Immer mehr Russen bevorzugen Wein statt stärkerer Spirituosen. Foto: photoxpress
In russischen Städten wurden 2010 nur 15 Liter Alkohol pro Kopf konsumiert, verglichen mit 18 Litern im Jahr zuvor, erklärt Jewgeni Brune, russischer Drogenexperte im Ministerium für Gesundheit und Soziales. Allerdings sank der Verbrauch lediglich in den Ballungsräumen. "Auf dem Land ist leider keine Besserung der Situation festzustellen", sagte er. Die Experten der WHO hingegen errechneten einen noch niedrigeren Verbrauch. Ihnen zufolge verzehrte jeder Russe circa 12 Liter Alkohol im Jahr. Für Daria Chalturina, Ko-Vorsitzende der Russischen Vereinigung für Alkoholkontrolle bei der Weltgesundheitsorganisation, sind das keine Neuigkeiten. Sie sagte, der Alkoholkonsum in Russland sinke in der Tat schon seit einigen Jahren. "Eigentlich sind die Zahlen seit 2005 rückläufig", so Chalturina. "Ein solcher Rückgang konnte natürlich nicht innerhalb eines Jahres geschehen. Zwei Faktoren beeinflussten die Abnahme. Einerseits lässt sich das auf die Reform des Alkoholmarkts zurückführen und andererseits auf eine Reduzierung des Konsums von legalem Alkohol."
Der illegale Konsum wird aber nicht einfach unter den Teppich gekehrt. Laut Chalturina stützten die unabhängigen Experten ihr Gutachten sowohl auf den legalen wie den illegalen Alkoholmarkt. Zunächst würden die registrierte Produktion und der dokumentierte Verkauf von Alkohol berechnet. "Anschließend wird das Niveau des illegalen Alkoholkonsums eingeschätzt, und zwar auf der Grundlage von Zahlen, die wir aus der Sowjetzeit kennen, und mithilfe von Gutachten aus einem weiten Kreis von Wissenschaftlern", erläuterte sie. "Dann folgt die Analyse der Dynamik 'alkoholassoziierter Indikatoren'. Auch der Konsum verschiedener illegaler Alkoholsorten, die zum Beispiel in Arzneimitteln enthalten sind, wird berücksichtigt." Sie fügte hinzu, das Ergebnis komme den tatsächlichen Zahlen sehr nahe. Eine Tatsache, die sie den Daten des russischen Ministeriums für Gesundheit und Soziales abspricht.
Ungereimtheiten werfen Fragen auf
"Laut WHO liegt der Alkoholkonsum in Russland bei 12 Litern pro Kopf", sagt sie. Die Diskrepanz zwischen den offiziellen Zahlen des Gesundheitsministeriums und den Daten der WHO konnte die Vereinigung allerdings nicht erklären. Auch andere Experten äußerten ihren Unmut über die Daten des Ministeriums. Denn die im letzten Jahr vom Gesundheitsministerium mehrfach veröffentlichte Zahl von 18 Litern pro Kopf wurde auch von Experten des Moskauer Forschungsinstituts für Psychiatrie bezweifelt. Der Leiter der Abteilung für systemische Forschung, Dr. Alexander Nemzow, erklärte, die Berechnungsmethoden des Ministeriums seien bis vor kurzem geheim gewesen. Als diese ihm nun zugänglich gemacht wurden, konnte er sich ein eigenes Bild machen. Doch sein Urteil ist vernichtend: die Messungen sind seiner Meinung nach nicht präzise. "Der Alkoholkonsum in Russland liegt heute nicht über 11 bis 12 Liter. Vielleicht hat man die Zahlen ja übertrieben, damit man freudig verkünden kann, dass der Alkoholkonsum 2011 um 15 Prozent zurückgegangen ist", so Nemzows Kommentar. Auch wenn die Ergebnisse der verschiedenen Messungen starke Diskrepanzen aufweisen, bleibt festzustellen, dass sowohl das russische Gesundheitsministerium als auch die WHO den Konsum als rückläufig angeben. Wenn es nach der russischen Regierung geht, soll sich dieser Trend fortsetzen.
Hauptsache rückgängig
Präsident Medwedew hatte bereits im August 2009 eine Antialkoholkampagne gestartet, und im Lauf der letzten beiden Jahre wurden verschiedene Gesetzesinitiativen ergriffen, die drastische Auswirkungen haben dürften. Am 1. Januar 2010 wurden staatliche Mindestpreise eingeführt: eine Halbliterflasche Wodka darf heute legal nicht unter 89 Rubel (Etwa 2 Euro) verkauft werden. Und in Moskau ist seit dem 1. September 2010 der Verkauf von Alkohol mit einem Alkoholgehalt von über 30 Prozent zwischen 22 Uhr und 10 Uhr verboten. Ende Juli trat ein Gesetz in Kraft, das den Verkauf von Alkohol (außer Bier) von 23 Uhr bis 8 Uhr in ganz Russland verbietet. Heute kann man nachts noch Bier kaufen, allerdings ist 2013 auch damit Schluss. Mit diesen und weiteren Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass der positive Trend fortgesetzt wird. Wie hoch dann der tatsächliche Verbrauch ist, wird damit zur Nebensache: Hauptsache, er ist rückgängig.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Online-Zeitung "gazeta.ru".
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