Die Kreml-Rochade

Der Tandem wird auch als eine Matrjoschka bezeichnet. Foto: Reuters

Der Tandem wird auch als eine Matrjoschka bezeichnet. Foto: Reuters

Letzten Samstag verkündete der russische Präsident Dmitrij Medwedjew, dass er sich nicht wieder zur Wahl stellen werde. Stattdessen schlug er vor, Einiges Russland solle seinen Vorsitzenden Wladimir Putin als Kandidaten für die Präsidentenwahl im nächsten Jahr nominieren. Putin revanchierte sich für diesen Gefallen und versprach, Medwedjew zum Vorsitzenden seines Kabinetts zu ernennen, wenn Einiges Russland die bevorstehenden Duma-Wahlen im Dezember gewinnen sollte, was von kaum jemandem bezweifelt wird.

In Russland, wo das Schachspiel ein beliebter Zeitvertrieb ist, nannten einige politische Beobachter das angekündigte Arrangement eine Rochade. Wer mit den Spielregeln vertraut ist, würde dem aber kaum zustimmen: Zur Rochade gehören zwei Schachfiguren, der König und ein Turm, die einfach ihre Positionen auf dem Schachbrett tauschen. Dagegen wird der vorgeschlagene Führungstausch das Machtgleichgewicht im Kreml grundsätzlich verschieben: Im Schachjargon gesprochen, wird dieser Zug Putin das Gewicht des Königs plus die Macht der Königin verleihen, während sich Medwedjews Rolle auf die eines Bauern reduziert, einer Figur, die häufig aus taktischen Gründen geopfert wird.

Man kann durchaus argumentieren, dass Putins Rückkehr auf den Posten des Präsidenten die wichtigste Kontroverse in der russischen Politik lösen würde. Putin ist ‒ schon seit Jahren ‒ der populärste russische Politiker, wie aus vielen Meinungsumfragen hervorgeht. In den Jahren 2000 bis 2008 entsprach seine Popularität auch seiner Position als Präsident, nach der Verfassung das höchste Amt im Staat. Im Jahr 2008 wurde diese "Harmonie" gestört, als Putin auf den Posten des Premierministers wechselte, der formal dem Präsidenten unterstellt ist. Das Tandem Putin-Medwedjew wurde gebildet, um diese "Störung" auszugleichen, wobei durchaus etwas Hoffnung aufkeimte, dass die neue Konstellation ein Minimum an Wettbewerb zwischen den beiden Bereichen, der Präsidialverwaltung und dem Kabinett, schaffen könnte. Doch diese Regelung stellte sich als zu verwirrend für die russischen Eliten heraus. Ganz gleich also, was Putins Kritiker sagen werden ‒ und mit Sicherheit wird es im In- und Ausland einen Sturm der Entrüstung über seine autoritären Instinkte geben ‒, Putin wird auf die Position zurückkehren, die seinem wirklichen Status als Führer der Nation entspricht, eine Position, die er bei jeder freien und fairen Wahl mit Leichtigkeit gewonnen hätte.

Medwedjews Vorschlag, Putin als Präsidentschaftskandidaten von Einiges Russland zu nominieren, wurde von den Kongressdelegierten mit stehenden Ovationen begrüßt, was Medwedjew zu dem Kommentar bewog, diese Reaktion gebe ihm das Recht, Putins Nominierung nicht weiter rechtfertigen zu müssen. Was Putin betrifft, so hat Medwedjew sicher Recht; aber er hat Unrecht, wenn er glaubt, dass er keine Erklärung zu seiner eigenen Person schuldig sei. Medwedjew ist gerade die zweifelhafte Ehre zuteil geworden, der erste Präsident Russland mit nur einer Amtszeit zu werden. Und da liegt doch die Frage auf der Hand: "Warum?" Medwedjew hat im August 2008 in Südossetien Stärke und Entschlossenheit gezeigt; er hat Russland erfolgreich durch die stürmischen Gewässer der globalen Wirtschaftskrise gesteuert; er hat eine Reform, wie zaghaft auch immer, des zerrütteten russischen Rechtssystems angeschoben; er hat das Ansehen des Landes im Ausland verbessert; und schließlich hat er auch mit seiner Modernisierungsrhetorik das öffentliche Bewusstsein geschärft. Auf jeden Fall kann man sagen, dass Medwedjews erste Amtszeit kein Misserfolg war. Hat Medwedjew nicht das Gefühl, erklären zu müssen ‒ seinen Anhängern, den Eliten, den russischen Wählern ‒, warum er nicht zur Wiederwahl antreten will und warum seiner Meinung nach Putin der bessere nächste Präsident Russlands sein wird?

Tatsächlich hat Medwedjew eine Art Erklärung abgegeben. Er berichtete den Delegierten, die Entscheidung 2012 sei eigentlich schon vor ein paar Jahren gefallen, als Medwedjew und Putin ihr Tandem bildeten (eine "Kameradschaft", wie Medwedjew es nannte), und er tue jetzt also nur, worauf sich die beiden damals geeinigt hätten.

Diese Erklärung ist aber nicht unproblematisch. In den letzten beiden Jahren hat Medwedjew, wenn man ihn nach seinen Plänen fragte, wiederholt sein Interesse an einer zweiten Amtszeit kundgetan und beteuert, die endgültige Entscheidung werde man auf der Grundlage der Ergebnisse seiner eigenen Arbeit und der Situation des Landes treffen. Sollte die Entscheidung aber bereits 2007 gefallen sein, hat dann Medwedjew seine Landsleute nicht absichtlich hinters Licht geführt?

Und noch ein weiteres Problem stellt sich. Russland ist eine Demokratie, wie unvollkommen auch immer, ein Land, in dem öffentliche Debatten und Beratungen unter den Eliten allen politischen Entscheidungen vorausgehen sollten. Fürchtet Medwedjew nicht, dass ein Zwei-Personen-"Tandem" eine zu schmale Basis für solche Entscheidungen sein könnte? Glaubt er denn wirklich, dass die demokratischen Institutionen in Russland durch die Einführung einer solchen verfassungswidrigen Einrichtung wie dieser "Kameradschaft" gestärkt werden können?

In den letzten Monaten wurde Medwedjew gedrängt, seine erneute Kandidatur anzukündigen. Er sollte die Zeit vor den Präsidentschaftswahlen im März nutzen und die Wählerschaft rund um seine Modernisierungsagenda mobilisieren. Medwedjews Bekanntmachung vom Samstag hat nicht nur die großen Hoffnungen zerstört, die einige Leute in Russland in ihn gesetzt haben ‒ sie hat Medwedjew im Grunde zu einem handlungsunfähigen Präsidenten gemacht, und das schon ein gutes halbes Jahr vor Ende seiner Amtszeit. Während also die Russen sich darauf einrichten, Putins Gambit zu beobachten, ist Medwedjews Spiel schlagartig zu einem aussichtslosen Endspiel geworden.

Eugene Ivanov, politischer Beobachter, lebt in Massachusetts und betreibt den Blog "The Ivanov Report".

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