Unser Staatsschiff Titanic wird weiter rosten
Sergej Aleksaschenko, Vedomosti
Gute Zeiten für ausländische Investoren
Leitartikel in The Moscow Times
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Gute Zeiten für ausländische Investoren
Es ist leicht, Wladimir Putin zu kritisieren. Über die Jahre riefen die
Seiten der Moscow Times Putin beständig und zu Recht dazu auf, die
wachsende Korruption, selektive Justiz und den Rückgang der Demokratie
in Angriff zu nehmen.
Putins Erklärung, dass er 2012 für das
Präsidentenamt kandidiere, öffnet neuen Sorgen über das Schicksal der
Demokratie und der Zivilgesellschaft Tür und Tor. Doch eine dritte
Amtszeit Putins bedeutet nicht den Weltuntergang. Hier sind fünf Gründe
für ausländische Investoren, Putins Rückkehr zu begrüßen.
1.
Die Ungewissheit, wer 2012 kandidieren wird, ist vorbei. Obwohl Putin
seit Langem als Kapitän am Staatsruder gilt, verwirrte der Mangel an
Klarheit von Seiten Putins und Medwedjews darüber, wer kandidieren wird,
Investoren seit Monaten, wenn nicht seit Jahren.
2. Die
„Reset-Politik“, also der Neustart zwischen den USA und Russland, wird
sich fortsetzen. Die Verbesserung der Beziehungen zu Washington wurde
überwiegend Medwedjews vermeintlich liberaleren Politik zugutegehalten.
Nun steht außer Zweifel, dass Putin durchweg die Verantwortung trug und
damit auch den Reset bewerkstelligte. Die gute Nachricht für Investoren
ist die, dass der Neustart ein spektakulärer Erfolg gewesen zu sein
scheint und wegen der vielen gemeinsamen strategischen Interessen
zwischen den USA und Russland – von Afghanistan bis zum Nahen Osten –
seine Gültigkeit behalten wird. Unter Putin werden beide Seiten in der
Lage sein, ihren Reset auf die Wirtschaft auszuweiten. Diese scheint
bereits Früchte zu tragen: Eine Vereinbarung über den Beitritt Russlands
zur Welthandelsorganisation ist zum Greifen nahe. Eine Art Reset hat
sich auch mit der EU vollzogen, und es gibt gute Gründe zu erwarten,
dass sich die Wirtschaftsbeziehungen unter einem Präsident Putin weiter
verbessern werden.
3. Stabilität. Wenn Putin in seinen elf Jahren
an der Macht eins bewiesen hat, dann dies: Er ist ein starker Führer,
der daran interessiert ist, Russland Stabilität zu bescheren. Seine
Methoden haben Korruption hervorgebracht und Sorgen über den Zustand der
Demokratie und der Zivilgesellschaft ausgelöst. Aber gleichzeitig hat
sich das Investitionsklima seit den chaotischen 90ern merklich
verbessert, unter anderem durch die Verabschiedung von wichtigen
Gesetzen, die Anlegern erlauben, in einem durchschaubaren – wenn auch
oft verletzten – juristischen Rahmen zu arbeiten. Hinzu kommt ein
stetiger Anstieg des Lebensstandards, der zu wachsender
Verbrauchernachfrage geführt hat.
4. Die Yukos-Übernahme wird
nicht neu aufgerollt. Viele Investoren zerbrechen sich längst nicht mehr
den Kopf über die Fragwürdigkeit des juristischen Angriffs auf den
ehemaligen Yukos-Chef Michail Chodorkowski und die Übernahme seines
Konzerns. Aber es besteht die Befürchtung, dass der Skandal
wiederaufgegriffen und die Vermögenswerte neu verteilt werden könnten.
Putins Präsidentschaft würde diesen Ängsten ein Ende setzen. Die
beschlagnahmten und auf den Staatskonzern Rosneft übertragenen Werte
werden an Ort und Stelle bleiben.
