Was Wladimir Putin fehlt

Russland beginnt das Jahr 2012 nicht mit einer neuen Politik und auch nicht mit einem neuen Politiker, dafür aber mit einer mehr oder minder neuen Gesellschaft.

Bild: Sergei Yolkin


Alle, die sich dafür interessieren (und das tun erstaunlich viele), stellen Mutmaßungen an, ob wir nach den Wahlen im März einen neuen Putin bekommen. Etliche wiederum wollen um keinen Preis zugeben, dass auch für sie interessant ist, was für ein Wladimir Putin das sein wird (wahrscheinlich, weil sie ohnehin alles für katastrophal klar halten).

Was, wenn das jener Wladimir Putin sein sollte, der 1999 als Premierminister zum APEC-Gipfel nach Neuseeland reiste, sich dort von Angesicht zu Angesicht Bill Clinton gegenübersah und nicht glaubte, es mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun zu haben? Jener Wladimir Putin, der die russischen Funküberwachungsstationen in Vietnam und auf Kuba schloss? Jener Wladimir Putin, der seine erste und liberalste Jahresbotschaft zur Lage der Nation an die Föderationsversammlung richtete … Vielleicht braucht man sich dann gar keinem anderen Wladimir Putin zu erträumen?

Oder fehlt selbst einem solchen Wladimir Putin irgendetwas? Liebe, was weiß ich, zu den Journalisten oder den Banderlogs? Obwohl ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen kann, wofür man Journalisten lieben könnte. Wenn sie dich gnadenlos und unbeirrbar kritisieren, ist es irgendwie komisch, sie zu lieben. Und wenn sie dir innig zugetan sind, das mit jedem Wort, ja jeder Geste demonstrieren, ist es erst recht seltsam, ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Vorausgesetzt, du bist bei klarem Verstand und dein Gedächtnis lässt dich nicht im Stich, selbstredend.

Oder sollte nicht so sehr den Journalisten als vielmehr der Freiheit des Wortes mehr Liebe entgegengebracht werden? Ich denke, in dieser Hinsicht wird sich die Politik im Jahr 2012 verändern, ob das nun irgendjemand möchte oder nicht. Eigentlich scheint mir, man möchte schon. Allerdings ist das gar nicht die Hauptsache: Um die Tatsache, dass sich die Situation ändern muss, kommt man schlechterdings nicht herum.

In der Mitte seiner zweiten Präsidentschaft hat Wladimir Putin erklärt, die Gesellschaft müsse reifen für ein neues Fernsehen, bis dahin werde das Fernsehen eben so sein wie diese Gesellschaft.

Jetzt scheint es ganz so, als sei die Gesellschaft herangereift, vielleicht sogar schneller, als manchem lieb war. Eher wohl aber doch langsamer. Deshalb dürfte es meiner Meinung nach 2012 beim Fernsehen methodische und personelle Veränderungen geben.

Gleichwohl werden wir kaum einen Wladimir Putin wie zu Beginn seiner präsidialen Karriere erleben. Putin glaubt fest, sich von zahllosen Illusionen verabschiedet zu haben. Er wird niemals die irgendwann gewonnene Überzeugung aufgeben, die Spitzenpolitiker der Welt, ganz gewiss aber einer von ihnen (nämlich der Präsident der Vereinigten Staaten), lebten in Bezug auf Russland nach doppelten Standards. Wladimir Putin hat niemanden dafür verachtet, sondern diese Tatsache einfach einkalkuliert. Und er wird sie auch weiterhin ins Kalkül ziehen.

Ein offenes Geheimnis ist, dass Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsweise und der Zusammensetzung der Regierung anstehen. Meiner Meinung nach dürfte sich Wladimir Putin generell – jedenfalls in der ersten Zeit, solange sein Geduldsfaden reicht, um sich nicht in die operativen Regierungsgeschäfte einzumischen – auf die weise Gesamtführung des Landes konzentrieren. Allein schon deshalb, weil er Dmitri Medwedew in aller Öffentlichkeit eine Carte blanche ausgestellt hat. Putin kann sein Wort nicht brechen, denn das wäre ganz und gar nicht der Stil, den Freunde untereinander pflegen. Veränderungen wird es, wie mir scheint, nicht nur bei der Zusammensetzung der Ministerriege geben. Auch der Bestand der Ministerien ändert sich. Der Wunsch, exzessiven Veränderungswillen zu demonstrieren, kann zur Etablierung vollkommen neuer Ministerien führen. Ministerien, die es in der jüngsten russischen und erst recht der sowjetischen Geschichte nicht gab.

Eine Frage bleibt allerdings noch: Werden die unter Dmitri Medwedew abgeschafften (von wem genau, entzieht sich meiner Kenntnis) montäglichen Zusammenkünfte des Präsidenten mit den Regierungsmitgliedern wieder im Kreml Einzug halten? Ich denke nein.

Wie die Ereignisse auf dem Bolotnaja-Platz gezeigt haben, will sich Wladimir Putin das Vergnügen, hin und wieder genüsslich auf Renitenzen der liberalen Öffentlichkeit zu reagieren, nicht verkneifen. Er amüsiert sich unverhohlen mit den Banderlogs, es belustigt ihn, ihre neue und neueste staatsbürgerliche Aktivität herauszufordern. Schließlich ist er genau unterrichtet über die zahlenmäßige Stärke, die Ratings dieser Banderlogs, und beides sieht so aus, dass man einstweilen weiter mit ihnen spaßen kann.

Parallel und völlig unabhängig von den jüngsten Ereignissen beginnt Wladimir Putin jetzt von direkten geheimen Wahlen der Gouverneure und Senatoren zu sprechen. Dabei handelt es sich um ein echtes Vorhaben Putins, einen Plan, der bereits vor vielen Monaten, wenn nicht gar Jahren entstand. Daran wird Putin im Jahr 2012 real arbeiten.

Mag sein, Wladimir Putin glaubt, dass es die Banderlogs eben doch nicht wagen, sich der Schlange Kaa zu nähern. Tun sie aber.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung „Moskowskije nowosti“. 

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