Für alle etwas dabei

Wladimir Putin war einer der Ideologen der ANF. Foto: premier.gov.ru

Wladimir Putin war einer der Ideologen der ANF. Foto: premier.gov.ru

Die Regierungspartei Einiges Russland hat die Prioritäten ihrer Arbeit in der Staatsduma festgelegt und hofft dabei, dort nach der Wahl im Dezember ihre Mehrheit zu behaupten. Das Dokument ist so abgefasst, dass sowohl die konservativen Potschwenniki, als auch die am Westen orientierten liberalen Zapadniki sich darin wiederfinden können.

„Die Bürger Russlands sind mit vielen Dingen nicht zufrieden“, gestehen die Verfasser des Programms ein und benennen die wesentlichen Probleme: Armut, ein schlechtes Geschäftsklima, Korruption sowie die Unfähigkeit der Staatsbediensteten, die Probleme der Menschen qualifiziert zu lösen. Es ist klar, dass jeder Russe diese Liste um eine ganze Reihe Punkte erweitern könnte. Daher wird vorgeschlagen, „die grundlegende Aufgabe des Staates zu lösen“ - dies bedeute konkret, die Bedingungen „für eine zivilisierte Konkurrenz zwischen den Menschen, für Ideen, gesellschaftliche Initiativen, Projekte und Programme in der Politik, der Wirtschaft und zwischen den Regionen“ zu schaffen. Ein eindeutig liberaler Ansatz. Außerdem wurde das „sozialistische Versprechen“, im Namen des Staates alle mit allem zu versorgen, im Programm um die Klausel ergänzt: „Sozialstaat und Gerechtigkeit – das bedeutet nicht Gleichheit sondern Gleichberechtigung der Menschen.“

Andererseits wird daran erinnert, dass es auch in den liberalsten Ländern dem Staat oblag, die jüngste Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Die Verfasser glauben, dass „der Kurs des Aufbaus einer 'Machtvertikalen' sich in vielen Aspekten als richtig erwiesen“ hat, rufen allerdings dazu auf, „die Entwicklung des staatlich-politischen Systems in die Hände einer wahren Volksherrschaft zu legen“.

Mehr Handlungsspielraum für den Staat

Der makroökonomische Abschnitt des Dokumentes beginnt mit der seit langem bekannten Rhetorik von der notwendigen Modernisierung und Diversifizierung. Doch es findet sich auch ein Novum: Die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen sollen „nicht nur dafür aufgewendet werden, das 'Sicherheitspolster' aufzublähen, sondern vermehrt und aktiver für eine Bewegung nach vorne“ genutzt werden. Wäre da nicht der kürzliche Rücktritt von Finanzminister Alexej Kudrin, der sich einer „Veruntreuung“ der staatlichen Reserven vehement entgegenstellte, hätte diese Programmthese wohl gestrichen werden müssen.

Eine andere „erstrangige Aufgabe des Staates“ sei die Anregung der Privatinitiative. Dazu wird konkret vorgeschlagen, „alle administrativen Hürden abzubauen sowie die Korruption und die negativen Erscheinungen der russischen Bürokratie zu besiegen“. Wie die Bürokratie sich selbst bekämpfen soll, darüber steht im Programm jedoch nichts. Über die Erneuerung des politischen Systems nachsinnend, erinnern sich die Verfasser des Dokumentes daran, dass „in unserem Land die Interessen des Staates häufig über den Interessen des Individuums standen“. Und sie warnen, dass sich dies nicht wiederholen dürfe: „Die Macht muss deshalb der Kontrolle durch die Gesellschaft obliegen.“

Die Verfasser versprechen – im Kielwasser von Präsident Medwedew und Premierminister Putin – das Renteneintrittsalter nicht anzuheben (gegenwärtig liegt es bei 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 74,7 Jahren bei Frauen und 62,8 Jahren bei Männern). Stattdessen wird den Bürgern angeboten, selbst zu entscheiden, wann sie in Rente gehen.

