Eishockeywelt in tiefer Trauer

Fans von Lokomotive trauern um die verunglückten Eishockeyspieler. Foto: AP

Fans von Lokomotive trauern um die verunglückten Eishockeyspieler. Foto: AP

Bei einem Flugzeugabsturz in Jaroslaw am 7. September kamen fast alle Spieler und Trainer des beliebten Eishockeyclubs „Lokomotive“ ums Leben. Auch der deutsche Spieler Robert Dietrich war unter den Opfern.

Am 7. September stürzte in Jaroslawl, 270 km nordöstlich von Moskau, ein Flugzeug mit 45 Insassen ab. Unter ihnen befand sich eine der besten russischen Eishockeymannschaften. Nur ein Bordingenieur und ein Hockeyspieler überlebten die Katastrophe.

Am Tag der Katastrophe herrschte am ehemaligen Militärflughafen „Tunoscha“ von Jaroslawl Hochbetrieb, da neben den planmäßigen Flügen eine Vielzahl von Flugzeugen mit Teilnehmern und Gästen des 3. Politischen Weltforums in Jaroslawl, abgefertigt werden mussten.  

Gegen 16 Uhr rollte die Jak-42 mit den Mitgliedern der Hockeymannschaft „Lokomotive Jaroslawl“ und der siebenköpfigen Besatzung auf die Startbahn. Das Flugzeug sollte nach Minsk fliegen, wo ein Spiel im Rahmen der Kontinentalen Hockey-Liga gegen „Dynamo Minsk“ stattfinden sollte. Doch beim Beschleunigen auf der 3.000 m langen Startbahn verpasste die Jak-42 den sogenannten Ablösungspunkt. Das Flugzeug versuchte am Ende der Startbahn abzuheben, doch das Fahrgestell tangierte nochmals den Boden. Zeugenaussagen zufolge gelang es dem Flugzeug nicht, an Höhe zu gewinnen. Als es nur wenige Meter vom Boden entfernt war, kippte es auf den linken Flügel und riss den Mast einer  450m von der Startbahn entfernten Einflugmarkierung um. Schließlich stürzte es am Ufer der Wolga ab. Beim Aufschlag brach das Flugzeug in zwei Teile. Das Heck schlug am Flussufer auf, während der brennende Rumpf im Wasser landete.

Als eine der ersten traf Natalja Panowa am Unfallort ein. Die Krankenschwester eines örtlichen Krankenhauses hatte Dienst und schaute zufällig zum 200-300m entfernten Ufer. „Plötzlich sehe ich ein brennendes Flugzeug. Es kam mir vor, als wäre es in der Luft explodiert. Ich lief in meinen Pantoffeln zum Krankenwagen und fuhr zur Unfallstelle,“ berichtet sie. Nach Angaben der Krankenschwester waren zwei weitere Explosionen zu hören, während sie zur Unfallstelle fuhren. Die Treibstoffbehälter waren explodiert. „Vor Ort befanden sich bereits viele Einheimische“, erzählt die Krankenschwester weiter. „Einer von ihnen sprang ins Wasser und fand unter all den Leichen einen Überlebenden. Es war der Bordmechaniker Alexander Sisow. Er hatte schwere Verletzungen erlitten, stand unter Schock und brachte kein Wort heraus. Wir führten Erste-Hilfe-Maßnahmen durch und brachten ihn ins Krankenhaus.“ Ein Fischer fand einen weiteren Überlebenden aus der Hockeymannschaft – Alexander Galimow – und brachte diesen mit seinem Motorboot nach Jaroslawl. Der Hockeyspieler hatte eine Vielzahl von Verletzungen und Verbrennungen an 80% des Körpers erlitten.

Inspektion war für Oktober geplant

Das russische Untersuchungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Verstöße gegen die Sicherheitsregeln im Luftverkehr ein. Die Untersuchungskommission analysierte die Unfallstelle genau und forderte Unterlagen der Luftfahrtgesellschaft „Yak-Service“ an, die das abgestürzte Flugzeug betrieb. Die föderale russische Luftfahrtagentur Rosaviazija teilte mit, dass das abgestürzte Flugzeug Jak-42 im Jahr 1993 in Betrieb genommen worden war. Seit dieser Zeit sind keine gravierenden Störungen aufgetreten, doch für diesen Oktober war eine Inspektion vorgesehen – ausschließlich „aus Altersgründen“, 18 Jahre nach Inbetriebnahme.

