Kudrin verließ seinen Posten am 26. September nach einem öffentlichen Konflikt mit Dmitrij Medwedew. Foto: Reuters
Dem Rausschmiss vorausgegangen war seine Erklärung, er wolle wegen großer politischer Differenzen nicht unter einem Ministerpräsidenten Medwedew arbeiten, wenn demnächst Putin wieder Präsident werden sollte. Das war die Quintessenz eines Disputs in der Sitzung der Staatlichen Kommission für Modernisierung der russischen Wirtschaft, auf der Kudrin vor allem die geplante Erhöhung der Militärausgaben um 65 Milliarden Dollar sowie das Vorhaben, die Abhängigkeit Russlands von den Rohstoffexporten zu verringern, verurteilte.
Anders Aslund, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Peterson-Institut für Internationale Wirtschaft in Washington, charakterisiert den Werdegang des russischen Ex-Finanzministers mit den Worten, dass die zwei Beine, auf denen Alexej Kudrin durchs Leben gegangen sei, Anatoli Tschubais und Wladimir Putin hießen. Bis zum Beginn der Putin-Ära war es tatsächlich Anatoli Tschubais, dem Kudrin überall hin folgte. Zunächst in die Stadtverwaltung von St. Petersburg, wo er für Finanzfragen verantwortlich war, dann in die Präsidialadministration des Kreml und in das Finanzministerium.
Mit Putin hatte Kudrin bereits in der Peterburger Stadtverwaltung Bekanntschaft geschlossen, beide wurden 1996 von Anatoli Tschubais nach Moskau geholt. Als Alexej Kudrin in das Finanzministerium aufstieg, folgte Putin ihm im März 1997 als Leiter der Hauptverwaltung für Kontrolle in der Präsidialadministration nach.
Bei Amtsantritt von Premierminister Jewgeni Primakow quittierte Alexej Kudrin den Posten des Ersten stellvertretenden Finanzministers und übernahm die Funktion des Vize-Vorstandschefs in der von Anatoli Tschubais geführten Energieholding EES Rossii. Doch nachdem Putin im August 1999 das Amt des Regierungschefs übernahm, rief dieser Kudrin in sein Kabinett. Elf Jahre lang leistete Alexej Kudrin seinem Freund und Gefährten Wladimir Putin treue Dienste. In einem Vortrag im Washingtoner Peterson-Institut im April 2009 lobte er seinen Genossen, es sei insbesondere „die politische Konsolidierung unter der Ägide Putins“ gewesen, die die Erfolge der russischen Wirtschaft in den letzten Jahren herbeigeführt habe.
Mister Nein
Im Kabinett wurde Alexej Kudrin gern „Mister Nein“ genannt, in Analogie zu Andrej Gromyko, dem ehemaligen sowjetischen Außenminister, der die Tätigkeit der Vereinten Nationen durch eine Vielzahl von Vetos erschwert hatte. Wie es heißt, hat sich Kudrin diesen Spitznamen damit verdient, dass er Lobbyisten, die den „Oberbuchhalter des Landes“ um Geld angehen wollten, regelmäßig eine Abfuhr erteilte.
Man tut ihm unrecht, wenn man Alexej Kudrin als Kassenwart dominanter Chefs abtut. Die Einrichtung eines aus den Petrodollars des boomenden Erdölgeschäfts gespeisten Stabilitätsfonds als Vorsorge für den Fall sinkender Staatseinnahmen ist unbestritten Kudrins persönliches Verdienst. Und die wichtigste Errungenschaft seines Lebens, wie er selbst sagt. Vielleicht auch deshalb kürte ihn das renommierte Finanzmagazin „Euromoney“ 2006 zum besten Finanzminister der Entwicklungsländer sowie 2004 und 2010 zum besten Finanzminister der Welt.
Lange Zeit war Alexej Kudrin überzeugt, die Politik sei gegenüber der Wirtschaft sekundär, weshalb es weder auf die Ideologie, noch auf die Substanz des politischen Regimes ankäme, solange sich nur die Finanzen des Landes kompetent verwalten ließen.
Doch im Februar 2011 kamen ihm Zweifel. Auf dem Krasnojarsker Wirtschaftsforum konfrontierte er das verdutzte Publikum mit der Überlegung, dass es ohne reale politische Konkurrenz keine konsolidierte Wirtschaft geben werde. Und Kudrin legte in der „New York Times“ nach, diese Überlegung reflektiere „bestimmte Etappen meiner persönlichen Entwicklung“.
Alexej Kudrin hatte nie viel von ideologischer Rhetorik gehalten, er war ein Mann seiner ökonomischen Grundüberzeugung. Neben seiner Professionalität und Rührigkeit, die selbst bösartigste Kritiker anerkennen, zeichnet ihn vor allem die für einen Politiker in Russland ungewöhnliche Ehrlichkeit in der öffentlichen Darstellung von Regierungsvorhaben aus.
„Hören Sie nicht auf Kudrin“, pflegte Wladimir Putin zu scherzen. Das ist ein Indiz dafür, dass er in allen Regierungen die Rolle des Prügelknaben und Sündenbocks spielen musste.
Und Alexej Kudrin hat wahre Leistungen vollbracht: Als er im Jahr 2000 das Finanzressort übernahm, lag das Rating der Agentur Fitch für Russland bei CCC – und damit auf demselben Niveau wie vor dem Staatsbankrott 1998. 11 Jahre später ist Russlands Rating auf BBB – also um acht Stufen – gestiegen. Er hat großen Anteil daran, dass die wohl einzige durchgreifende Reform, nämlich die des Steuersystems, in die Tat umgesetzt wurde. Dank der Initiative des Finanzministers wurde ein „Stabilitätspolster“ geschaffen, das dem Putin-Regime half, die globale Wirtschafts- und Finanzkrise ohne größere Schäden zu überstehen.
So kann man sagen, dass auch Alexej Kudrin und Wladimir Putin ein Tandem bildeten, das Russland in den letzten elf Jahren regierte. Nun ist dieses Tandem zerfallen, und Kudrin kann den Freien Künsten und Gesellschaftswissenschaften frönen.
Die ungekürzte Fassung dieses Artikels erschien ursprünglich in der Wochenzeitschrift „Russki Reportjor“.
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