Sie sind schon mehrmals in Russland aufgetreten. Ihr Label heißt "Gagarin Records", und auf einem Ihrer letzten Alben gibt es einen Track, der dem Dichter Welimir Chlebnikow gewidmet ist. Sind Ihre bevorstehenden Konzerte in den beiden Hauptstädten Moskau und Sankt Petersburg irgendwie eine Rückkehr in ihre heimliche Heimat?
(lacht) Möglicherweise, sofern man unter Russland nicht das konkrete Land versteht, sondern die utopische Idee von Russland. Bestimmt ist es nicht das Russland, das geopolitisch in diesem Moment existiert. Aber ich fühle eine große Affinität zur russischen Mythologie des Kosmos, zum Glauben an die Schönheit und die Reinheit von Entdeckungen und Durchbrüchen. Nicht nur in der Industrie, sondern auch in Wissenschaft und Kunst. Außerdem gefallen mir russische Puppentrickfilme und einige russische Schriftsteller. Aber Juri Gagarin liebe ich besonders, einfach weil er sich als erster Mensch ins Weltall gewagt hat: Für mich ist das die perfekte Metapher für den Sprung ins Urchaos.
Sie haben mal erzählt, dass vor ein paar Jahren nach einem Ihrer Konzerte in Amerika eine junge Ukrainerin zu Ihnen kam und sich bedankt hat, weil sie sich auf dem Konzert wie zu Hause gefühlt hat. Warum kommen Sie bei Osteuropäern so gut an?
Nun ja, da kann ich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht hängt das auch mit der Idee der Utopie zusammen. Also Utopie als Projektion verschiedener futuristischer Ideen von schöneren, eigenartigeren und perfekteren Welten. Und vielleicht gibt es ja bei allem, was ich mache, ein Element des Utopismus im romantischen Sinne, eine eskapistische Flucht in die Zukunft. Und das zieht die Leute an, die Bekanntschaft mit dem Sozialismus gemacht haben. Denn der Sozialismus war ja die letzte lebende Utopie. Eine andere Erklärung könnte sein, dass meine Musik voller Humor ist. Außerdem hatte Bartók einen starken Einfluss auf mich und auch der frühe Strawinski. Aber wahrscheinlich hat das bis jetzt noch nie einer gemerkt.. Ach, was weiß ich. Haben Sie eine Theorie?
Felix Kubins Musik ist eine humorvolle Utopie.
Wie funktioniert heute der Musikmarkt? Kann ein Musiker überhaupt von seiner Musik leben?
Vom Verkauf seiner Aufnahmen ganz bestimmt nicht. Aber ich halte mich auch zum Glück nicht nur für einen Musiker – ich bin ein Künstler, der mit Klang arbeitet. Abgesehen von dem, was ich auf Schallplatten rausbringe, leite ich auch Meisterklassen. Ich mache diese Mischung aus Vorlesungen und Performances, zeichne Podcasts auf, komponiere Soundtracks für Theaterinszenierungen und schreibe selbst Hörspiele und noch so Dinge mehr.
Das ist aber ungewöhnlich. Die meisten machen nur eines: Entweder Popmusik, Elektroakustik oder Hörspiele. Gibt es für Sie irgendein verbindendes Element?
Wissen Sie, ich habe diese Abgrenzung nie verstanden. Sie wird uns aufgezwungen von den gesellschaftlichen Regeln, von einer festgelegten Ordnung der Dinge, die mir verhasst ist und gegen die ich auf jede mögliche Art anzukämpfen versuche. Die ernste E-Musik – also die ernste Musik - wird in die eine Schublade sortiert, die Popmusik in die andere und die moderne Kunst kommt in wieder eine andere hinein. Aber darin zeigt sich doch nur, das die meisten keine Ahnung haben, wie man mit seinen Gefühlen arbeiten muss – schließlich ist Kunst ja ein Mittel zur Entwicklung der eigenen Sensibilität. Wenn es zum Beispiel um die Erschaffung von Musik aus Lärm geht, wie meine Gruppe "Klangkrieg" das macht, dann ist das Entscheidende, ob man nur hört oder ob man wirklich zuhört. Hören ist eine passive Handlung und Zuhören eine aktive: Die Ohren muss man wie ein Instrument benutzen, dann tust du nichts anderes mehr und beginnst eben zuzuhören.
Klangkrieg wurde in 1986 von Felix Kubin und Tim Buhre ins Leben gebracht.
Nur ein Beispiel: Wenn Sie einen klassischen Komponisten bitten, einen guten Popsong zu machen, würde bei 99 Prozent nichts dabei rauskommen. Alle glauben, es sei simpel, aber das stimmt nicht – einen guten Popsong zu schreiben, ist sehr schwer."
Welche Rolle spielt die Technik in Ihrer Musik? Unter denen, die sich mit Elektronik beschäftigen, prallen zwei Überzeugungen aufeinander. Die einen jagen der neuesten Software hinterher, die anderen schwärmen für große vorsintflutliche Analog-Synthesizer.
Ein Instrument ist einfach ein Hilfsmittel, ganz im wörtlichen Sinne. Etwas, mit dem man seine Ideen ausdrückt. Vielleicht besitze ich etwas, das gut zu meinem alten "Korg"-Synthesizer passt. Volle zehn Jahre habe ich ihn vernachlässigt; ich wusste nicht, wie man ihn live benutzt, wie man die Musik erzeugt. Aber dann habe ich gelernt, die Filter und Hallgeräte zu benutzen. Ich habe entdeckt, dass man mit dem Sythesizer sehr stabile Töne erzeugen kann. Sie besitzen eine ganz eigene Schönheit, die perfekt zu mir passt. Ich jage keiner Spitzentechnologie hinterher; ich habe einfach keine Zeit dafür. All diese so genannten Innovationen halte ich für Fake, einen Werbetrick der Hersteller. Eine grundlegende Neuerung war nur die Erfindung des Samplers. Oder die des Tonbandgeräts. Sehr viel mehr wird es wohl nicht geben.
Bei einer Bekannten von mir hängt zu Hause ein Plakat, auf dem steht: "In unseren Tränen ist Wodka. Trinken wir sie!" Was ist in Ihren Tränen: Mehr Wodka oder mehr Alsterwasser?
Ich stehe auf Wodka! Ein tolles Getränk, sehr rein und stark. Als ich sechzehn Jahre war, wollte ich wissen, wie viel ich trinken konnte. Danach ging es mir sehr schlecht. Dann musste ich mir anhören, dass ich einem Mädchen eine Ohrfeige verpasst und irgendjemand mich verprügelt hätte. Aber ich erinnere mich nur noch daran, dass ich mit einem unglaublichen Kater aufgewacht bin und dass mir alles wehgetan hat. Sonst konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Black out. Danach konnte ich noch anderthalb Jahre lang keinen Wodka mehr riechen, von trinken ganz zu schweigen. Aber jetzt habe ich mich wieder mit ihm ausgesöhnt. Ich kann nicht sagen, dass ich gerade viel trinke, aber ein bisschen Wodka vor dem Konzert schadet nichts. Wodka und Adrenalin passen gut zusammen!
Rock-Energie im Elekro-Format.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Programmzeitschrift "Afischa"
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