Kudrin tritt zurück

Ex-Finanzminister Alexej Kudrin und russischer Präsident Dmitrij Medwedjew. Foto: Reuters

Ex-Finanzminister Alexej Kudrin und russischer Präsident Dmitrij Medwedjew. Foto: Reuters

Der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Alexej Kudrin ist nach einer Auseinandersetzung mit dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew aus dem Kabinett ausgeschieden. Ein weiterer Schlag für Medwedjew, dessen Position bereits zuvor geschwächt war.

Kudrin scheidet aus dem Kabinett aus

Russlands Politik kommt nicht zur Ruhe. Mit dem Ausscheiden Kudrins aus dem Kabinett ist Medwedjews Position weiter geschwächt. Bereits zuvor war bekannt geworden, er wolle bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zugunsten des Premierministers Wladimir Putin zurücktreten. Dafür sollte er dessen jetzigen Posten übernehmen.

Kudrin, der sein Amt als Finanzminister elf Jahre lang geführt hatte, demonstrierte sein Missfallen mit Medwedjews Politik auf ungewöhnliche Weise. Er weigerte sich, in der von Medwedjew angeführten Regierung zu arbeiten. Ein Affront und ein Schlag ins Gesicht von Medwedjew.

Kudrin teilte zwar mit, er werde sich vor einer endgültigen Entscheidung über seinen Rücktritt mit Premierminister Wladimir Putin beraten, doch Medwedjew war bereits sichtlich verstimmt. „Sie können sich mit wem auch immer beraten, auch mit dem Premierminister, doch noch immer bin ich der Präsident und treffe meine Entscheidungen selbst. Ich erwarte eine umgehende Antwort“, teilte Medwedjew Kudrin mit.

Medwedjew meinte, Kudrins Äußerungen seien ungehörig und nicht gerechtfertigt, da Kudrin während seiner Amtszeit sämtliche finanzpolitischen Vorlagen der Regierung ohne Einwände unterzeichnet hätte.

Medwedjews Image bröckelt

Damit bekommt Medwedjews Image weitere Risse. Bereits zum zweiten Mal wird Medwedjews Autorität von einem erfahrenen russischen Politiker in Frage gestellt. Im letzten Jahr hatte auch der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow den Präsidenten öffentlich getadelt und war daraufhin prompt entlassen worden.

Medwedjew hatte stets um seine Autorität kämpfen müssen und schaffte es nie, sich aus dem Schatten Putins zu lösen. Doch die Auseinandersetzung unterstreicht, dass er nun ein Auslaufmodell ist – ein Präsident am Ende seiner Regierungsperiode. Nur wenige Beobachter bezweifeln, dass Putin bei den Wahlen im März 2012 zum Präsidenten gewählt wird, nachdem er nun offen erklärt hat, dass er diesen Posten anstrebt. Ein weiterer Tiefschlag für Medwedjews Autorität.

Abgang löst Unruhe aus

Kudrins Abgang wird vermutlich für Unruhe unter Investoren sorgen, da es hauptsächlich sein Verdienst ist, dass die Finanzkrise von 2008 in Russland keine allzu schlimmen Schäden angerichtet hat. Aufgrund seiner Bemühungen, über 600 Milliarden Dollar an Devisen-Reserven in einen Stabilitätsfonds zu leiten sowie dank der unverhofft hohen Öleinkünfte konnten die meisten auswärtigen Schulden Russlands beglichen werden. Kudrins Ruf unterstrich nicht nur das Image des Landes als stabile Wirtschaft, der Politiker gilt zudem auch als weitaus stärkste liberale Stimme innerhalb Russlands politischer Führung. Sofort wurde spekuliert, wer ihn ersetzen könnte. Es gibt allerdings niemanden von seinem politischen Format und wenige mit einem derart dezidierten Wissen im Bereich der Finanzen.

