Dem Ökotourismus in Russland steht ein harter Kampf bevor

Der Baikalsee. Foto: Lori / Legion media

Der Baikalsee. Foto: Lori / Legion media

Während viele Touristen aus dem Westen gerne Urlaub in der Natur machen, sind die Russen – und auch Russland selbst – noch immer dabei, sich mit den Annehmlichkeiten dieser Form des Reisens anzufreunden.

 Mascha Gerasimowa hatte die Wahl: entweder sie würde ihren Job verlieren, oder sie würde sich mit ihren Kollegen auf eine Tour zur Teambildung in die sibirische Taiga aufmachen. Widerwillig tauschte sie ihren Schulterbeutel gegen einen Rucksack und ihren Minirock gegen Jeans ein und trug statt Make-up Mückenschutz auf die Haut auf.

Für die meisten Russen ist “Ökotourismus” gleichbedeutend mit “Wandern” – beide Male trägt man einen knapp 50 kg schweren Sack auf dem Rücken, das Zelt steht auf einem Ameisenhaufen und am Lagerfeuer werden Lieder gesungen. Im Westen bedeutet Ökotourismus allerdings vielmehr die Entscheidung für Ferien mit Blick auf klassische Postkartenmotive – auf Berge, Wälder und Seen. Nach Angaben der Internationalen Tourismusorganisation beträgt der Anteil des Ökotourismus zwischen 10 und 20 Prozent des internationalen Tourismusmarktes und ist der Bereich der Freizeitindustrie mit dem größten Wachstumsfaktor.

Nun landet diese Idee vom „zurück zur Natur“ auch in Russland, und auch einige russische Urlauber tauschen mittlerweile den Staub der Museen gegen den Staub von wenig befahrenen Straßen ein.

Was ist Ökotourismus?

Beim Ökotourismus reist man an Plätze, die relativ naturbelassen sind, ohne dabei starken Einfluss auf die Umgebung zu nehmen. 

 Allerdings scheinen die beiden Teile dieser Definition nicht kompatibel zu sein. Befürworter des Ökotourismus behaupten, dies sei der einzige Weg, Naturreservate zu bewahren, ohne sie für die Öffentlichkeit zu sperren, während Gegner des Ökotourismus die Ansicht vertreten, dass jeder Eingriff der Touristen in natürliche Prozesse, auch wenn diese noch so verantwortungsvoll erfolgen mögen, eine zusätzliche Belastung für das Ökosystem darstellen und zu dessen Schwächung führen.

Russlands Landschaften verfügen als Ziel für Ökotourismus über ein enormes Potential. Allerdings gibt es zwar riesige Gebiete, die noch komplett oder zumindest teilweise naturbelassen sind, doch die russische Natur befindet sich nicht gerade in gutem Zustand – und sie ist auch nicht gerade leicht zugänglich. Die meisten landschaftlich schönen Gebiete in Russland erstrecken sich über Distanzen mit vier oder fünf Ziffern, so dass Ökotouristen, die nach Russland reisen, teure Langstreckenflüge bezahlen müssen. Hinzu kommt, dass von einem internationalen Flughafen zum eigentlichen Ziel in der Regel noch einmal mehrere Hundert Kilometer zurückzulegen sind, wobei diese zum Großteil über Straßen führen, die diesen Namen kaum verdienen. Und um an solche Orte wie Kamtschatka oder Yakutia zu gelangen, braucht man wohl am ehesten einen Hubschrauber. Und sind die Touristen schließlich an ihrem Ziel angelangt, muss dort eine bestimmte Infrastruktur für sie vorhanden sein. Selbst wenn die Touristen draußen unter dem Sternenhimmel zelten wollen, brauchen sie bestimmte Kommunikationsmöglichkeiten, medizinische Dienste und Geschäfte, in denen sie Lebensmittel kaufen können. Und wenn Russland tatsächlich dem Trend des Ökotourismus folgen möchte, dann werden auch Hotels benötigt. Moderne Ökotouristen genießen ihren Urlaub gerne mit angemessenem Komfort, ohne jedoch die natürliche Umgebung zu schädigen.  

In vielen russischen Regionen könnte die Entwicklung der für den Ökotourismus benötigten Infrastruktur auch einen Beitrag zur finanziellen Unterstützung von deren natürlichen Ressourcen leisten. Russische Waldarbeiter sind unterbezahlt und es gibt viel zu wenige von ihnen. Viele Naturschützer vertrauen auf die Hilfe von Freiwilligen. So haben beispielsweise die Angestellten eines Naturreservats am Baikalsee mit Hilfe von Freiwilligen in Eigeninitiative auf 200 Metern spezielle Wege für behinderte Besucher in Rollstühlen angelegt, und geplant ist, diese auf 2,5 km zu erweitern.

