt, übersetzt in mehrere Sprachen – das wäre die Rettung für alle Techniker!“
Marktplatz für Innovationen
Im gleichen Jahr gründet er Parallel Graphics. Flugs legt sein Team die Projektdokumentation auf. Für Russland agieren sie antizyklisch: „Hierzulande laufen die Innovationsprozesse genau spiegelverkehrt: Der Russe erfindet etwas und macht sich erst hinterher Gedanken, was er damit überhaupt anstellen kann und wo es einen Markt dafür gibt.“ Patschikow hingegen weiß, für welche Zielgruppe er tüftelt.
Cortona3D ist eine Software, die den Entwicklungsprozess technischer Dokumentationen automatisiert. Die Anwendungsbereiche für die Software sind nahezu grenzenlos: Vom Foucaultschen Pendel bis zum Wasserkraftwerk kann man beliebige technische Mechanismen simulieren.
Alles, was die Software dazu braucht, sind die technischen CAD-Daten, die in das gängige S1000D- oder ATA2200- Format umgewandelt und hinterher visualisiert werden. Der Animationsprozess läuft komplett automatisch ab. Hinterher lassen sich die Daten in Reparatur- und Wartungsanleitungen integrieren – als Videosequenzen, die den jeweiligen Arbeitsprozess Schritt für Schritt aufzeigen.
Nach einer zweijährigen Entwicklungsphase bringt Parallel Graphics Cortona3D heraus, eine Software, die technische Beschreibungen einzelner Arbeitsabläufe in dreidimensionale Animationen umwandelt.
Patschikows erster großer Kunde wird 2001 der US-Flugzeugbauer Boeing: „Boeing unterhält in Moskau ein Design Center, in dem die Jungs den russischen Markt nach Innovationen und neuen Talenten scannen“, erzählt er. Nach seiner Präsentation bieten ihm „die Jungs“ einen Exklusivvertrag über fünf Jahre an.
Die Zusammenarbeit ist äußerst erfolgreich. „Just an dem Tag, als der Vertrag mit Boeing auslief, klopfte Airbus an die Tür“, lacht Patschikow. Weitere Größen folgen, darunter General Electric, Honda und Siemens. Für den Business Jet, das neue Kleinflugzeug der Japaner, gestaltet Parallel Graphics die komplette technische Dokumentation. Und 2011 unterschreibt Patschikow ein General Partnership mit Siemens. Seine virtuelle Aufbereitung von technischen Produkten wird in das Programmpaket Team Center des Elektronikriesen integriert.
Ausbildung auf einem Tablet-PC
Der Nutzen für die Industrie, so Patschikow, sei enorm: „Durch unsere Software hat General Electric 70 Prozent der Ausgaben für die technische Dokumentation eingespart“, sagt er. Die Software ermögliche auch, ein Produkt früher auf den Markt zu bringen, weil sie es bereits in der Entwicklungsphase zur Gänze darstellen kann.
Außer in der Wirtschaft kann Cortona3D auch für die Ausbildung an technisch ausgerichteten Schulen eingesetzt werden. „In Zukunft wird jeder Automechaniker, jeder Feinelektoroniker auf einem Tablet-PC die einzelnen Arbeitsschritte bequem abrufen, um sie dann umzusetzen“, schwärmt Patschikow.
Um von seinem Traum, dem „Exploratorium“, zu erzählen, klappt er noch einmal seinen Computer auf. Er zoomt jetzt auf ein Triebwerk, greift es mit dem Mauszeiger, baut es virtuell auseinander und setzt es wieder zusammen, lässt die Turbinen rotieren. „Stell dir ein virtuelles Museum vor, in dem alle technischen Erfindungen der Menschheit versammelt sind. Und du kannst durchgehen und jede einzelne bedienen, auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.“ Und die Antwort auf die Frage finden: Wie funktioniert das eigentlich?
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!