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Die Befürchtung, dass die Politiker nicht in der Lage sein werden, der Staatsschuldenkrise Einhalt zu gebieten, zwingt die europäische Wirtschaft, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Viele globale Unternehmen bereiten deshalb bereits heute einen Aktionsplan für den Fall des Zusammenbruchs der Eurozone vor.
Russische Geschäftsleute glauben dagegen nicht an einen Bankrott der Eurozone. Verträge würden auf Eurobasis ein halbes Jahr im Voraus abgeschlossen und man sehe keine Veranlassung für eine Revision, erklärt Alexander Arutjunow, Mitglied des Vorstands der Joint-Venture-Gesellschaft Thomas Cook / Intourist. „Selbst wenn irgendein Land aus der Eurozone austritt, können wir die Preise, solange wir den Kurs der Währung nicht kennen, doch gar nicht korrigieren, ergänzte Arutjunow.
„Ich halte nichts von pessimistischen Szenarien. Der Euro wird bestehen bleiben“, gibt sich Mark Kaufman, Mitinhaber des polnischen Alkoholproduzenten CEDC, der in Russland u.a. die Wodkamarken Schurawli, Marusja vertreibt, zuversichtlich.
„Gibt es keinen Euro mehr, so wird dieser von nationalen Währungen ersetzt werden. Dies dürfte sich nur unerheblich auf die Branche auswirken“, meint Anatoli Kornejew, Geschäftsführer des Weinimporteurs Simple. Für den Weinhandel seien nur minimale Risiken zu erwarten. „Man sollte erst einmal mit seinen eigenen Problemen fertig werden“, fügt er hinzu.
Die Vertreterin des Softwarelieferanten SAP, Marina Pantschenko, bezeichnet die Lohnbindung an den Eurokurs in ihrem Unternehmen als „wichtigen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt“.
Viele russische Unternehmen erwarten nicht einmal eine milde Rezession, ganz zu schweigen von einem Zusammenbruch oder einem tiefen Kursabsturz des Euro. Iwan Tschakarow von der Moskauer Investmentbank Renaissance Capital sieht darin allerdings ein Problem. „Die Wirtschaft muss, insbesondere angesichts der starken Verknüpfung zwischen Russland und Europa und der Tatsache, dass die EU der größte russische Handelspartner ist, sämtliche, selbst eher unwahrscheinliche, Risiken in Betracht ziehen“, so Tschakarow. Wer so denkt, gehört in Russland jedoch einer Minderheit an.
Geteilt wird die Position Tschakarows von Dmitri Potapenko, geschäftsführender Partner der Management Development Group. Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs der Eurozone sei hoch und gefährlich. Die Konsumnachfrage könne sich stark verringern, so Potapenko.
Die Schuldenkrise in Europa und die wachsende Ungewissheit in der globalen Wirtschaft würden es schwer machen, gesicherte Prognosen abzugeben, ist von einem Vertreter des finnischen Energieversorgers Fortum zu hören. Allerdings könnten in den Regionen, in denen das Unternehmen tätig sei, die Elektroenergiepreise sinken.
Auch die Hightech-Firma Sitroniks, die einen Teil ihrer Geschäfte in Griechenland und Tschechien abwickelt, erwartet keine schweren Erschütterungen. Die meisten Verträge der Telekom-Sparte würden außerhalb der Eurozone geschlossen, in Russland, in den Ländern der GUS, in Afrika, Indien und auf anderen sich rasch entwickelnden Märkten, erklärt Irina Lanina, die Vizepräsidentin des Konzerns.
Tschakarow glaubt, dass im Falle einer Krise des Euro die exportorientierten Branchen besonders in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Für die Rohstofferzeugung gelte dies zeitversetzt, da die Erdöl-, Gas- und Metallpreise an den Dollar gebunden seien.
Er begreife nicht, wie jemand noch Vertrauen zum Euro haben könne, sagte unlängst der Mehrheitsaktionär des Aluminiumproduzenten UC Rusal, Oleg Deripaska, dessen Konzern 56 Prozent seiner Einnahmen aus Europa bezieht. Deripaska bezeichnete den „Kollaps“ des Euro als Hauptproblem seines Geschäftsimperiums. Seiner Ansicht nach würde eine Abwertung des Euro die Konkurrenzfähigkeit der russischen Industrie beeinträchtigen.
Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst in der Tageszeitung Wedomosti.
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