Eröffnungs-Zeremonie der Unterwasser-Pipeline "Nord Stream". Foto: dpa/Vostok Photo
Bei der Einweihungsfeier der Nord-Stream-Pipeline am 8. November in Lubmin wirkten Kanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Dmitri Medwedjew enthusiastisch. Flammende Reden wurden gehalten, die Energiechefs beider Seiten gelobten eine rundum vorteilhafte Partnerschaft. Worüber sie hinwegredeten: 2009 gefährdete Russland sein Image als zuverlässiger Lieferant, indem es wegen eines Gasstreits mit der Ukraine Europa zum Frösteln brachte.
Nach Eröffnung der ersten Nord-Stream-Röhre war der Energieriese Gazprom seinem erklärten Ziel näher gerückt: nämlich einem Ausschluss sämtlicher Transitrisiken. Gemeint ist die Situation vom Januar 2009. Damals geriet der Transport von russischem Gas durch die Ukraine gänzlich außer Kontrolle. Der westliche Nachbar Russlands bediente sich aus der Röhre, konnte aber die Gaslieferungen nicht bezahlen, weshalb Gazprom demonstrativ das Ventil für seine Gasexporte nach Europa schloss und sich promt harsche Kritik aus der EU anhören musste: Die Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Österreich, Kroatien, Bosnien und Herzegowina hatten einen kalten Winter vor sich. Das Image von Gazprom war schwer angeschlagen.
Vor diesem Hintergrund ist Nord Stream für Russland zwar ein kostspieliges, aber lukratives Geschäft. Es kann als sicher gelten, dass Gazprom bis Ende 2012 die Pipeline auf die geplante Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern hochfahren wird. Bis dahin ist auch der zweite Strang von Nord Stream fertiggestellt, und fast 33 Milliarden Kubikmeter Gas werden aus dem ukrainischen Gastransportsystem in die neue Leitung umgelenkt. Dies entspricht einem Drittel des Transitvolumens, über das der Eigentümer des ukrainischen DTS Ukrtransgas (einer Tochterfirma der nationalen Aktiengesellschaft Naftogas) verfügt. Die Transitzahlungen Gazproms an die Ukraine werden entsprechend sinken.
Der Traum vom Monopol
Seit Langem schon ist Gazprom das ukrainische Pipelinesystem, dessen Kontrolle es gerne selbst innehätte, ein Dorn im Auge, und mit Nord Stream hat seine Verhandlungsposition nun an Stringenz gewonnen. Auch in Kiew hat man begriffen, dass dem Monopolisten für gesicherte Exportrouten kein Mittel zu hoch ist. Im November deutete die Gazpromspitze erstmalig an, dass über den Bau einer dritten Röhre diskutiert werde. Diese würde den Transit über ukrainisches Territorium mit den damit verbundenen Kosten redundant machen.
Fände zuvor eine Einigung des russischen Konzerns mit der ukrainischen Regierung über das Gasleitungssystem statt, wären die Lieferengpässe nach Europa ohnehin passé.
„Die Wirtschaftslage Gazproms ist heute weitaus schlechter als vor dem Gaskonflikt 2009“, sagt Michail Kortschemkin vom Analysehaus East European Gas Analysis mit einem kritischen Blick auf den Konzern. „Noch 2008 wirtschaftete er auf Rekordniveau. Das Unternehmen ging mit den Milliarden locker um. Heute sind seine Erträge weit niedriger, die Investitionen hingegen brechen alle Rekorde.“ Deshalb seien neuerliche Lieferengpässe so gut wie ausgeschlossen.
Diversifizierung des Marktes
Entscheidend ist auch, dass sich der europäische Gasmarkt in den letzten drei Jahren stark verändert hat.
Nach dem Gasstreit im Januar 2009 wurde die EU-Verordnung 715/2009 zur Förderung des „grenzüberschreitenden Gashandels“ und zur Erhöhung der „Flexibilität auf dem Erdgasbinnenmarkt“ erlassen. In dem Dokument werden verschiedene Maßnahmen zur Gewährleistung der Energieversorgung durch Gas vorgeschlagen: ein innereuropäisches Leitungsnetz, ausreichende grenzüberschreitende „Gasfernleitungskapazitäten“ und die Eingliederung von Flüssigerdgas (LNG) ins Transportsystem.
Sollte es also durch Gazprom zu weiteren Engpässen kommen, wird Europa mit Lieferunterbrechungen weit besser fertig als noch 2009, dank alternativer Routen und Lieferanten. Hinzu kommt, dass Gazprom schon jetzt Anteile am europäischen Gasmarkt durch die vermehrten LNG-Lieferungen anderer Länder verloren hat.
Folglich ist Europa in diesem und auch in den nächsten Wintern auf einen zeitweiligen Stillstand der Gaslieferungen besser aufgestellt als noch vor drei Jahren, käme es erneut zu Konflikten zwischen Gazprom und der ukrainischen DTS Ukrtransgas. Der Triumph der Vertragspartner bei der Eröffnung der Nord-Stream-Pipeline kann also nicht durch Nachrichten über die frierenden östlichen Regionen der EU getrübt werden.
Natalia Timakowa schreibt für das unabhängige Magazin RusEnergy.
Das europäische Pipeline-System für Gas aus Russland
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