In Moskau leben Religionen friedlich nebeneinander. Foto: AFP
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Moskau eine der „gebetsfreudigsten“ Städte der Welt. So konnten sich bis 1917 Gläubige in fast 1000 Gotteshäusern versammeln, sämtliche Hauptreligionen waren vertreten, auch wenn natürlich die Russisch-Orthodoxe Kirche – die offizielle Konfession des Russischen Reichs – dominierte. Hier in Moskau, in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale des Kreml, wurden zwischen 1547 und 1896 die Zaren gekrönt, selbst in der Zeit, als St. Petersburg Hauptstadt und politisches Zentrum Russland war.
Der Machtantritt der Bolschewiki im Jahre 1917 und die von ihnen betriebene Propagierung eines militanten Atheismus setzten diejenigen, die sich zu ihrem Glauben bekannten, erheblichen Risiken aus. Es begann eine planmäßige Vernichtung des jahrhundertealten religiösen Erbes. Kirchen wurden abgerissen oder bestenfalls zu Filmtheatern, Kulturhäusern, Bibliotheken und Lagerhallen umfunktioniert, die Glocken zu Waffen umgeschmolzen, die Reliquien und Preziosen Museen übergeben oder gänzlich außer Landes gebracht. Der kulturhistorische Wert der sakralen Architektur interessierte die Sowjetführung nicht. So erläuterte beispielsweise Nikita Chruschtschow, damals 1. Sekretär des Moskauer Gebietskomitees der Kommunistischen Partei, im Jahre 1937 die Pläne zur Neugestaltung der Hauptstadt folgendermaßen: „Wir dürfen keine Angst davor haben, einen Baum zu fällen, eine Kirche oder irgendeinen Tempel abzureißen.“ Die Folge dieser Politik war, dass lediglich jedes vierte Gotteshaus in Moskau überlebte. 1990 zählte die Stadt nur noch wenig mehr als 250 religiöse Weihestätten, die verschiedenen Glaubensgemeinschaften gehörten.
In den 1980er Jahren begann die schrittweise Rückgabe von Kirchen und Reliquien an die Gläubigen. Zum Symbol dieses Prozesses wurde das zentrale Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche – die 1883 erbaute Christ-Erlöser-Kathedrale am Moskwa-Ufer unweit des Kreml. Sie war 1931 auf persönliche Anordnung Stalins gesprengt worden und wurde in den 1990er Jahren wiedererrichtet.
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Eine kleine Statistik veranschaulicht die heutige Situation: Gegenwärtig gibt es in Moskau 645 Kirchen, in denen Gottesdienste abgehalten werden. Es handelt sich überwiegend um russisch-orthodoxe Gotteshäuser, doch in der Hauptstadt findet man auch 7 Synagogen, 3 Moscheen, 2 römisch-katholische sowie 3 evangelische Kirchen. Insgesamt sind etwa 900 religiöse Organisationen offiziell registriert, sie vertreten mehr als 40 Konfessionen.
Kreuze und Zwiebelkuppeln: das Neujungfrauenkloster
Das Neujungfrauenkloster. Foto: Wikimedia
Obwohl das Wetter nach draußen lockt und man sich direkt in der Innenstadt befindet, ist es hier anheimelnd still. Zu der schmucken Grünanlage, die sich vor den dicken weiß-roten Mauern des Neujungfrauenklosters erstreckt, dringt nicht der Lärm im Stau steckender Autos hinüber, sondern Glockengeläut. In einem malerischen Teich tummeln sich Enten.
Das bereits im 16. Jahrhundert gegründete und bis in das 17. Jahrhundert hinein im Stil des „Moskauer Barock“ ausgebaute Neujungfrauenkloster zählt zu den eindrucksvollsten Sakralbau-Ensembles der russischen Hauptstadt. 2004 wurde es in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen, 2010 konnten die umfangreichen Restaurierungsarbeiten abgeschlossen werden. Jetzt präsentiert sich das architektonische Glanzstück einer stetig wachsenden Zahl von Touristen in seiner alten Herrlichkeit. In der wechselvollen Geschichte beherbergte das Neujungfrauenkloster nicht wenige weibliche Angehörige großer russischer Adelsfamilien, die – freiwillig oder unfreiwillig, als Nonnen oder Gefangene – hier lebten. Die berühmteste unter ihnen ist sicher die Zarentochter Sofja Alexejewna, die als Rivalin im Kampf um die Macht von ihrem Halbbruder Peter I. in das Kloster verbannt wurde.
Im Zusammenhang mit der Rückgabe der zumeist außerordentlich wertvollen Heiligtümer der Russisch-Orthodoxen Kirche an die Gläubigen streitet Russlands Öffentlichkeit bis heute darüber, wer für die Pflege, Instandhaltung und Sicherung zuständig sein soll – staatliche Museumsmitarbeiter oder die Kirche.
Das Ensemble des Neujungfrauenklosters ging erst vor einem Jahr vollständig in den Besitz der Russisch-Orthodoxen Kirche über, zuvor befand sich hier eine Außenstelle des Staatlichen Historischen Museums. Jetzt bemüht sich der Klerus um die Gewinnung von Fachleuten, die die Erhaltungs- und Restaurierungsarbeiten fortführen könnten. So bedürfen beispielsweise die Anfang des 16. Jahrhunderts entstandenen einzigartigen Fresken der zum Gebäudekomplex gehörenden Mariä-Entschlafens-Kathedrale besonderer Pflege. „Die uralten Fressen sind gewöhnt an die Temperaturschwankungen, die über mehrere Jahrhunderte hinweg in dieser Kirche geherrscht haben. Jetzt untersuchen Wissenschaftler den Zustand der Kunstwerke“, erklärt Mutter Margarita, die Vorsteherin des Klosters.