Piloten, die die Jak-42 ebenfalls geflogen sind, vermuten, dass es möglicherweise bei der Beschleunigung ein Problem mit dem Antrieb gegeben haben könnte. Vermutlich haben die Motoren bis zum sogenannten Entscheidungspunkt über das Abheben im Normalbetrieb gearbeitet. Die Besatzung wurde wahrscheinlich bei einer Geschwindigkeit von über 200 km/h von Problemen überrumpelt. Im Falle einer Notbremsung hätte das Flugzeug nicht mehr auf der Landebahn zum Stehen gebracht werden können. Im Flughandbuch der Jak-42 steht außerdem, dass bei einer Geschwindigkeit von 215 km/h bei einer Notbremsung ein Abbrechen des vorderen Fahrgestells droht. Ein Startabbruch kam nicht mehr in Frage, doch für den Steigflug werden 420 km/h benötigt, wozu die defekten Flugzeugmotoren scheinbar nicht mehr in der Lage waren. Das Unglück war nicht mehr abzuwenden.

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Liga ohne Lokomotive?

Die Tragödie von Jaroslawl ist ein schrecklicher Schlag für die gesamte Eishockey Welt und die Kontinentale Hockey-Liga. Ihr Präsident Alexander Medwedjew verkündete die Nachricht beim Saisoneröffnungsspiel in Ufa, wo die Mannschaft „Salawat Julajew“ gegen „Atlant“ angetreten war – das Spiel begann praktisch zu dem Zeitpunkt, als die ersten Nachrichten über den Flugzeugabsturz eintrafen. Es wurde daraufhin sofort unterbrochen. „In jeder der Mannschaften gibt es Spieler, die den Verunglückten nahestanden. Viele haben Angehörige verloren. In dieser Situation bitten die Spieler um Verständnis, dass sie sich außerstande fühlen, dieses Spiel zu Ende zu führen“, erklärte Alexander Medwedjew.

„Lokomotive Jaroslawl“ war eine der stärksten und beliebtesten Mannschaften in Russland. Sie war dreifacher Landesmeister in der Zeit vor der Gründung der Kontinentalen Hockey-Liga – in den Jahren 1997 (damals noch unter der Bezeichnung „Torpedo“), 2002 und 2003. Auch in der neuen Liga, in der russische und ausländische Mannschaften gegeneinander antraten nahmen sie eine führende Rolle ein. Im Laufe der drei Runden seit Gründung der Kontinentalen Hockey-Liga schafften sie es jeweils mindestens bis ins Halbfinale des Gagarin-Pokals. Auch in dieser Saison zählte der Club, der stets als Paradebeispiel für eine gelungene Mischung aus kraftvollem und kombinationsreichem Hockey, für eine fachmännische Spielerauswahl und eine gute Jugendarbeit galt, zu den Hauptfavoriten in der Meisterschaft.

Hockeywelt trauert

 

Doch die Tragödie betrifft nicht nur Russland. Auf der Passagierliste des abgestürzten Flugzeugs standen auch ausländische Namen. In diesem Sommer war der Kanadier Brad McCrimmon Cheftrainer von „Lokomotive Jaroslawl“ geworden. Josef Vašiček, Jan Marek und Karel Rachůnek hatten im tschechischen Nationalteam  eine führende Rolle gespielt, Pavol Demitri im slowakischen Team, Karlis Skrastins im lettischen Team, Ruslan Salej im weißrussischen Team und Stefan Liv als Tormann im schwedischen Team. In Deutschland rief der Tod des deutschen Nationalspielers Robert Dietrich große Bestürzung hervor. Der 25-jährige gebürtige Kasache war erst im Sommer diesen Jahres nach Jaroslaw gewechselt und war auf dem Weg zu seinem ersten Spiel für sein neues Team.

Die gesamte Eishockeyszene, nicht nur in Russland, sondern auch in Amerika, Kanada, Deutschland und der ganzen Welt steht nach dieser Tragödie unter Schock.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung Kommersant. 

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