Das sind die Elemente, die Bauer Kowalczyk glücklich machen: unendliche Felder, blauer Himmel, der Mähdrescher im wogenden Korn. Foto: Persönliches Archiv
Im verdreckten blauen Lada Niva fährt Christian Kowalczyk auf die Felder, Ackerflächen, so groß wie ein bayerischer Landkreis. „Ich liebe den stinkigen, dreckigen Wagen“, sagt er. Sein schickes neues Familienauto will nicht so recht zu ihm passen. Krawatte und Anzug trägt er nur, wenn es unbedingt sein muss, sein Standard-dress: ausgewaschenes T-Shirt, ausgebeulte Wanderschuhe und eine kurze Hose. Die braunen Haare trägt er kurz und praktisch. Für Mode ist seine russische Frau Anja Baranowa zuständig, dazu hat der selbstbewusste Landwirt keine Zeit.
Der gebürtige Franke wuchs in einer
Apothekerfamilie auf, als Kind half er auf dem Nachbarhof. Später
studierte er im fränkischen Triesdorf Landwirtschaft und arbeitete
danach auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Brandenburg. Aus purem
Zufall heuerte er vor sechs Jahren bei einem russischen
Agrarunternehmen mit 500 000 Hektar Land an. Nach Wirtschaftskrise und
Lohnausfällen macht er sein eigenes Ding -
„am Ende der Welt“.
Kowalczyks neue Heimat, die
9000-Einwohner-Gemeinde Sewsk, liegt im armen Westen Russlands, unweit
der ukrainischen Grenze. Bis zur nächstgrößeren Stadt geht es zwei
Autostunden über löchrige Teerpisten.
Wo jetzt Raps, Winterweizen
und Braugerste sprießen, wucherten vor Kurzem noch Brennnesseln,
Ackerwinde und junge Birken. 20 Jahre lag alles brach. „Wir haben ganz
von vorne angefangen in Sewsk“, sagt Kowalczyk und ist stolz, dass er
keine alte Kolchose übernommen hat, sondern einen ganz neuen Betrieb
aufbaut.
Gemeinsam mit seinem Partner Eckhart Hohmann bewirtschaftet er
im Auftrag eines Moskauer Investors 20 000 Hektar Land. Schwarze Zahlen
schreibt die Kowalczyk-Farm trotz der ersten guten Ernten nicht. Noch
muss investiert werden.
Er mag es schwierig
200 Kilometer südlich von Sewsk beginnt die Schwarzerderegion mit sehr
guten Böden und viel Sonne. Dort könnte er es einfacher haben. Kowalczyk
aber liebt die westrussische Wildnis, die er und seine etwa 100
russischen Mitarbeiter immer noch nicht komplett erschlossen haben. „In
den fruchtbaren Gegenden ist das Land schon verteilt“, sagt er. „Die
Böden hier sind schlechter, aber dafür regnet es genug und die Brände im
vergangenen Sommer haben bei uns nicht so viel Schaden angerichtet.“
Die
Auflegetaste seines Handys drückt Kowalczyk so schnell wie jeder Russe,
meist noch mitten im Satz. Wenn er mit seinen Mitarbeitern russisch
spricht, flicht er mit nahezu muttersprachlichem Geschick Schimpfworte
ein, die man in der Zeitung nicht schreiben darf. An die Umgangsformen
auf dem russischen Dorf und unter den Mähdrescherfahrern habe er sich
erst gewöhnen müssen, aber: „Wer an den richtigen Stellen flucht, kommt
mit den Menschen hier besser zurecht“, sagt der 35-Jährige lachend mit
fränkischem Dialekt. Ohne deftige Sprache würde er von den Arbeitern
nicht ernst genommen. Einen Sprachkurs hat Kowalczyk nie belegt. Sein
erster Chef in Russland sagte zu ihm damals: „Das Sprechen lernst du auf
dem Acker.“ Er hat recht behalten.
Mit seinen wenigen Brocken
Russisch lernte Christian Kowalczyk in einem kleinen Dorf auch seine
Frau Anja kennen. „Es war wie ein Zauber, denn man trifft auf dem Land
nicht viele Ausländer“, sagt die studierte Agrarökonomin. Vor zwei
Jahren fuhr das Paar auf einem Mähdrescher zum Standesamt, das erste
deutsch-russische Kind kam am 26. August zur Welt. „Wenn man eine Russin
heiratet, tut man sich leichter mit dem Eingliedern“, sagt Kowalczyk.
Im Sewsker Kleinstadtleben sei es dennoch schwer, sich einzubringen,
selbst für seine Frau.
Düngung, Grammatik, Sarrazin
Die Kowalczyks wohnen in der Wohnung Nummer 23 im ersten Stock eines
dreigeschossigen Hauses mit russischem Standardtreppenhaus: hellblau
gestrichene Wände und abgenutzte Betonstufen. „Die Tapete kommt noch
nicht herunter“, beschreibt Kowalczyk sein bescheidenes Heim. Wenn er
über sein Leben in Russland erzählt, lehnt er sich entspannt zurück. Im
Wohnzimmerregal der Kowalczyks steht zwischen den Buchtiteln „Düngung“
und „Standardgrammatik Russisch“ auch „Deutschland schafft sich ab“.
Hat
Kowalczyk den langen russischen Winter satt, und ist auf dem Hof nicht
viel zu tun, fährt er für kurze Zeit zurück nach Deutschland oder macht
Urlaub: Neuseeland, Argentinien, Brasilien, natürlich, um sich dort mit
seiner Frau die Farmen anzuschauen. Strand gibt es höchstens zwei Tage
zwischendurch. Kowalczyk lebt für die Landwirtschaft, und er ist
angekommen: „In Russland wird dem deutschen Bauern alles geboten, wovon
er in Deutschland zu wenig hat: Ackerland und Frauen.“
Herkunft: Coburg
Alter: 35
Beruf: Landwirt
Nach dem Studium der Landwirtschaft arbeitete Christian Kowalczyk zunächst auf einem Betrieb in Brandenburg. Vor sechs Jahren ging er nach Russland, wo er für das Agrarunternehmen Ekoniva tätig war. Dann verließ er die Firma, um seinen eigenen Betrieb aufzubauen. Seit zwei Jahren bewirtschaftet Kowalczyk zusammen mit einem deutschen Partner 20 000 Hektar Land im Gebiet Brjansk an der ukrainischen Grenze. Einen Sprachkurs hat Kowalczyk nie belegt. Sein Chef sagte zu ihm: „Russisch lernst du auf dem Acker.“
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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