Anreize für Investoren

„Der Staat muss den Export von Erzeugnissen des verarbeitenden Gewerbes und von Waren mit hohem Mehrwert unterstützen und stimulieren“, heißt es in dem Dokument. Die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung wird mit der „unbarmherzigen Konkurrenz“ auf den Außenmärkten begründet. Den ausländischen Partnern wird auch ein Versprechen gegeben: „Wir werden unsere Wirtschaft aktiv für ausländische Firmen, die über Innovationspotential verfügen und bereit sind die Produktion in Russland weiterzuentwickeln, öffnen“.

Der Geschäftswelt wird vorgeschlagen, enger bei der Entscheidungsfindung mitzuwirken und zwar „nicht nur in der Phase der Projektentwicklung sondern auch beim Durchlaufen dieser Projekte durch die regionalen und föderalen Instanzen“. Die Maßnahmen der staatlichen Kontrolle in der Wirtschaft sollen Schritt für Schritt durch eine Selbstregulierung ersetzt werden. Die Verfasser haben verstanden: „Investoren kann man nicht zwingen, nach Russland zu kommen. Man muss sie anreizen“.

„Russland führende Weltmacht“

Im außenpolitischen Abschnitt des Programms wird der Status Russlands als führende Weltmacht bekräftigt und ein Ziel formuliert, das nach Meinung der Verfasser des Dokumentes den nationalen Interessen entspricht: die „allumfassende Nutzung der Möglichkeiten der Globalisierung sowie der neusten Errungenschaften der Zivilisation und des Fortschritts bei der sukzessiven Orientierung auf die Bedürfnisse der eigenen Entwicklung, die den Anforderungen des Landes und aller seiner Bürger entsprechen“.

Zur Außenpolitik heißt es weiter: „Für Russland ist die Priorität der Ausrichtung auf Europa eine wertmäßige Orientierung und keine geografische. Diese steht nicht im Widerspruch zur eurasischen Orientierung, sondern ergänzt und bereichert diese, wobei sie unsere Handlungsfreiheit in alle Richtungen der Außenpolitik nicht beschränkt.“ Anderseits wird dem „sogenannten Westen“ vorgeschlagen, „seine Erfahrung mit der Führungsrolle zu machen und dabei zu erkennen, dass der Welt weder durch den brachialen Export des eigenen Know-Hows in der politischen Entwicklung, noch mithilfe eines Anti-Raketenschirms zum Glück verholfen oder gar eine Insel der absoluten Sicherheit errichtet werden kann“.

Die Aktivitäten Russlands in Asien, Afrika und Südamerika in den letzten Jahren werden als „echter und für die Welt notwendiger Durchbruch“ bezeichnet. Besonders herausgestellt wurden in diesem Zusammenhang die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die Organisation der BRICS-Staaten und die Projekte im Rahmen der Asiatisch-pazifischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Im Programm wird die Absicht bekräftigt, für die Reform der Streitkräfte 20 Billionen Rubel auszugeben. Insbesondere, um „die Raketen-Nuklear-Komponente auf dem höchsten Niveau zu halten“.

Aus der Mitte der Gesellschaft

Das auf der Internetseite der Partei veröffentlichte Programm  „ist nicht am grünen Tisch bei den Experten und Beamten in der Hauptstadt entstanden“, behaupten die Verfasser. Als Autoren der Vorschläge werden „angesehene Experten, Profis aus den Regionen Russlands und alle Bürger, denen das Schicksal unseres Vaterlandes nicht gleichgültig ist“ genannt — die „Kämpfer“ der Allrussischen Nationalen Front. Diese Organisation wurde durch Einiges Russland im Vorfeld der Wahl zur Staatsduma als „Instrument zur Entwicklung der direkten Demokratie im Land“ geschaffen.

„Im Lande gibt es noch viele Aufgaben und Probleme, die es zu lösen gilt“, heißt es im abschließenden Abschnitt des Programms. „Wir verstehen, wie wir das schultern werden. Wir haben dafür den Willen, das Wissen und die Mannschaft“, teilen die Verfasser mit. Man möchte daran glauben.

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