Parlamentarische Windmühlen

Foto: Itar-Tass

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Seit ihrer Gründung 1993 ringt die Duma, das russische Parlament, um ihr Selbstverständnis. Was haben die 450 Abgeordneten bewegt, was können sie bewegen?

In den knapp zwanzig Jahren seit ihrer Neugründung hat die russische Staatsduma es nicht verstanden, sich zu einem richtigen Legislativorgan oder doch zumindest einer Institution zu mausern, die für die Interessen des einfachen Bürgers eintritt.

Das hat auch seine historischen Gründe: Ihre ersten Gehversuche machte die Duma 1906/07. Damals war sie nur dem Namen nach ein Parlament, die Gesetze erließ weiterhin der Zar. Nach der Oktoberrevolution von 1917 wurde die Duma vom Kongress der Volks-deputierten abgelöst, der unter dem Diktat der Kommunistischen Partei stand. Bis zur Perestrojka 1985 gab es weder Parteienpluralismus noch parlamentarische 
Demokratie. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 schossen dann Parteien aller Couleur wie Pilze aus dem Boden. Zehn Jahre rangen Militärs, Oligarchen, Neoliberale und Altkommunisten in der Duma um Macht und Einfluss, während das Land unter Boris Jelzin international an Gewicht und Ansehen verlor und die Bevölkerung verarmte.

Dann betrat Wladimir Putin die politische Bühne. Mit ihm wurde alles anders, und doch erinnert seine Regierungszeit an die politische Landschaft der Vor-Jelzin-Ära: Wie Frankreich und Amerika hat Russland ein präsidial-parlamentarisches Regierungssystem, Parlament und Präsident werden in getrennten Wahlgängen gewählt. Die Regierung bildet der Präsident, der auch den Ministerpräsidenten vorschlägt. Zwar braucht er für Letzteres die Zustimmung der Duma, doch wird er immer das letzte Wort behalten. Lehnt das Parlament nämlich dreimal einen Kandidaten ab, hat er das Recht, es aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen. Auch neue Gesetze werden in der Präsidialverwaltung ausgearbeitet und dann durch die Regierung beschlossen. Zuvor werden sie der Duma vorgelegt, die ihnen zustimmen oder sie ablehnen kann. Mit der absoluten Mehrheit der Putin-Partei Einiges Russland im 
Parlament ist dieses demokratische Regulativ nicht mehr gegeben. Was zur Folge hat: Heute gehört die Duma zu jenen staatlichen Institutionen, denen die Bevölkerung das geringste Vertrauen entgegenbringt.

Ohne Wirkung und doch einziger Garant für Demokratie


Was passierte, nachdem Jelzin seinen Zögling Putin an die Staatsspitze gehievt hatte? Es kam zu einer Einigung der politischen Elite, die Ende der 90er-Jahre noch tief gespalten war. Das lag am zunehmenden Einfluss der führenden Militär- und Geheimdienstkreise, der Silowiki. Entscheidender waren jedoch die wachsenden Staatseinnahmen durch Öl- und Gasexporte, von denen alle profitierten: die gesamte Bevölkerung, allen voran Politik und Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund hatte Wladimir Putin ein leichtes Spiel. Hinzu kam, dass er sich auf vorteilhafte Weise von seinem Vorgänger Boris Jelzin abhob. Er war jung und dynamisch und erlangte durch seine Volksnähe große Popularität.

Die Konsolidierung der Eliten gipfelte in der Gründung der Pro-Putin-Partei Einiges Russland, in der auch die russische Bürokratie eine Heimstatt fand. 2003 und 2007 errang sie sensationelle Wahlerfolge und verfügte zuletzt mit 315 von 450 Sitzen über die verfassungsgebende Mehrheit in der Duma.

In den 90er-Jahren sah da die politische Landschaft noch anders aus. Präsident, Regierung und Parlament mussten um jedes Gesetz miteinander feilschen. So gesehen war damals die Duma ein funktionierendes demokratisches Organ. Andererseits war die Bevölkerung über die zum Teil chaotischen Verhältnisse in Regierung und Parlament tief verunsichert. Anfang der 1990er herrschte noch Aufbruchstimmung. Als die KPdSU ihre Monopolstellung aufgeben musste, zeigte die Bevölkerung großes Interesse an Zukunftsvisionen und den Programmen der einzelnen Parteien. Doch am Ende des Jahrzehnts musste sie begreifen, dass Parlamentsdebatten weder mehr Lohn und Rente noch eine Verbesserung der medizinischen Versorgung gebracht hatten. Ganz im Gegenteil. Über alles, was den Einzelnen 
betraf, entschieden die direkt gewählten Repräsentanten - Präsident, Gouverneur, Bürgermeister. Der Bürger wandte sich deswegen ohne Wehmut von Parteiendemokratie und Parlamentarismus ab und kehrte zurück zu 
seinem traditionell paternalistischen Verhältnis zur Obrigkeit.

Heute verfügt die Duma zwar über alle Attribute eines Parlaments. Doch gleichen diese einer bloßen Hülle ohne Inhalt. Die Parteifraktionen ähneln Debattierclubs mit einem begrenzten Besucherkreis. Die meisten Abgeordneten lehnen sich untätig zurück und langweilen sich. Andere wirtschaften in die eigene Tasche: Ehemalige Topmanager und Oligarchen begünstigen ihre eigenen Unternehmen, als Anwälte des Volkes taugen sie nicht. Topsportler und andere Prominenz sollen der ansonsten eher tristen Parteienlandschaft zu Glanz verhelfen. Natürlich gibt es auch einige hochqualifizierte und renommierte Fachleute. Sie können zwar nicht die Qualität der Gesetzesentwürfe beeinflussen, die aus der Präsidialverwaltung stammen, ihnen bleibt aber die Möglichkeit einer Kritik, wobei sie immerhin ihr Gewissen beruhigen. Solcherart Debatten verleihen der Duma zumindest den 
Anschein eines demokratischen Organs, aber sie bleiben stets ein Kampf gegen Windmühlen.

Trotz ihrer Wirkungslosigkeit, trotz verfestigter Strukturen ist die Duma dennoch der einzige Garant für die Demokratie in Russland. Denn bei allem Traditionalismus der russischen Gesellschaft gilt doch, dass die letzten 20 Jahre einiges im Selbstverständnis des Bürgers in Bewegung gesetzt haben. Heute nimmt er sein demokratisches Recht wahr und schreitet zur Wahl. Was vor 25 Jahren noch undenkbar erschien, wird man ihm nicht mehr nehmen können. Deshalb misst die Regierung - von der Opposition als autoritär bezeichnet - dem Wahlergebnis eine so bedeutsame Rolle zu.

Wenn weitere Zeit ins Land geht und das Wirtschaftsmodell Russlands sich von den Rohstoffexporten losreißen kann, wird auch die politische Elite nicht mehr ganz so monolithisch agieren. Dieses würde zweifellos die Parteienlandschaft beleben und die Staatsduma vielleicht sogar in ein richtiges Parlament nach westlichem Vorbild verwandeln.

Wiktor Chamrajew ist seit 1996 Parlamentskorrespondent, seit 2004 arbeitet er für die unabhängige Tageszeitung Kommersant.

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