Der Mann, der die Welt verändert hatt. Foto: AP
Es heißt, dass Steve Jobs 1983 den damaligen Präsidenten von PepsiCo, John Sculley, überredete, zu Apple zu wechseln. Jobs hatte ihn gefragt, ob er sein ganzes Leben lang Limonade verkaufen oder doch lieber die Welt verändern wolle. Warum wohl mag Sculley, ein erfolgreicher Marketingexperte, damals bereits weit über 40, sich auf eine solch unverblümte Ansage eingelassen haben? Wahrscheinlich, weil er sich die eigene Rolle in der Weltgeschichte tatsächlich anders vorgestellt hatte und von Jobs einfach überrumpelt wurde, wie hoch ein Ziel gesetzt werden kann.
Eine solche Zielsetzungsfähigkeit, sprich das Vermögen, sich selbst die
richtigen Aufgaben zu stellen, entwickeln die Menschen immer seltener.
Eigentlich müsste man so etwas in besseren Wirtschaftsschulen lehren,
denn gerade im Big Business spielt dieser Skill die größte Rolle. So ist
beispielsweise Google, das genau wie Apple in einer Garage geboren
wurde, ausschließlich dadurch zum Erfolg gekommen, dass seine Gründer
eben mehr wollten als eine weitere Suchmaschine: Sie wollten einfach
alle Informationen der Welt erfassen. Die Tatsache, dass diese
gigantomane Aufgabe eigentlich nicht umsetzbar ist, zwingt Google dazu,
immer weiterzugehen -
wie ein Esel hinter der Mohrrübe. Wäre die Zielsetzung aber eine
geringere gewesen, wäre Google wohl längst dem Dotcom-Tod erlegen wie
einst AltaVista.
Daraus könnten viele russische Mitbürger lernen. Denn es ist gar nicht so schwer, sich kaum lösbare Aufgaben zu stellen -
viel schwieriger ist es zu begreifen, warum man das tun muss. Diese
Fähigkeit, sich ein Ziel zu setzen, sollte fest in den Köpfen verankert
sein und steht doch in Russland derzeit auf unterstem Niveau.
Nehmen
wir als Beispiel die Zielsetzungen der Generation, die Anfang der
1990er geboren wurde, also jener jungen Menschen, die die gravierendsten
Umbruchphasen in ihrer Kindheit überdauerten und eigentlich in der
Stabilität aufwuchsen. Die „Macher“ unter ihnen würden am liebsten im
Ausland studieren; die „Geschäftsleute“ träumen von der
Selbstständigkeit, indem sie kleinere Internetläden gründen, deren
einziges Geschäftsmodell darauf basiert, billig aus dem Ausland
Importiertes zum dreifachen Preis zu verkaufen. Die „Künstler“ denken
nur an Wettbewerbe und Preise. Und selbst die patriotisch
fixierten
Abhänger der kremltreuen „Naschi“-Jugendbewegung, die schließlich keine
klinischen Idioten, sondern einfach nur Kinder sind, denen kein besseres
Freizeitmodell geboten wurde, träumen von der Karriere eines
Vorstandsvorsitzenden bei einem der vielen Energieriesen.
Ich
vermute, dass sich die Probleme Russlands nicht etwa wegen Korruption,
Schmiergeldern oder Blaulichtern häufen. Vielmehr sind sie Resultat
dürftiger Zielsetzungen. Die Bürger träumen karg. Und wenn man karg
träumt, wird es schwierig mit Dingen wie zivilgesellschaftlichem
Selbstbewusstsein. Wie soll das auch gehen, wenn man schon als
Jugendlicher davon träumte, möglichst viel Öl zu verkaufen und sich in
ein Steuerparadies abzusetzen? Damit die Idee einer Zivilgesellschaft
überhaupt attraktiv werden kann, müsste wenigstens jeder dritte
russische Schüler heute etwas anderes wollen als nur einen weichen Stuhl
für seinen dicken Hintern.
Dabei müssten sie gar nicht die Welt
umkrempeln wie Steve Jobs. Für den Anfang könnten sie ja von sauberen
und ebenen Straßen für das ganze Land träumen. Oder von einer
unabhängigen Justiz. Oder vielleicht auch sogar davon, dass sie ein Loch
zum Mittelpunkt der Erde bohren. Und erst hinterher sollten sie die so
beliebte Politik der kleinen Schritte für die Lösung größerer Aufgaben
anwenden: vor der eigenen Tür kehren, keine Schmiergelder mehr bezahlen
und das erste Loch im Sandkasten graben. Nach der großen Zielsetzung
- nicht vorher.
Daniil Dugajew ist Chefredakteur des Reisemagazins Afischa-Mir, in dem dieser Beitrag zuerst erschien.
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