Die Stimme des Staates

Die Dumawahlen 2011 machen in Russland viel Skandal. Foto: Reuters

Die Dumawahlen 2011 machen in Russland viel Skandal. Foto: Reuters

Der massive Einsatz der staatlichen Druckmittel im Wahlkampf erstaunt, denn es ist absehbar, dass die Regierungspartei Einiges Russland die Wahlen am 4. Dezember gewinnen wird (Das Endergebnis wird nur am 24. Dezember veröffentlicht, das vorläufige Ergebnis steht bei 49,54 % für Einiges Russland). Nach Umfragen des Lewada-Zentrums vom November 2011 wollen 56% der Befragten für die „Bären“ (Logo der Partei ist ein Bär) stimmen. Wozu also die aufwändige Mobilisierung staatlicher Ressourcen?

„Wir haben kein Recht, eine andere Partei als Einiges Russland zu wählen“, ruft der Präsident Udmurtiens, Aleksandr Wolkow in den Saal. Denn Stabilität und Einheit des Landes dürften nicht gefährdet werden, mahnt das Oberhaupt der russischen Teilrepublik. Der Gouverneur des Gebietes Omsk, Leonid Poleschajew, warnt vor Enteignungen, wenn nicht die Regierungspartei wieder an die Macht käme. Dies sind nur zwei Beispiele, wie Staatsvertreter ihre Machtstellung einsetzen, um Einiges Russland am 4. Dezember ein gutes Resultat zu sichern. Die Karte der Verletzungen des Wahlrechts der unabhängigen Wahlbeobachtungsorganisation Golos hat mittlerweile mehr als 4.800 Verstöße registriert.


Der häufigste Grund: der Einsatz administrativer Ressourcen, d.h., Vertreter des Apparates agitieren und setzten Staatsbedienstete unter Druck. „Es sind nicht nur die Anweisungen von oben, die Initiative geht auch von unten aus“, sagt Oleg Sawelew, Mitarbeiter des Lewada-Zentrums. Die Menschen erfüllten im vorauseilenden Gehorsam die Erwartungen ihrer Vorgesetzten, weil sie sich Vorteile und Auszeichnungen erhoffen. Oft würden sie unter Druck gesetzt, so seine Beobachtung. Lehrern werde beispielsweise gedroht, dass sich die Finanzierung ihrer Schule verschlechtert, wenn sie nicht das gewünschte Ergebnis abliefern. Die Initiative für den Einsatz der staatlichen Ressourcen geht seiner Meinung nach von der Parteiführung von Einiges Russland aus.


Für den Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow, Ko-Vorsitzender der Partei der Volksfreiheit (Parnas) gibt es zwei Gründe für die massive staatliche Beeinflussung. " Regierungschef Wladimir Putin will die Zweidrittel-Mehrheit in der Duma, damit jeder seiner Entscheidungen angenommen wird.“ - so Ryschkow. Tatsächlich hatte Putin Ende November die Fraktionsführung von Einiges Russland aufgefordert, die maximale Stimmenzahl zu sichern. „Wenn wir jetzt das Parlament verwässern … dann bringt uns das an den Rand, an dem sich unsere Partner und Freunde in Europa befinden“, sagte Putin laut The New Times. Außerdem sei ein möglich hohes Wahlergebnis eine Frage des Prestiges, meint Oppositionspolitiker Ryschkow. „Autoritäre Führer wollen die Liebe des ganzen Volkes. Putin hatte eine Zustimmung von 70%. Er kann jetzt nicht zugeben, dass es nur noch die Hälfte ist“, meint der Parteivorsitzende von Parnas, der wie einigen anderen Oppositionsparteien die Registrierung verweigert wurde. Um das Ergebnis von vor vier Jahren zu erreichen, müssten administrative Methoden angewendet werden“, stimmt der politische Analyst Aleksandr Filippow zu. „Das effektivste Mittel ist hier die Fälschung“, sagt Filippow laut Kommersant.ru.


Aber auch das Wahlgesetz stimuliert den Einsatz administrativer Ressourcen. Denn die Regionen mit den besten Ergebnissen erhalten die meisten Mandate in der Duma. So war es bereits 2007, als beispielsweise in Tschetschenien mehr als 99% der Wähler laut offiziellen Angaben für Einiges Russland stimmten und vier Abgeordnete nach Moskau entsendet wurden. Der etwa gleich große Wählerbezirk Kostroma erhielt hingegen nur ein Mandat, obwohl auch hier Einiges Russland die Mehrheit erreicht hatte. Die Aufgabe der Republikführung ist deshalb klar: einen maximalen Prozentsatz für Einiges Russland zu erzielen. Nicht zuletzt sei das Ergebnis auch ein Indikator für die Effektivität der Arbeit der Gouverneure, meint Filippow.


„Die Führungsriege um Putin ist von der sowjetischen Mentalität geprägt“, sagt der unabhängige Politologe Dmitrij Oreschkin. „Sie sieht sich als Elite, die die Volksmassen unter Kontrolle hält. Die hohe Zustimmung wird als Zeichen der Konsolidierung der Macht benötigt.“ Stalin habe eine Zustimmung von 99% gefordert, jetzt liege die Zielmarke bei zwei Drittel der Stimmen. Ein hohes Wahlergebnis hat die Funktion die Ergebenheit der Regionen gegenüber Moskau zu illustrieren. Der Konsens mit den regionalen Eliten bestehe darin, dass sich das Zentrum nicht zu stark in die Angelegenheiten der Regionen einmischt, die Regionen dafür ihre Loyalität mit hohen Wahlergebnissen zeigen, erläutert Oreschkin. „Wie die Gouverneure das Ergebnis sichern, mit Einschüchterung oder Stimmenkauf, das ist egal.“ Das Problem sei, dass die Gesellschaft mit diesem Konsens immer weniger zufrieden sei, denn die Einkommen sinken seit 2009. „Gerade mittelalte Männer und Rentner sind am meisten enttäuscht.“ Manche seien müde von dem ewig gleichen Mann an der Macht, manche genervt von der Korruption oder hätten Angst, ihr Eigentum wieder zu verlieren. „Es bildet sich ein Bürgerbewusstsein heraus, die Menschen sind nicht mehr nur Rädchen im staatlichen Getriebe.“  In einigen Städten wie Moskau und St. Petersburg oder dem Gebiet Kaliningrad schätzt Oreschkin die reale Unterstützung auf 20% bis 25%.  Um ein Ergebnis von mehr als 50% zu sichern, müsse deshalb heute stärker gefälscht werden als noch 2007. „Wenn vor vier Jahren etwa 15% der Stimmen dazugeschrieben wurden, müssen es jetzt etwa 25% sein.“ Eine Fälschung von solchem Ausmaß werde aber die Proteste der Städter und Internetnutzer auf den Plan rufen, prognostiziert der Politologe. „Es ist ein Mythos, dass alles unter Kontrolle ist.“

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