Mit oder ohne Partei, Michail Prochorow bleibt eine beliebte Medienperson. Foto: Susanna Spahn
Beim Parteitag in der Akademie der Wissenschaften am 15. September ruft Parteiführer Prochorow die Delegierten auf, „bürgerlichen Mut“ zu beweisen. „Ihr seid die legalen Delegierten hier“, ruft er in den Saal. Der Oligarch Prochorow führt erst seit kurzem die Partei an, der sich hauptsächlich Unternehmer angeschlossen haben. Er will die Industrie Russlands aufbauen und die Armut beseitigen. „Unsere Ressourcen bezahlen den Prunk der Beamten, das Land wird nicht entwickelt“, kritisiert Prawoje Delo im Parteiprogramm unter dem Titel „Die Macht – das sind wir selbst“. Jetzt blicken etwa 300 Männer und Frauen ratlos auf ihren Parteiführer. Keiner weiß, wie es weiter gehen soll. „Was soll mit unseren Büros passieren? Sollen wir noch die Versammlungen abhalten?“, fragt einer. Ein Redner versucht, die Delegierten aus 42 Regionen zu beruhigen. „Lasst uns in Ruhe nachdenken. Fünf Jahre Arbeit sollen nicht umsonst gewesen sein.“ Die Zukunft der Partei ist unklar. „Ob wir an den Wahlen teilnehmen oder nicht, diese Entscheidung wird Michail Prochorow treffen.“
Ein Teil der Parteiführung um den Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Partei, Andrej Dunajew, hält derweil im Internationalen Handelszentrum einen alternativen Parteitag ab. Nach russischen Medienberichten haben sie ihr Vorgehen mit der Präsidialadministration abgesprochen. „Die Leute um Dunajew sind Clowns“, schimpft der Twerer Delegierte Wladimir Orechow. Er ist auf dem Parteitag in der Akademie der Wissenschaften. „Ich bin zu Prochorow gekommen und will nicht mit denen sein, die ihn verkauft und verraten haben.“ Orechow ist vor Wut aus der Partei ausgetreten.
Der Vorsitzende der regionalen Parteiorganisation aus Twer, Orechow, berichtet, was passiert ist: „Ich kam zum Parteitag und an die Stelle meines Namens auf der Liste der Mandatskommission haben sie einfach den Bruder von Andrej Bogdanow gesetzt.“ Bogdanow ist ein Mitstreiter des Exekutivkomitee-Vorsitzenden Dunajew. Dunajew, Bogdanow und einige andere wurden von Prochorow aus der Partei ausgeschlossen, weil sie 21 Delegierte eigenmächtig austauschten. Die neuen Delegierten wurden nach Prochorows Worten vom stellvertretenden Chef der innenpolitischen Abteilung der Präsidialadministration, Radij Chabirow, persönlich beim Parteitag registriert. Daraufhin beschuldigte Prochorow den Kreml, in einem Überfall die Macht in der Partei zu ergreifen. Die von ihm ausgeschlossenen Parteimitglieder wanderten mit ihren Anhängern in das Internationale Handelszentrum ab.
Diese Wende in der politischen Karriere des Geschäftsmanns und Milliardärs Michail Prochorow kommt überraschend. Seine Partei Prawoje Delo galt als Schöpfung des Kremls, bevor Prochorow ihr Führer wurde. Auch sein Engagement in der Politik geschah wohl nicht ohne Einverständnis des Kremls. So äußerte sich Präsident Dmitrij Medwedew öffentlich positiv über den möglichen Einzug von Prawoje Delo in die Duma. Die Partei sollte Unternehmer und den neuen Mittelstand ansprechen und eine systemtreue Opposition schaffen. Sie sollte den Eindruck von Parteienpluralismus schaffen, ohne die bestehenden Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Noch vor wenigen Wochen diskutierte Prochorow öffentlich mit Medwedew über die besten Wege zur Modernisierung Russlands. Nach Umfragen des Lewada-Zentrums würden etwa zwei bis drei Prozent der Wähler für Prawoje Delo stimmen.
Offenbar hat aber der forsche Unternehmer Prochorow mit seiner Partei zu viel Eigenständigkeit bewiesen. Er fordert eine Kontrolle der Exekutive und eine Regierung, die von den Parteien in der Duma gebildet werden soll. „Er will keine Marionette des Kremls sein“, sagt Orechow. „Wir sind gekommen und haben erklärt, dass wir die Macht auf legitime Weise erobern wollen.“ Der Kreml habe wohl eine andere Rhetorik erwartet, meint der Delegierte. Jetzt ist die Zukunft der Partei offen. Namentlich nicht genannte Mitarbeiter der Präsidialadministration sagten der Zeitung Kommersant: „Mit Prochorow kann man nicht arbeiten“. So habe er sich geweigert, die meisten derjenigen Kandidaten in die Liste aufzunehmen, die die Präsidialadministration vorgeschlagen habe. Nach Informationen der Zeitung Kommersant sucht die Präsidialadministration jetzt nach einem neuen Parteiführer. Prochorow hat mittlerweile Prawoje Delo verlassen und will möglicherweise eine neue Partei gründen.
Susanne Spahn arbeitet in Moskau als freie Journalistin und ist Autorin des Buches „Staatliche Unabhängigkeit – das Ende der ostslawischen Gemeinschaft. Die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine und Belarus seit 1991".
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