Kirchturmspitzen und Buntglasfenster: die Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria
Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria. Foto: Wikimedia
In diesem Jahr begehen die Moskauer Katholiken ein Doppeljubiläum: den 20. Jahrestag der Wiederherstellung römisch-katholischer Kirchenstrukturen in Russland sowie das einhundertjährige Bestehen ihrer Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria in der Malaja-Grusinskaja-Straße. 1938 hatte die Sowjetmacht das Gotteshaus geschlossen, die schöne neogotische Fassade wurde bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet. In den 1990er Jahren ermöglichten Spenden gemeinnütziger Organisationen sowie der Katholiken vieler Länder die Wiederherstellung der Kathedrale.
Katholische Kirchen sind in Moskau bis heute eine Seltenheit, es gibt lediglich zwei von ihnen, vor der Revolution des Jahres 1917 waren es drei. Regelmäßige Konzerte und die hervorragenden Akustik locken auch zahlreiche weltliche Besucher in die Malaja-Grusinskaja-Straße. So wird beispielsweise im November Robert Quinney, der Organist der Trauungszeremonie von Prinz William und Kate Middleton, in der Kathedrale gastieren.
„Nicht nur bei Konzerten, auch in sämtlichen Gottesdiensten erklingt bei uns echte Orgelmusik, insgesamt haben wir drei Orgeln. Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre. Vor Kurzem wurde ein Café eröffnet, das zur Kirche gehört und ständig von sehr vielen Ausländern mit Kindern besucht wird. Deshalb hat man das Gefühl, gar nicht in Moskau, sondern irgendwo in Europa zu sein“, erzählt Ljudmila aus der Kirchengemeinde.
Glas und Geschichte: die Synagoge in der Bolschaja-Bronnaja-Straße
Synagoge in der Bolschaja-Bronnaja-Straße. Foto: bronnaya.ru
Im Unterschied zu den Sakralbauten der meisten Konfessionen muss eine Synagoge nicht nach bestimmten architektonischen Normen errichtet werden und kann sogar in einem normalen Raum eines gewöhnlichen Hauses untergebracht sein. Die Moskauer Synagogen werden jedoch immer komfortabler für die Gläubigen und interessanter für Touristen. Beispielhaft sei hier die Synagoge in der Bolschaja-Bronnaja-Straße Nr. 6 genannt. Ihr grundlegender Umbau nach Plänen des Moskauer Architekten G. Estrin wurde 2005 als eines der gelungensten Architekturprojekte gewürdigt. Durch die Glasfassade des fünfstöckigen Gebäudes fällt der Blick auf das originalgetreu rekonstruierte erste jüdische Gebetshaus in Moskau, dessen Errichtung der Unternehmer, Bankier und Mäzen Lasar Poljakow 1883 finanzierte. „Es handelte sich um ein zweistöckiges Bauwerk, ein ehemaliges Herrenhaus, das für Synagogalzwecke umgestaltet wurde“, erläutert Schlomo, der in der Synagoge als Dolmetscher tätig ist.
Während der Zeit der Sowjetmacht war in der Bolschaja Bronnaja Nr. 6 das Haus des künstlerischen Laienschaffens untergebracht. Erst 1991, 54 Jahre nach der Zwangsschließung der Synagoge, fanden hier wieder Gottesdienste statt. Jetzt steht auf dem Dach des Gebäudes auch ein gemütliches koscheres Restaurant allen interessierten Besuchern offen.
Minarette und mehr Platz: die Moschee in der Minsker Straße
Foto: Lori Images/Legion Media
Die jüngste Moschee Moskaus wurde im September 1997 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 850. Jahrestag der Gründung der russischen Hauptstadt eröffnet und dem Gedenken an die im 2. Weltkrieg gefallenen muslimischen Soldaten der Roten Armee gewidmet.
Die nach Plänen des Architekten I. Tadshijew errichtete Gedächtnismoschee ist Bestandteil eines interreligiösen Gebäudekomplexes, der im Stadtteil Otradnoje auf dem Gelände des Siegesparks entstanden ist. Das sakrale Ensemble besteht aus der Moschee, einer Synagoge mit angeschlossenem Museum sowie einer russisch-orthodoxen Kapelle, die den Namen des Heiligen Großmärtyrers Georgi trägt. Man könnte sich keinen passenderen Standort für dieses überkonfessionelle Zentrum vorstellen, soll der Siegespark doch all denjenigen ein Denkmal setzen, die für die Freiheit des Vaterlandes kämpften – unabhängig von ihrer Konfession.
„Unsere Moschee ist im Vergleich zu den anderen geräumiger“, freut sich Schamil-Chasrat Aljautdinow, der Imam der Gedächtnismoschee. „Wir haben so viele Räume wie nur möglich für das Gebet vorgesehen.“ In der Tat wirkt das Gotteshaus großzügig und festlich, neugierige Besucher werden wohlwollend empfangen. Freundlich erläutern ihnen Mitarbeiter die Verhaltensregeln in einer Moschee, sie dürfen das Gebäude besichtigen, werden zu öffentlichen Vorträgen des Imam eingeladen und können Führungen bestellen
Insgesamt leben in Moskau etwa zwei Millionen Muslime, die Zahl der Menschen islamischen Glaubens in der russischen Hauptstadt wächst ständig, hauptsächlich durch den Zustrom von Migranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken.
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