Prochorows Comeback macht die Präsidentschaftswahlen weitaus abwechslungsreicher. Foto: AP
Nach seinem Aufsehen erregenden Ausscheiden aus der Partei „Rechte Sache“ legte Michail Prochorow zunächst eine Pause ein. Jetzt aber will er bei den im März 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen für das höchste Staatsamt der Russischen Föderation kandidieren. Politisch gesehen kommt seine Ankündigung zum richtigen Zeitpunkt. Gerade haben in Moskau, St. Petersburg und anderen Städten Russlands Massenkundgebungen stattgefunden, auf denen Tausende gegen Fälschungen bei den Parlamentswahlen protestierten.
Zwar heißt es von offizieller Seite, die Unregelmäßigkeiten seien nicht so schwerwiegend gewesen, wie das, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wesentlich stärker politisierte und oppositioneller gestimmte, russische Internet lauthals verkünde. Dennoch betrachtet ein maßgeblicher Teil der gebildeten, „kreativen“ Klasse die groben Fälschungen als Affront. Noch schwerer wiegt, dass gerade diese Gesellschaftsschicht, die der Chefideologe des Kreml und stellvertretende Leiter der Präsidialadministration, Wladislaw Surkow, kürzlich als “aufgebrachte Städter“ bezeichnete, gegenwärtig ohne „eigene“ Partei dasteht. Eine Partei, die offiziell registriert ist und ihre Interessen im Wahlkampf vertreten könnte.
Dieser Teil der Gesellschaft kann mit „Einiges Russland“ nichts anfangen, sieht man darin doch eine Partei der Staatsdiener. Ganz abgesehen davon, dass „Einiges Russland“, wie alle regierenden Parteien, im Kontext der Wirtschaftskrise an Zuspruch verloren hat. Zahlreiche Vertreter der „kreativen“ Klasse haben zum Zeichen des Protests bei den Parlamentswahlen für „Gerechtes Russland“ oder gar für die Kommunistische Partei der Russischen Föderation gestimmt. Sie haben damit linke Parteien unterstützt, deren programmatische Vorstellungen hinsichtlich des für Russland ins Auge gefassten Entwicklungswegs die Interessen der aufstrebenden Mittelklasse nicht im Entferntesten reflektieren dürften.
Allerdings muss man einräumen, dass die massenhafte Protestbewegung ein unverkennbares Symptom für den ungesunden Zustand des politischen Systems insgesamt darstellt. In diesem Sinne brauchen die „aufgebrachten Städter“ tatsächlich eine eigene Partei, mit deren Hilfe sie ihre zivilgesellschaftliche Aktivität sinnvoller und fundierter ausleben können als bei Protestkundgebungen in winterlicher Kälte. Und genau da tritt, gleichsam Deus ex machina, Michail Prochorow auf den Plan.
Der ehrgeizige Oligarch, der den Eklat seiner Trennung von der Partei „Rechte Sache“ dem Kreml und persönlichen Intrigen Wladislaw Surkows zuschreibt, hatte es so eilig mit der Revanche, dass er allem Anschein nach, die für eine Kandidatur notwendigen formalen Prozeduren übersehen hat.
Russlands Wahlgesetzgebung ist sehr strikt, was bereits mehr als ein „selbsternannter“ Kandidat schmerzvoll erfahren mussten. Mehr noch, man kann davon ausgehen, dass es in den letzten zehn Jahren kein einziger unabhängiger Kandidat bis zur offiziellen Registrierung und zur Ausweisung seines Namens auf den Stimmzetteln geschafft hat. Es sei denn, er war vom Kreml mehr oder weniger akzeptiert und von einer der Parlamentsparteien nominiert worden, die im Hinblick auf die technische Abwicklung erheblich im Vorteil sind.
Michail Prochorow hätte seine Absicht kandidieren zu wollen, bis zum 10. Dezember gegenüber der Zentralen Wahlkommission der Russischen Föderation offiziell erklären müssen. Der Eingang einer derartigen Erklärung wird jedoch von keiner Seite, auch nicht von der obersten Wahlbehörde, bestätigt.
Darüber hinaus hätte Prochorow bis zum 15. Dezember eine Gruppe von mindestens 500, wiederum nach strengen Vorgaben registrierter und mit sämtlichen Personaldaten aufgelisteter, Befürworter zusammenbekommen müssen. Diese Unterstützergruppe wiederum hätte ihn als Präsidentschaftskandidaten nominieren müssen.
Ein anderer unabhängiger Kandidat, der oppositionelle Schriftsteller Eduard Limonow, hat Mitte Dezember die notwendigen 500 Unterschriften, da ihm die Anmietung eines Versammlungsraums in letzter Minute verweigert wurde, im Freien und bei Moskauer Frostwetter gesammelt.
Das dann folgende Stadium ist das schwierigste. Kandidaten, die nicht von einer Parlamentspartei aufgestellt wurden, müssen bis zum 18. Januar 2012 in ganz Russland zwei Millionen Unterschriften sammeln. Wladimir Putin als Kandidat der Partei „Einiges Russland“, Gennadi Sjuganow von der Kommunistischen Partei, Sergej Mironow von „Gerechtes Russland“ sowie Wladimir Schirinowski von der Liberaldemokratischen Partei bleibt die Prozedur erspart. Die Überprüfung der Echtheit der Unterschriften durch die Zentrale Wahlkommission ist außerordentlich streng und die politische Praxis in Russland kennt zahlreiche Fälle, in denen unabhängige Kandidaten insbesondere an dieser Hürde scheiterten. Michail Prochorow hat in diesem Zusammenhang erklärt, dass er in den letzten zweieinhalb Monaten nicht untätig gewesen sei und vielmehr eine Infrastruktur aufgebaut habe, die es ihm ermögliche, mit seinen Anhängern 2,5 Millionen Unterschriften zu sammeln.
Es ist durchaus denkbar, dass Michail Prochorow all diese Hindernisse leichter überwindet als andere. Der Grund dafür ist einfach: Das Erscheinen des Milliardärs auf der politischen Bühne nützt, objektiv betrachtet, der jetzigen Führungsriege.
Prochorows Comeback macht die Präsidentschaftswahlen weitaus abwechslungsreicher. Immerhin hatte man von diesen Wahlen noch bis vor Kurzem erwartet, die „Statisten“ Sjuganow, Schirinowski und Mironow würden nach einem blassen, eintönigen Auftritt von einem schon im ersten Wahlgang siegreichen Wladimir Putin glanzlos abserviert.
Jetzt ist das Wechselspiel der Kräfte komplexer. Vor allem, weil neben den Statisten ein völlig neuer, frischer Akteur tritt, der, wenn schon nicht die Mehrheit, so doch einen großen Teil der Protestwähler auf sich fokussieren kann. Damit würde er den gesamten politischen Prozess zurückführen in jenen legitimen Rahmen, der möglicherweise gesprengt worden wäre, wenn sich die Straßenproteste gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen weiter ausgebreitet hätten.
Es ist nicht gesagt, dass Michail Prochorow verhindern könnte, dass Wladimir Putin bereits im ersten Wahlgang siegt, und er ihm gar einen zweiten Urnengang aufzwingen kann. In jedem Falle aber bedeutet es, dass viele Unzufriedene lieber für einen „frischen“ Prochorow stimmen als für die weithin verleideten Schirinowski oder Sjuganow. Und erst recht werden sie lieber Michail Prochorow wählen, als sich bei Kundgebungen auf der Straße kalte Füße zu holen.
Der Moskauer Politologe Georgi Bowt ist als politischer Kommentator tätig.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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