Auf der Ökofarm

Leckere Bio-Radieschen aus Russland. Foto: ITAR-TASS

Leckere Bio-Radieschen aus Russland. Foto: ITAR-TASS

Von Bio-Idylle, Essen und Technologie: Die Geschichte von Aussteigern und die Probleme von Bioprodukten.

Vor vier Jahren ging das Paar Olga und Sergej Vankow in der Moskauer Region Mozhaisk fischen und verfiel sofort dem Zauber der dortigen Landschaft. Auf einer verwilderten Wiese liegend, hatte Sergej das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein und fasste einen grandiosen Beschluss. Bereits am nächsten Tag kaufte er einige Dutzend Hektar Heufelder als Geschenk für seine Frau. Und eine Kuh gab es noch obendrauf. Inzwischen tummeln sich auf dem dortigen Bauernhof vier Kühe, Gänse, Vögel und 144 Schweine. Doch damit nicht genug: Geplant ist eine Anlage zum Angeln mit einem Bereich für Aquakultur, wo Störe gezüchtet und schwarzer Kaviar hergestellt werden soll. Doch wohin mit all den produzierten Lebensmitteln?

Für die ortsansässige Bevölkerung scheint Schweinefleisch für 100 Rubel pro Pfund zu teuer zu sein. Die meisten Russen sind nicht bereit, für die Bezeichnung „Bio-Produkt“, mehr zu zahlen. Um eine breitere und geografisch weiter verstreute Käuferschicht zu erreichen, nehmen russische Bio-Landwirte daher über Lebensmittelläden im Internet Kontakt zu ihren Kunden auf. Die entsprechenden Seiten verbreiten ein verlockendes Bild ländlicher Glückseligkeit mit glücklichen und enthusiastischen Landarbeitern. Hier werden Kartoffelkäfer noch mit der Hand gesammelt und Quark an Küken verfüttert. So wird ein Image vermittelt, das fest mit der ökologischen Landwirtschaft verbunden ist: Menschen, die bereit sind, für ein Bio-Produkt mehr zu zahlen, wollen wissen, wo ihre Nahrung wächst und wer sie anbaut.

Genau dieses Image bedienen auch Olga und Sergej Vankow. Sie verkaufen ihre Produkte über den Online-Laden Ferma, der Aufträge von Kunden in Moskau abwickelt. Doch Olga Vankow gibt ehrlich zu: „Wissen Sie, wie ich mir all das leisten kann? Weil ich einen anderen Job habe. Ich habe Geld, möchte es aber nicht für Diamanten ausgeben. Ich bevorzuge es, all das hier zu genießen. Doch davon leben? Ein Kleinbauer würde nie darüber nachdenken, das zu tun: Es ist völlig unrentabel. Es gibt keine geeignete Möglichkeit der Vermarktung, und so liegt in Russland viel Land brach und wird nicht genutzt.“ Und so halten die  Bauernhofbesitzer das Internet nur für eine vorübergehende Möglichkeit, um ihre Waren zu vertreiben, denn sie sind schon längst im Begriff, ein neues Geschäftsfeld zu erschließen.

Öko statt Bio

 

Um den Absatz langfristig anzukurbeln, haben sie beschlossen, den Hof in ein Zentrum für Ökotourismus zu verwandeln. Sie haben bereits ein Dorf mit acht Gästehäusern am Seeufer errichtet; und am Rande des Anwesens unter jungen Birken gib es kleine Gatter: Hier soll das Dorf Berendeewki entstehen. Wenn Sergej von seinen Plänen erzählt, dann gerät er ins Schwärmen: „Haus-Badehäuschen, jedes Haus mit einem russischen Ofen.“ Der Landwirt und sein Umfeld wirken wie das Klischee eines russischen Dorfes aus der Vergangenheit. Selbst sein frisches, weißes Leinenhemd unterstreicht diese moderne, ländliche Schlichtheit. „Der Weg führt durch einen kleinen Wald, und die Häuser werden Dächer haben, die bis zum Boden reichen. Hinter den Häusern gibt es einen Sumpf. Es riecht hier so gut, alles ist feucht und erdig. Für die Freizeitbeschäftigung haben wir beschlossen, eine Werkstatt einzurichten, damit die Menschen Garn herstellen und ihre eigenen Walenki (Filzstiefel) filzen können.“

Den Zauber erhalten

Doch nicht alle teilen die Faszination für diesen Lebensstil. „Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft Menschen vorgeschlagen haben, das Land richtig zu bebauen, in Baugrundstücke zu unterteilen und zu verkaufen“, sagt Sergej. „Doch ich bringe es einfach nicht übers Herz, einen Ort wie diesen zu ruinieren!“, gesteht er. Selbst beim Abendessen wird einem der besondere Zauber dieses Ortes bewusst. Neben Schweinefleisch gehören auch ein Teller mit selbst gemachtem Schinken, frischer grüner Salat und kleine Paprikaschoten direkt vom Strauch, dampfende Pasteten und Johannisbeerlikör aus der Karaffe zu einer gelungenen Mahlzeit. Durch das riesige Fenster blickt man auf eine idyllische Landschaft wie aus einem russischen Märchen: eine ungemähte Wiese, ein glatter, klarer See und ein Hüttendorf mit dunkelgrauen Mauern. Ein neuer, roter Traktor kommt langsam hinter einem Hügel hervor wie ein Marienkäfer, Schwäne fliegen anmutig über den See, die Sonne geht langsam unter, und alles riecht nach Holz und selbst gebackenem Kuchen. Mag dieses Leben auch unrentabel und manchmal beschwerlich sein, ist es vor allem zauberhaft – wenn man nicht auf den Verkauf von Bioprodukten angewiesen.

Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst in der Zeitschrift „Russkij Reportjor“.

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