Demos in Moskau. Foto: Ridus.ru
Beantragt wurde noch vor einigen Tagen eine Kundgebung mit 300 Teilnehmern. Dies war – bis zu den Dumawahlen am Sonntag – die gewohnte Größenordnung des öffentlichen Protests in der Zehn-Millionen-Metropole Moskau. Nicht umsonst galten die Russen bisher in der Masse als unpolitisch, apathisch und obrigkeitshörig.
Doch bei den Duma-Wahlen ist ein Knoten geplatzt. Moskaus Stadtverwaltung musste ihre Genehmigung eilig umstricken – nun steht am Samstag eine Demonstration mit 30.000 Teilnehmern an. Auch in 50 anderen Städten wollen tausende gegen Wahlschiebung protestieren.
Die „betrogenen" Parteien, allen voran die Kommunisten und das moderat-linke „Gerechte Russland", haben dabei ihre Anhänger noch nicht einmal mobilisiert – dies könnte eine zweite Welle der Proteste ergeben.
Ein Denkzettel gegen die Blaulicht-Bonzen
Ein Gespenst geht um in Russland – es ist ein Hauch von Revolution. Dabei fing alles in geradezu bester gutbürgerlicher Art an: Die Russen, durch wachsenden Wohlstand, Weltläufigkeit und wirtschaftliche Selbstständigkeit emanzipiert, wollten der seit einem Jahrzehnt selbstherrlich herrschenden Kreml-Partei „Einiges Russland" samt ihrer vielen korrumpierten Blaulicht-Kader einen Denkzettel verpassen – indem man sie einfach einmal nicht wählt.
Das schale offizielle ER-Ergebnis deutet das auch an. Doch die wie eine Lawine durchs russische Internet (das staatstreue Fernsehen schweigt betreten) rollenden Berichte über Wahlmanipulationen aller Art haben die Stimmung endgültig gekippt: Die Protestwähler mussten zusehen, wie eine mit krimineller Energie (Wahlfälschung ist auch in Russland strafbar!) handelnde Koalition aus Wahlverwaltern und Beamten es nicht zulässt, dass ER deshalb auch Mehrheiten in den Parlamenten verliert.
Machterhalt um jeden Preis
Für manche Regionalgouverneure und Partei-Funktionäre scheint die Dreherei am Wahlergebnis die logische Fortsetzung von Mediengleichschaltung und Wahlkampf mit anderen Mitteln zu sein – schließlich geht es um ihre politische (und damit ökonomische) Existenzgrundlage.
Denn wie sagte einmal so schön Wladislaw Surkow, als Vizechef der Präsidentenverwaltung der Chefdesigner des gegenwärtigen politischen Systems: "Man muss schon verstehen, dass wir die Macht nicht mehr abgeben."
Das orange Virus ist ausgebrochen
Zur Demokratie gehört aber, dass man die Spielregeln beachtet – und nicht nur die Formalitäten. Deshalb bekamen Putin und Co. nun innerhalb von Tagen, was sie über Jahre durchaus erfolgreich mit Zuckerbrot, Peitsche und Jubelpersern abgewehrt haben: eine „orange Stimmung" im Land.
Dabei hätte man es ja eigentlich wissen müssen: Auslöser der Revolution 2004/05 auf dem Maidan in Kiew waren Schiebereien – bewiesene wie behauptete – bei den ukrainischen Präsidentenwahlen.
Und was war noch einmal die Initialzündung für „die Wende" in der DDR? Richtig, Wahlfälschungen bei eigentlich zweitrangingen Kommunalwahlen. Mündig werdende Bürger nehmen so etwas übel. Wenn der Staat ihre Stimme auf dem Papier ignoriert, erheben sie sie schnell auf der Straße. Wladimir Putinsollte das eigentlich wissen, schließlich war er damals vor Ort, anno 1989 in Dresden ...
Klar ist, seine Polit-Strategen müssen jetzt radikal umdenken: Die „gelenkte Demokratie" ist aus dem Ruder gelaufen, das Unterdrücken und Ignorieren der Unzufriedenen funktioniert nicht mehr.
Putin steht vor einer demokratischen Herausforderung
Putin bietet ihnen einen „Dialog" an, doch gefragt sind Konzessionen und Konsequenzen – und zwar schnell: Denn schon im März stellt sich Putin selbst zur Präsidentenwahl. Mit einer korrekten Stimmenauszählung und der Bestrafung von Wahlfälschern könnte er sich als Saubermann präsentieren.
Das würde ihm mehr helfen als der Vorwurf, Hillary Clinton steuere die Opposition fern wie eine US-Drohne über dem Hindukusch.
Noch genießt Putin persönlich im Volk viel mehr Vertrauen als seine Partei und auch jeder potentielle Gegenkandidat. Aber wenn er jetzt nicht belegt, dass er seinen Relaunch mit wirklich fairen Wahlen meistern will, könnte der anstehende Urnengang auch zur Beerdigung werden.
Und was nach der bisherigen formal-demokratischen Ära Putin käme, muss nicht unbedingt besser sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Russland-Aktuell.
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