Michail Sadornow, der von 1997 bis 1999 russischer Finanzminister war, bedauerte Kudrins Rücktritt gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti zutiefst. „Kudrin war einer der professionellsten Mitglieder der Regierung“, erklärte er. „Das Land steht ohne Finanzminister da, in einer Zeit, in der der Welt eine Krise bevorsteht und ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen.“

„Was wir nun am dringendsten benötigen, sind rasche und kreative Entscheidungen, da eine Verschlechterung der globalen und der russischen wirtschaftlichen Situation unvermeidlich scheint“, fügte er hinzu. „Kudrins Rücktritt stellt diesen Mechanismus der raschen Entscheidungen ernsthaft in Frage.“

Im Großen und Ganzen sind die Experten einer Meinung über die wirtschaftlichen Konsequenzen von Kudrins Rücktritt wie auch über das hohe Maß an Professionalität des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Zugleich vertraten die meisten von ihnen die Ansicht, der Rücktritt sei unvermeidlich gewesen. Der Politikwissenschaftler Alexej Makarkin sagte gegenüber den Nachrichtenagenturen: „Medwedjew steuert auf Wahlen zu und muss nicht nur aus Prestigegründen verhindern, als Auslaufmodell angesehen zu werden, sondern auch deshalb, weil er die künftige Regierung zusammenstellen muss.“

Der Politikexperte Dmitrij Orlow ist überzeugt, dass „die aktuelle Entscheidung als gemeinsame Position des herrschenden Tandems anzusehen ist. Es ist klar, dass sowohl Medwedjew als auch Putin der Entscheidung zugestimmt haben.“

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation nach Kudrins Abgang entwickelt. Die russische Politik bleibt spannend.

Kommentare

Michail Kasjanow, ehemaliger russischer Ministerpräsident

Kudrin ist das einzige Regierungsmitglied, das eine Art Verbindungsglied zwischen der westlichen Vorstellung von politischer Besonnenheit und den Vorgängen innerhalb unseres Landes ist. Aus diesem Grund ist er natürlich ein äußerst wichtiger Minister für Putin – er wird ihn nicht ziehen lassen und hat nicht vor, ihn zu entlassen. Ich bin überzeugt, dass dieser Konflikt aus der Welt zu schaffen ist und Kudrin dazu gebracht wird, sich in welcher Form auch immer bei Medwedjew zu entschuldigen. Nicht direkt, aber sinngemäß.

Konstantin von Eggert, politischer Beobachter

Kudrin ist eines der Regierungsmitglieder, die vorbehaltslos als Fachleute gelten, und ich nehme an, dass er in jeder beliebigen Konstellation Arbeit für sich finden könnte bzw. genauer gesagt, Arbeit für ihn gefunden würde. Meiner Ansicht nach ist folgender Aspekt interessant. Kudrin hat sich eindeutig als Mitglied von Putins Mannschaft gezeigt. Er wendet sich faktisch an den Premierminister mit den Worten: „Wladimir Wladimirowitsch, sorgen Sie bitte dafür, dass man mich in Ruhe lässt." Und genau damit hat Putin ein großes Problem. Mir scheint, dass der ehemalige und vermutlich auch künftige Präsident für solche Dinge nicht besonders gut geeignet ist. Er mag Streitigkeiten nicht in der Öffentlichkeit austragen, und solche Menschen flogen gewöhnlich irgendwann aus der Mannschaft.

Alfred Koch, ehemaliger russischer Vize-Premierminister

Ich glaube, dass es kurzfristig negative Reaktionen auf Kudrins Rücktritt geben wird, doch längerfristig werden die Folgen seines Rücktritts keinen Einfluss auf das Investitionsklima in Russland haben. Bereits jetzt ist ein allgemeiner Negativtrend zu beobachten und dieser wird sich ganz allmählich weiter zuspitzen. Der Markt wird die Nachricht von Kudrins Rücktritt rasch verdauen, und unter all den negativen Ereignissen wird dies nur eine weitere belastende Episode sein, die allerdings keinen heftigen Umschwung oder Abwärtstrend hervorrufen wird.

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