5. Die Hoffnung auf weitere
Verbesserungen des Investitionsklimas wächst. Dmitri Medwedjew wurde von
Putin für die Rolle des Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Die Experten
debattieren darüber, ob er sich am besten zum Ministerpräsidenten,
vielleicht zum Vorsitzenden des Verfassungsgerichts oder auch zum
Sprecher der Staatsduma eigne. Doch auf welchem Posten Medwedjew am Ende
auch landet, Investoren dürfen hoffen, dass er in der Lage sein wird,
das Modernisierungs- und Antikorruptionsprogramm auszubauen, welches er
zum Wahrzeichen seiner Präsidentschaft gemacht hat.
Die ungekürzte Fassung dieses
Leitartikels erschien in The Moscow Times
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Unser Staatsschiff Titanic wird weiter rosten
Wladimir Putin will in den Kreml zurück. Er hatte die Wahl: Er hätte den
Geist der Verfassung wahren, als Premier weiter den Haushalt und die
Gesetzgebung kontrollieren und sich als wichtigste politische Figur im
Lande allmählich in einen russischen Den Xiaoping verwandeln können.
Doch er hat sich anders entschieden.
Ob er an seine Bestimmung
glaubt oder dem Drang seiner Freunde in der Führungsspitze folgt, die
den Hals nicht voll bekommen können, ist dabei irrelevant. Wichtig ist,
dass er das Recht usurpierte, 24 Jahre lang Präsident zu sein. Die
Tandem-Partner gestehen ein, dass Medwedjews Präsidentschaft die
getarnte dritte Amtszeit Putins war. Putin macht das Land zur Geisel
seiner Entscheidungen und seines alternden Teams.
Die
Präsidentschaften Putins unterschieden sich sehr. Von liberalen
Wirtschaftsreformen über die unverblümte Nationalisierung, vom
„Tauwetter“ mit den USA bis hin zum Georgien-Konflikt haben wir alles
gesehen. Putin 2012 wird ein anderer sein. Doch nicht etwa, weil er sich
wandelt, sondern weil das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts neue
Herausforderungen bringt. Die Turbulenzen auf den Weltmärkten etwa.
Wichtiger aber sind die immensen Herausforderungen an das russische
Staatsschiff, das immer mehr einer rostenden Titanic ähnelt.
Wäre
die Titanic bei ihrer Jungfernfahrt nicht gesunken, würde sie heute
ständig Leck schlagen, ihr Korpus müsste immer wieder geflickt werden,
in der Hoffnung, dass sie noch hält. Jedoch wird ihr Korpus – Gesetze,
Gerichte und Exekutive – von Korruption, Telefonjustiz und käuflichen
Medien zerstört. Die Vorstellung, man könne die jetzige Situation
einfrieren, ist trügerisch. Der Rost ist viel zu tief eingedrungen. Die
nötige radikale Modernisierung hat bereits begonnen, doch genau das
fürchtet Putin: Im Falle einer Generalüberholung droht das ganze Schiff
auseinanderzubrechen wie einst die Sowjetunion.
Der
Schiffsantrieb – die Wirtschaft – gibt positive Impulse: Viele junge
Menschen streben nach Selbstverwirklichung. Doch der Kapitän hat
vergessen, dass ein Motor regelmäßig geölt werden muss. Putin, der einst
versprach, sich um die Wirtschaft zu kümmern, appellierte nicht an sie
in seiner Wahlrede: kein Wort über den Kampf gegen Korruption, die
Loslösung der Wirtschaft von Gas und Öl oder Justizreformen. Er
appellierte an die, die ihre Gehälter aus dem Haushalt beziehen.
Viele aktive junge Menschen -
die eigentliche Leistung des Motors -
reagieren auf Putins Absicht einer faktisch lebenslangen Herrschaft im
Kreml auf ihre Weise. Die Frage ist nicht mehr, ob auswandern, sondern
wohin. Das ist im Umfeld des Kapitäns ebenso wenig klar, wie die Frage,
ob eine intellektuell verarmende Nation die Herausforderungen der
Zukunft meistern kann. Und oft braucht
es
für ein ramponiertes Schiff nicht einmal einen Eisberg, es reicht schon ein falsches Manöver.
Die ungekürzte Fassung erschien in der Tageszeitung Vedomosti
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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