Chabarowsk. Foto: Borya
Darüber hatte mir mein Freund Igor aus Chabarowsk schon erzählt, als er in Moskau zu Besuch war und mit großen Augen über die Straßen der Metropole lief. In seinen 27 Jahren war es sein erster Besuch in der Hauptstadt. Mein erster Besuch im Fernen Osten folgte ein Jahr darauf. Als Igor erfuhr, dass ich nach Chabarowsk unterwegs bin, stellte er mir nur eine Frage: „ Was willst du in dieser von Gott verlassenen Stadt machen?!“
Die sauberste Stadt Russlands
Zu machen gab es in der Stadt am Fluss Amur so Einiges. Auch wenn für meinen Freund Igor seine Stadt im Vergleich zur Hauptstadt so öde erscheint, wie nur möglich. Seinen Worten nach, gibt es noch nicht einmal etwas zu zeigen, dabei ist Chabarowsk wunderschön. Letztes Jahr bekam sie den Titel der saubersten Stadt Russlands – und das ist keine Übertreibung. Die breiten Straßen sind wie ausgeleckt, die Bürgersteige – poliert. Auf den Plätzen – Springbrunnen, die Flusspromenade mit Sandstrand und Wi-Fi. Übrigens ist es ganz schön anstrengend in Chabarowsk spazieren zu gehen – die Stadt ist auf Hügeln gebaut, deswegen geht es immer rauf und runter. Es ist so eine Art Achterbahn-Gefühl. Man sagt, die Einheimischen haben deswegen sehr durchtrainierte Beine. Allem Anschein nach scheint dies zu stimmen. Auch das Team von „Deutsch unterwegs“ fand an dieser Stadt Gefallen. Die Menschen empfingen uns mit offenen Armen und Herzen. Außer, dass tatsächlich viele an der Deutschen Kultur interessiert sind und einige sogar sehr gut Deutsch sprechen, ist auch das Nachtleben erfüllt. Ein Abend in einer Bar für richtige Kerle – für Biker, blieb mir persönlich in Erinnerung als Platz, in dem wir tiefgründig Gespräche führten, mit Jugendlichen, die nicht unbedingt von Kopf bis Fuß tätowiert sind und in Leder gekleidet, mit Totenköpfen auf ihren Shirts. Hier treffen sich einfach alternativ gesinnte junge Menschen. Dieser Abend endete für einige von Ihnen und einigen von uns am und sogar im Amur.
Chabarowsk-Geschichten
So spazierten wir also auch mit Igor über die Promenade. Dann fing der Blitz an ins Wasser einzuschlagen. Irgendwo in der Ferne. Erst lautlos, doch bald fing es an zu donnern. Wir liefen möglichst schnell vom Wasser weg. Ein gespenstisch wirkender Alter, mit einer Wodkaflasche in der Hand kam uns entgegen. Er blieb stehen und musterte uns von Kopf bis Fuß, dann donnerte es so laut, wie ich es noch nie gehört hatte. Bevor ich mich auch so Hals über Kopf in Richtung Stadtzentrum stürzte, rief der Trunkenbold, wir sollen uns beeilen, sonst könne uns der Blitz treffen. Mein Einheimischer Freund Igor blieb im Gegensatz zu mir, völlig ruhig und erzählte seine Geschichten über die Denkmäler, Häuser und Straßen der Stadt unbeirrt weiter. Im naheliegenden Park kamen wir an einem Teich vorbei. Dort, erzählte mir Igor, liegt irgendwo auf dem Grund ein funkelnder Diamantenring. Diesen schenkte ein junger Mann seiner Geliebten, - nachdem er dafür sein Auto verkauft hatte. Er überreichte ihr den Ring an diesem Tümpel, sie musterte ihn ausgiebig, dann ihren Freund, dann wieder den Ring und schmiss ihn im hohen Bogen in den Teich. Ende der Geschichte. Typisch russische Frauen. Sie fühlte sich gekränkt, weil sie davon ausging, dass dieser Ring unmöglich echt sein könne. Diese Geschichte machte in ganz Chabarowsk die Runde. Ab und an sieht man noch irgendwelche einsame Seelen und Schatzsucher in dem Tümpel tauchen – auf der Suche nach dem Diamanten.
Chabarowsk endete für mich beim Radio – dort arbeitet Igor und ich durfte ihn besuchen. Ein sowjetisches Gebäude auf einem Hügel platziert, mit dem besten Blick auf den Fluß, das graue, unruhige Wasser, der fast weiße Sandstrand, der stürmische Wind: Chabarowsk ist eine temperamentvolle Stadt.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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