500 Jahre Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen

Die Gründung von Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, geht auf das Jahr 1005 zurück. Heute ist sie ein Symbol des Religionsfriedens. Foto: Lori_Legionemedia

Die Gründung von Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, geht auf das Jahr 1005 zurück. Heute ist sie ein Symbol des Religionsfriedens. Foto: Lori_Legionemedia

Von Kasan aus bekriegten sich die Tataren einst mit Moskau. Heute ist die Stadt ein wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum mit christlichen Kirchen und Moscheen.

Wer die Stadt an der Wolga 700 Kilometer westlich von Moskau vor zehn Jahren verlassen hat und heute zurückkehrt, erkennt sie nur mit Mühe wieder. Das Stadtbild prägt wie eh und je der weiß-blaue Kasaner Kreml mit seinen christlich-orthodoxen Zwiebeltürmen, aber neu hinzugekommen sind 2005 die Minarette der Kul-Scharif-Moschee. 


Kleine, verfallende Häuser aus Ziegeln und Mauersteinen werden derzeit wieder aufgebaut und mit frischer Farbe getüncht. Mancherorts müssen sie allerdings Hochhäusern aus Stahl und Glas weichen. Ganze Stadtviertel haben ein neues Gesicht bekommen. Die pulsierende, lebensfrohe Stadt, die 2005 ihr tausendjähriges 
Jubiläum feierte, hat inzwischen eine Metrolinie, besitzt mehrere Sportarenen, einen der größten Technoparks in Europa (Idea) sowie seit Anfang 2000 Tausende von Quadratmetern an Wohn- und Büroflächen. „Die Stadt verändert sich rasant“, meint Chaidar Chaliullin, 57, der seit Langem in Kasan lebt. „Neue Gebäude schießen wie Pilze aus dem Boden.“

Derzeit entstehen besonders viele Sportanlagen. Längst laufen die Vorbereitungen für die Sommer-Universiade 2013. Und 2018 ist Kasan einer der Austragungsorte der Fußballweltmeisterschaft.  Leser der größten Sportzeitung Sowjetski Sport kürten Kasan deshalb 2009 zur russischen Sporthauptstadt. Die Stadt selbst sieht sich lieber als die „dritte Hauptstadt“ des Landes – und meldete 2009 beim Patentamt das Recht auf diesen Titel an.

Helikopter, Öl, Touristen

Milliarden von Rubeln sind in die als Produktionsstandort bekannte Republik geflossen. Hier
fördert Tatneft Öl, Kazan Helicopters produziert Mi-8-Hubschrauber, daneben sind die
chemische Industrie und die Landwirtschaft von Bedeutung. Die starke Industrialisierung ist
jedoch kein Hindernis für Touristen: Eine Million besuchte die Stadt im letzten Jahr. Laut einer aktuellen Studie der New Economic School und der Beratungsfirma Ernst & Young rangiert Kasan an erster Stelle aller russischen Städte, was das Investitionsklima angeht.

Stadt und Republik sind bemüht, ausländische Investoren anzulocken. Islamische Anleihen namens Sukuk, bei denen keine Zinsen auf das angelegte Kapital fällig sind, werden voraussichtlich noch in diesem Jahr erstmalig in Kasan angeboten.  Kleinere Unternehmen machen etwa 25 Prozent des wirtschaftlichen Volumens der Region aus, das ist mehr als der nationale Durchschnitt von 20 Prozent. „Es ist wichtig für uns, dass wir ein geschäftliches Umfeld schaffen, in dem jeder unternehmerisch Denkende und Agierende ein
eigenes Geschäft eröffnen und erfolgreich betreiben kann“, erklärte Präsident Rustam Minnichanow, seit 2010 im Amt, auf einer Konferenz im März.

Ein Klima der Toleranz

Mittelständische Unternehmen hätten noch viel Entwicklungsspielraum, meint Chaidar Chaliullin, Vorsitzender des Verbands kleiner und mittlerer Unternehmen in Tatarstan. „Ich kann nicht sagen, dass Kleinbetriebe sich so entwickeln, wie es möglich wäre“, stellt er fest, „sie könnten aber wachsen, wenn der Präsident seine politische Linie beibehält.“ 

Trotz der muslimischen Wurzeln Tatarstans ist Kasan eine multi-kulturelle Stadt. Moscheen, orthodoxe Kirchen, enge, europäisch anmutende Straßen mit
barocker Architektur, große
sowjetische Wohnblocks und hypermoderne Hochhäuser fügen sich erstaunlicherweise zu einem harmonischen Ganzen. Alle Straßenschilder sind in Russisch und Tatarisch beschriftet, beide Sprachen sind auf der Straße zu hören. In Kasan ist die Bevölkerung Fremden gegenüber auffallend freundlich gesinnt – egal welcher Hautfarbe oder Nationalität. Die Wege kreuzen sich, man toleriert die Gepflogenheiten des anderen. In Juweliersläden werden neben christlichen Kreuzen islamische Ringe verkauft.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Moscow Times.

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