Neujahrsrallye an Moskaus Börsen

Warten auf den Tiefstand, dann kaufen. Foto: Kommersant

Warten auf den Tiefstand, dann kaufen. Foto: Kommersant

Russische Wertpapiere sind volatil. Doch Wertverfall und -wachstum folgen im Jahreszyklus einfachen Regeln. Wer sie kennt, kann am Aktienmarkt gut verdienen.

Die Saisonalität des russischen Aktienmarktes ist so stark ausgeprägt, dass sie eine kinderleichte Investmentstrategie ermöglicht, die die Ergebnisse fast jedes 
bedeutenden Investmentfonds der Schwellenmärkte überträfe. Man müsste sich nur die Mühe machen, den Fluss des Geldes in seinen verschiedenen Jahresetappen zu analysieren und aufzubereiten. 

88 Prozent

verlor der russische Aktienmarkt 1998 nach der Rubelkrise. Sein Allzeithoch erreichte der RTS mit 2487 Punkten im Mai 2008.

In den vergangenen fünfzehn Jahren habe der russische Aktienmarkt, nur mit zwei Ausnahmen, alljährlich einen Ausverkauf um die Maifeiertage erlebt, sagt Alexander Krapiwko, Aktienfondsmanager bei Renaissance Asset Managers in Moskau.

Von der Regelmäßigkeit dieser Korrekturen können Anleger profitieren. Investiert man am 1. September 100 Dollar in einen Index-Tracker-Fonds und verkauft die Anteile am 1. Mai des folgenden Jahres, hat man durchschnittlich 24 Dollar mitgenommen. So war es jedenfalls in den letzten zehn Jahren. Der große Sell-Off beginnt Ende April.

Geldregen im ersten Quartal

Der russische Markt ist weitaus unbeständiger als seine westlichen Pendants, wodurch er sensibler auf das regelmäßige Auf und Ab des Investitions- und staatlichen Kapitalflusses reagiert. Es gibt fast keine institutionellen Investoren für langfristige Anlagen, die auch einmal einen Kurs unter die Tiefstgrenze fallen lassen würden. Die meisten - Banken vor Ort und ausländische Hedgefonds - vertreten einen kurzfristigen Standpunkt und machen sich davon, wenn der Verkauf beginnt.

Genau diese Volatilität bewirkt, dass der Markt sich an den saisonalen Kapitalzuweisungen orientiert. Der russische RTS-Index sei in neun der letzten zehn Jahre 
regelmäßig im ersten Quartal 
gestiegen, erläutert Krapiwko. Aus ganz einfachen Gründen: Der Rest des im Dezember getätigten 
föderativen Haushaltstransfers 
erreicht den Markt im Januar. Ebenfalls zu Jahresbeginn wird verstärkt in Schwellenländer-Fonds eingezahlt, im Spätmärz sind dann neue Gelder aus russischen Rentenfonds verfügbar. Hinzu kommt, dass im ersten Quartal neue Aktienplatzierungen (IPOs) vorgenommen werden, um die zusätzliche Liquidität der Schwellenmarkt-Fonds zu nutzen und überschüssige Gelder in den Markt zu pumpen. Gewinnmitnahmen Ende April, wenn die Berichtssaison der Fonds ansteht, lösen den Beginn der Aktienverkäufe aus.

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Weihnachtsrallye 2011?

In den Sommermonaten ist der Markt ruhig, denn die Urlaubszeit lässt das Handelsvolumen schrumpfen und die Aktienkurse infolge des Nachfragemangels verfallen. Allerdings können die Kurse in Erwartung des Septembers, wenn die Russen aus ihrem Sommerurlaub zurückkehren, wieder steigen. Im letzten Quartal des Jahres kommt es zu einer regelrechten „Weihnachtsrallye“, da Russen im Dezember das meiste Geld ausgeben. Ein Teil davon fließt in die Aktienmärkte.

Vor den Duma-Wahlen im Dezember und der Präsidentschaftswahl im März 2012 wird es in diesem Jahr zu besonders hohen Staatsausgaben kommen. Die diesjährige Weiße-Nächte-Rallye dürfte also noch opulenter ausfallen.

Für Großanleger und Kleininvestoren - die abenteuerliche Geschichte der Börsen in Russland

Die erste Börse Russlands entstand 1731 in Sankt Petersburg. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt dann die Moskauer Börse als eine der einflussreichsten Handels- und Industrieorganisationen des Landes. Und das, obwohl sie sich gegenüber einer Vielzahl von Konkurrenten behaupten musste, denn die Wirtschaftsreformen der 1860er-Jahre hatten in Russland die Gründung von fast einhundert Handelsplätzen zur Folge.


Als 1917 die Oktoberrevolution hereinbrach, existierten 115 Börsen. Die Sowjets stellten jegliche Börsentätigkeit ein, erkannten in den 1920er-Jahren jedoch, dass die Börse zwar ein „Übel“, aber ein unverzichtbares war. Innerhalb von zehn Jahren etablierten sich erneut etwa einhundert Handelsplätze, die allesamt Staatsunternehmen oder Kooperativen waren und ausschließlich Waren und Rohstoffe handelten.


Mit dem Machtantritt Stalins wurden die Börsen entgültig abgeschafft, da die Ökonomie vollständig zur Planwirtschaft überging. Absatz und Bedarf waren nun von vornherein festgelegt. Bis zum 
Ende der 1980er-Jahre existierte in der Sowjetunion kein einziger offener Handelsplatz.


Heute agieren als größte Wertpapierbörsen das Russische Handelssystem RTS (Russian Trading System) und die Interbanken-Devisenbörse MICEX 
(Interbank Currency Exchange). Beide entstanden in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre. RTS wurde von Anfang an für ausländische Börsenteilnehmer konzipiert, selbst die Quotierungen erfolgen in Dollar. Eine Fusion von RTS und MICEX Ende 2011 soll die Handelsbedingungen für internationale Investoren weiter verbessern.


Das Wertpapier-Engagement der russischen Bevölkerung ist weitaus geringer als in Europa und in den USA. Der Durchschnittsaktionär ist zu 90 Prozent männlich und zwischen 20 und 40 Jahre alt. Die ältere Generation misstraut Aktien in hohem Maße, seit in den 1990er-Jahren viele Anleger ihre Ersparnisse durch Investitionen in Finanzpyramiden und andere dubiose Unternehmungen verloren. Aus diesem Grund kauft der russische Durchschnittsaktionär seine Wertpapiere nie direkt an der Börse und vertraut sich Investmentgesellschaften an, die seine Depots verwalten.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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