Rochade im russischen Tandem

Putin und Medwedjew beim Parteitag von „Einiges Russland“. Foto: kremlin.ru

Putin und Medwedjew beim Parteitag von „Einiges Russland“. Foto: kremlin.ru

Die russischen Wähler haben eine Antwort auf die Frage erhalten, wer 2012 für das Präsidentenamt kandidieren wird. Allerdings fällt es den Experten bislang schwer, die Folgen dieser Entscheidung eindeutig zu bewerten.

„Ich setze meine Arbeit fort.“ Diese Twitter-Meldung verschickte Dmitrij Medwedjew nach dem Parteitag von „Einiges Russland“, auf dem er verkündete, dass er 2012 keinen Anspruch auf das Präsidentenamt erheben werde. Politologen, die den Parteitag aufmerksam verfolgten, bezeichneten die Ereignisse sofort als „Rochade“. Der jetzige Präsident Dmitrij Medwedjew schlug Wladimir Putin als seinen Nachfolger vor, und im Gegenzug schlug der jetzige Regierungschef den amtierenden Präsidenten als Kandidat für den Posten des Premierministers vor.

Direkt im Anschluss an den Parteitag erklärte die Opposition, diese Rochade sei „das schlechteste Szenario für die weitere Entwicklung“. Die Formulierung stammt von Boris Nemzow, einem der Gründer der Partei „Narodnaja Swoboda“ („Volksfreiheit“). Die Einschätzungen von Experten fielen weniger radikal aus. Der Politologe Gleb Pawlowskij ist überzeugt, dass der auf dem Parteitag verkündete Beschluss für die am politischen Prozess Beteiligten keineswegs überraschend kam. „Über diese Rochade wurde bereits das ganze letzte Jahr gesprochen. Seit dem Zeitpunkt, als Putin damit begann, mit Nachdruck als Lobbyist für seine Kandidatur bei den Wahlen 2012 aufzutreten, ist sie ein Thema“, gibt sich Pawlowskij überzeugt. Der Präsident des Instituts für nationale Strategien Michail Remisow geht davon aus, dass Putins und Medwedjews Beschluss eine politische Notwendigkeit darstellt und perspektivisch „die Machtstabilität erhöht“. Diese Ansicht teilen auch einige angesehene russische Politologen.

 „Die Umgestaltung des Tandems war durch recht komplizierte politische und ökonomische Gefahren bedingt, die der Russischen Föderation drohen“, erläutert der Politologe Alexander Schatilow. „Die aufgetretenen Risiken machten einerseits eine bestimmte Machtkonsolidierung und andererseits Vereinfachungen erforderlich“, so Schatilow. Sollte Putin aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2012 als Sieger hervorgehen, so wird sich Dmitrij Medwedjew nach Ansicht von Schatilow mit der Rolle des „Assistenten“ des Staatsoberhaupts zufrieden geben und „in immer geringerem Maße selbst aktiv werden“.

Der Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien Alexej Makarkin stimmt einer solchen Beurteilung der Situation nicht zu. „Was Medwedjews Vollmachten anbetrifft, so nehme ich an, dass diese umfangreicher ausfallen werden als die Vollmachten der bisherigen Premierminister“,  führte er in einem Interview mit der Zeitung Kommersant aus. Makarkins Prognose zufolge kann die Rochade des Tandems eine Erneuerung der Regierung nach sich ziehen, und zwar nicht im Sinne einer Umverteilung der Ämter, sondern vielmehr in der Form, dass tatsächlich „neues Blut“ produziert wird.

Die Idee der Machterneuerung wird auch vom präsidentennahen russischen Thinktank „Institut für Gegenwärtige Entwicklung“ unterstützt. „In der Gesellschaft gibt es Menschen, die Medwedjew unterstützen werden“, stellte der Vorsitzende der Institutsleitung Igor Jurgens in einem Interview mit der Zeitung Kommersant fest. Er ist davon überzeugt, dass sich die Konfiguration des Tandems mit der Zeit ändern wird:  „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, und mit der bisherigen Mannschaft sind  die offenen Fragen bezüglich der Modernisierung und Entwicklung des Landes nicht zu lösen“, meint Jurgens.

Sollte Dmitrij Medwedjew neuer russischer Regierungschef werden, muss er unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Insbesondere die Haltung des schon Ex-Finanzministers Alexej Kudrin was unklar. Am Sonntag erklärte er vor Journalisten, dass er „sich nicht in der neuen Regierung sieht“ und fügte hinzu, es gebe gewisse Differenzen in Wirtschaftsfragen zwischen ihm und Dmitrij Medwedjew. Doch bereits einen Tag später erklärte Kudrin, er sei „bereit, jedes beliebige Amt auszuüben, in dem man sich für die Durchführung von Reformen einsetzen kann“. Am Montag schlug der Präsident dem Minister vor die Entscheidung zu treffen und schon Abends wurde Kudrin entlassen.

  

Übrigens weisen Experten auf ein weiteres Problem hin, das auf dem Weg zur Modernisierung auftreten könnte. Der die Rochade befürwortende Politologe Gleb Pawlowskij vermutet, dass Dmitrij Medwedjew möglicherweise ein Eigentor hinsichtlich seiner politischen Autorität geschossen hat. „Medwedjew verfügt unseren Einschätzungen zufolge über einige Dutzend Millionen Anhänger im Land. Indem er nun nicht um das Präsidentenamt kämpft, kehrt er diesen den Rücken zu, ohne Erklärungen für sein Verhalten zu liefern. In gewisser Hinsicht ähnelt diese Vorgehensweise dem Fall Prochorow von der Partei „Prawoje Delo“ („Gerechte Sache“). Allerdings in viel größerem Ausmaß“, erklärt Pawlowskij.

Der Artikel basiert auf Materialien aus den Zeitungen Kommersant und Wedomosti sowie der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

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