Angriff auf die Rechte der Frauen

Foto: Photoxpress

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Seit Anfang Juni diskutiert die staatliche Duma mit aktiver Beteiligung der russisch-orthodoxen Kirche über Initiativen, das Abtreibungsrecht einzuschränken. Unterstützung kam von Präsident Dimitri Medwedew, der eine zweite Lesung wünscht.

In Russland wird zurzeit eine neue Regelung zum Thema Abtreibung diskutiert. Der Kernpunkt dabei ist, Frauen für den Eingriff selbst zahlen zu lassen. Es geht der Regierung hierbei weniger um die Gesundheit der werdenden Mütter oder die Rechte von Kindern, vielmehr wird versucht, den Staatshaushalt von einer weiteren sozialen Verpflichtung zu befreien.

Der vielleicht absonderlichste Vorschlag, der diskutiert wurde, besteht darin, von verheirateten Frauen die schriftliche Einwilligung ihrer Ehemänner zu verlangen beziehungsweise im Falle von Minderjährigen, die Erlaubnis der Eltern oder Erziehungsberechtigten. Frauen sind ohnehin bereits wirtschaftlich von ihren Familien und Partnern abhängig, und dies würde eine Verschlimmerung dieser Situation bedeuten.

Weiterhin schlagen die Verfasser des Gesetzesentwurfs eine verpflichtende Wartezeit zwischen dem Antrag der Frau und der Abtreibung selbst vor. Dieses Verfahren verringert jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass der Schwangerschaftsabbruch mittels weniger riskanter medizinischer Methoden durchgeführt wird und steigert das Risiko von Komplikationen. Doch die staatlichen und religiösen Würdenträger haben nicht vor, Frauen während dieser Zeit mit ihren Gedanken allein zu lassen.

Zweifelhafte psychologische Betreuung

 

Das neue Gesetz schreibt vor, psychologischen Rat vor der Abtreibung einzuholen, damit den Frauen „klar wird, dass sie dem ungeborenen Kind willentlich das Leben nehmen“. Die Verfasser des Dokuments „Medizinische Empfehlungen für Beratungen vor einer Abtreibung“, das bereits vom Ministerium für Gesundheit und gesellschaftliche Entwicklung genehmigt ist, arbeiten für die russisch-orthodoxe Andrej Pervozvannij-Stiftung. Diese geben offen zu, dass die Beratungen „den Frauen Angst machen und das Risiko von Komplikationen nach einem Schwangerschaftsabbruch übertreiben sollen“.

Die Verfasser der „Empfehlungen“ schlagen darüber hinaus vor, den Embryo zu „personalisieren“ und dadurch zu erreichen, dass die Frauen wissenschaftliche Fakten außer Acht lassen und akzeptieren, dass der Embryo eine sich entwickelnde Persönlichkeit hat. Hierfür sollen geeignete Filme und Broschüren gegen Abtreibung bereitgestellt werden. Diese Art der raffinierten Einflussnahme schließt auch die Betrachtung von Ultraschallbildern und das Abhören von Herztönen ein. Zudem schlagen Duma-Abgeordnete nun vor, eine Kampagne ins Leben zu rufen, um die Bevölkerung über die angeblich schädlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren.

Vor drei Jahren bereits wurde das Werben für Abtreibung verboten, so dass die Verfügbarkeit zuverlässiger Informationen über den Eingriff eingeschränkt wurde.

Doch für viele Frauen ist eine Abtreibung nach wie vor eine Notwendigkeit. Frauen werden durch wirtschaftliche Faktoren zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen: Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und Beihilfen, mangelhafte soziale Absicherung und das Fehlen eines kostenfreien Gesundheitswesens. Schwangere Frauen haben Probleme, ihren Job zu behalten oder neue Arbeit zu finden. Einschnitte bei den Beihilfen zwingen sie in harte, schlecht bezahlte Arbeit oder machen sie komplett von ihren Ehemännern abhängig. Wenn sie für Kindertagesstätten, Kindergärten und Polykliniken zahlen müssen, sind Frauen entweder gezwungen, mehr zu arbeiten, um diese Dienste bezahlen zu können, oder müssen diese Aufgaben selbst übernehmen.

Die einzig echte Alternative zu Abtreibungen sind verfügbare Verhütungsmittel und Sexualerziehung auf der Grundlage wissenschaftlicher Fakten - und nicht basierend auf religiösen Texten, wie sie nun eingeführt werden sollen. Doch statt qualitativ guter Sexualerziehung in Schulen werden die „Grundlagen orthodoxer Kultur“ gelehrt, um alte patriarchalische Werte zu vermitteln.

Dabei beweisen Statistiken, dass Mädchen, die religiös erzogen worden sind, weder später noch weniger häufig sexuelle Beziehungen eingehen. Der einzige echte Unterschied besteht in diesem Fall darin, dass sie keinerlei Kenntnisse über Sexualität oder Verhütung haben. Das heilige Tabu, über das Sexualleben zu sprechen, wird durch solche frühen und ungeplanten Sexualkontakte in Unzufriedenheit oder Frigidität verwandelt oder führt sogar zu ungewollter Schwangerschaft und sexueller Gewalt.

Verbot verschlimmert Situation

 

Die soziologische und demographische Entwicklung zeigt, dass nach einem Abtreibungsverbot die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche nur für eine kurze Zeit zurückgeht, bevor sie wieder ansteigt – nun allerdings mit Hilfe illegaler, zwielichtiger Krankenhäuser. Die Müttersterblichkeit und Unfruchtbarkeitsrate beginnt infolge der Komplikationen nach solchen unmenschlichen und illegalen Abtreibungen ebenfalls anzusteigen. Außerdem ist das größte demographische Problem nicht die sinkende Geburtenrate, sondern die durchweg hohe Sterblichkeit infolge eines niedrigen Lebensstandards.

Die gesetzgeberische „Kreativität“ der Abgeordneten ist vor dem Hintergrund anderer Initiativen zur Senkung der Haushaltsausgaben zu betrachten. Medizin, Bildung, Wissenschaft und Kultur sollen „selbstfinanzierend“ gemacht werden. Unterstützungen für schwangere Frauen und junge Mütter werden ebenso gekürzt wie das Krankengeld für Eltern kranker Kinder.

Frauen sollten das unumstrittene Recht auf eine gute, kostenfreie Gesundheitsversorgung haben, die Abtreibungen mit einschließt, sollten Zugang zu zuverlässigen Informationen und Sexualerziehung sowie zu modernen Verhütungsmitteln haben. Doch zugleich ist es auch notwendig, gegen die Einschnitte im Haushalt und die Angriffe auf den sozialen Bereich zu kämpfen, so dass Frauen nicht nur das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch haben, sondern auch die Möglichkeit, ihn zu vermeiden. 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Moscow News.

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