Obwohl staatliche Unterstützung für Projekte in Wäldern und Parkanlagen erst ganz allmählich anläuft, wurden kürzlich bei einem Treffen von Wladimir Putin und Jurij Trutnew, dem Minister für Naturressourcen und Umwelt, bereits Pläne zur Finanzierung eines Entwicklungsprojekts für Naturparks erarbeitet. Zwölf Gebiete wurden als vorrangig zu berücksichtigende Zonen ausgewählt, und zwischen 2013 und 2020 soll dort die benötigte Infrastruktur entstehen. Putin und Trutnew beabsichtigen, bis 2013 die Zahl der jährlichen Besucher in den Naturparks von 6,5 Millionen auf 12 Millionen zu erhöhen.

Mascha Gerasimowa und ein Dutzend ihrer Kollegen landeten in einem Naturreservat in der Republik Burjatien – in Tankhoe in der Region Kabansk. Die Region soll ein Teil des Großen Baikalweges werden. Dabei handelt es sich um einen Verbund ökologischer Wanderwege rund  um den Baikalsee, der sich über mehrere geschützte Gebiete der Region um den Baikalsee erstreckt. In den vergangenen Jahren hatte die ungeregelte Nutzung der natürlichen Ressourcen zu einer radikalen Verschlechterung der Ökosysteme im Baikalsee und in dessen Umgebung geführt.

„Die Taiga ist nicht die Savanne, wo man einen Elefanten schon aus einigen Kilometern Entfernung sehen kann.  Und Bisons posieren hier auch nicht für die Fotografen – sie haben Angst. Über 700 Kilometer sehen Sie also nichts anderes als Mücken“, meinte ein Buchhalter aus Mascha Gerasimowas Firma.

Ostkarelienoder "Belomorye". Foto: Lori / Legion media

Unterdessen glauben diejenigen, die der Idee eines wachsenden Ökotourismus kritisch gegenüberstehen, dass die Schaffung einer groß angelegten Infrastruktur in solchen Naturreservaten bzw. in der Umgebung unweigerlich zu deren Zerstörung führen wird.

„In ihren Diskussionen über das Modethema Tourismus haben der Ministerpräsident und der Minister völlig vergessen, über die echten Probleme, vor denen die Naturreservate stehen, zu sprechen: die unzumutbar niedrigen Löhne für die darin Beschäftigten, der heftige Mangel an Materialressourcen und deren schlechter Zustand sowie die permanenten Versuche, geschützte Gebiete anderweitig zu nutzen“, erklärte der Chef des Projekts von Greenpeace für besonders geschützte Naturgebiete in Russland Michail Kreyndlin. Doch während Umweltschützer mit der Regierung darüber diskutieren, wer sich um die Naturreservate kümmern soll und auf welche Weise dies geschehen kann, sind andere eifrig mit der Anlegung von Wegen, der Säuberung von Flussbetten und dem Schutz gefährdeter Arten beschäftigt. Im August hatten Freiwillige in Russland eine Reinigungsaktion von mehreren Buchten der Barentssee organisiert.

„Es gibt nur zwei Wege zur Lösung dieses Problems“, meinte der 30-Jährige Freiwillige Dmitrij Dementjew gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti. „Entweder sperren wir diese Schönheit für unsere Mitmenschen, führen ein Einlasssystem wie beim Militär ein und begrenzen die Freiheit der Menschen, die sich in ihrem eigenen Land bewegen möchten, oder jeder von uns müsste seinen Beitrag leisten, um die Natur sauber zu halten.“

Geschichte des Ökotourismus in Russland

Amateursport-, Wander- und Sporttourismus war, ähnlich wie der „Abenteuertourismus“ im Westen, in der Sowjetunion weiter verbreitet als in jedem anderen Land. 1989 unternahmen mehr als 20 Millionen – meist junge – Menschen solche Reisen. Nach 1990 ging die Nachfrage nach Reisen innerhalb Russlands stark zurück, während Reisen ins Ausland stark zunahmen. 

 In jüngerer Zeit versuchte die Regierung, Werbung für den Ökotourismus in Russland zu machen. Das Thema stand 2010 beim Besuch von Ministerpräsident Putin in Kamtschatka auf der Tagesordnung. Beim Treffen des Ministerpräsidenten mit dem Minister für  Naturressourcen und Umwelt wurde am 29. August 2011 beschlossen, 1,5 Milliarden Rubel ($ 50 Millionen) für die Entwicklung von 12 vorrangig zu behandelnden Naturschutzgebieten bereitzustellen und bis 2020 die für das Programm zur Verfügung gestellten Mittel um jährlich 800 Millionen Rubel ($ 26,5 Millionen) zu erhöhen.

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