Die Orgel und „andere Möbeln“

Möbelkünstler Maks Ibragimow. Foto: Jan Lieske

Möbelkünstler Maks Ibragimow. Foto: Jan Lieske

Wie jeder außergewöhnliche Mensch hat Maks Ibragimow seine spezielle Weltanschauung und ist dabei stolz auf das, was er mit eigenen Händen schafft. Hören wir ihm einfach zu.

Der Dom verleiht Kaliningrad heute wieder sein unverwechselbares Gesicht. Aber nach 1944, als die Engländer ihn zerbombt hatten, war hier 60 Jahre lang eine Steinwüste. Wir sind da zum Pinkeln hingegangen.

Die Orgelakustik machten die Deutschen, die Fassade ist von uns. 8250 Orgelpfeifen, 12 Register. Davor hat der Initiator des Wiederaufbaus zwei Monate lang auf mich eingeredet. Warum ausgerechnet auf mich, ich mache doch Möbel! Doch dann hat mich die Potsdamer Firma Schuke nach Deutschland eingeladen und mir ihre Orgeln gezeigt. Sie haben mich überzeugt. Ein phänomenales Instrument ist dabei herausgekommen. Als Erstes haben wir dann „Sweet Child in Time“ von Deep Purple drauf ausprobiert. Das hat alle umgehauen!

Ich bin Usbeke aus dem Dorf Bergalik bei Taschkent, das gibt’s nicht mal auf der Landkarte. Nach der vierten Klasse steckte mich mein Vater in ein Internat für Kunsterziehung. In unserer kinderreichen Familie gab’s wenig zu essen, und dort wurde man einigermaßen versorgt. Nach der Fachschule musste ich zur Armee. Ich kam in eine Raketeneinheit bei Kaliningrad. Weil ich aber dauernd riesige Lenin-Porträts nachmalen musste, habe ich nie eine Rakete aus der Nähe gesehen. Nach dem Dienst beschloss ich zu bleiben. Nun lebe ich schon 35 Jahre hier. 

Pink Floyd und „Russalka“

Bevor ich anfing, Möbel zu entwerfen, hatte ich alles Mögliche gemacht: Hosen und Kleider genäht, sieben Jahre als Einfrierer auf Fischtrawlern gearbeitet, dann als Maler auf dem Bau. Unter den Abfallstoffen gab es viele Holzspanplatten. Mit einem befreundeten Zimmermann schreinerten wir daraus Essecken. Die ersten Sofas hab ich selbst zugeschnitten, genäht und bezogen. Die waren vielleicht hässlich! Man muss aber alles von Grund auf gelernt haben, wenn man einen Betrieb führen will. Irgendwann fand ich gewöhnliche Sofas zu langweilig. Ich wollte in die Oberliga - handgemachte Luxusmöbel. Anfang der 90er schickte ich meine Mitarbeiter ins Ausland. Die Schreiner nach Italien und die Näher nach Holland. Wir besuchten eine Möbelfabrik in Florenz und sahen ihnen bei der Arbeit zu. Nach drei Monaten konnten wir es genauso.

Ein Arbeiter muss pro Schicht fünf Armlehnen machen. Vier sind zu wenig, weil er die nachfolgende Schicht im Stich lässt. Sechs sind zu viel, weil das auf Kosten der Qualität geht. Wenn man etwas selbst macht, bekommt man den größten Kick. Erst ist nichts da, dann hast du eine Idee, und plötzlich kommt was dabei raus. Du verkaufst es und hoppla! – schon hast du Geld. Das versuche ich auch meinem Sohn zu erklären.

Einmal hat ein Lokalsender meine Erfolgsstory verfilmt. Ich hatte damals eine lange Mähne und war ganz in Leder. Ein Rocker also. Die TV-Leute wollten wissen, welche Musik sie einspielen sollen. „Die Neunte von Schostakowitsch“, antwortete ich. Die waren vielleicht geschockt. Nach ihrem Weltbild hatte ich als Mittelasiat ungebildet zu sein. Aber meine Frau Lena ist professionelle Musikerin, Koloratur-Sopranistin. Sie können sich nicht vorstellen, wie sie das Lied der Olga aus „Russalka“ interpretiert. Manchmal träume ich, dass Lena in Begleitung eines Symphonieorchesters den Song von „The Dark Side of the Moon“ als Backround-Vokalistin von der Bühne schreit, wie Liza Strike bei Gilmour: „U-u-u-aaaa!“ Aber Lena will nicht.

In Moskau hat man mir einen Preis als Russlands bester Manager ausgehändigt. Putin und alle anderen waren da. Also sagte ich von der Bühne: „Frag einen russischen Unternehmer: ‚Wie geht’s dir?‘, und er wird antworten: ‚Beschissen.‘ Obwohl er erfolgreich ist. Als würde man ihn auf der Stelle einsperren, sagte er, es liefe gut. Wir müssen aufhören, uns selbst schlecht zu reden. Dann wird auch das BIP wachsen. Investitionen sind in Russland sekundär.“ Manchmal denke ich, dass ich mein ganzes Leben träume. Gleich wach ich auf und muss den Maulesel einspannen.

Lernen von Europa

Dass man mich als ungehobelten asiatischen Klotz ansieht, ist nicht das Schlimmste in diesem Leben. In Usbekistan nennt man die Russen „Schweineohren“. Solche Leute gibt es überall. Ich spreche bis heute kein perfektes Russisch. Kann vorkommen, dass ich „andere Möbeln“ sage. Absichtlich. Die Leute fragen bei der Telefonauskunft: „Ich hab seinen Namen vergessen. Er kommt aus Asien und macht Sofas.“ Die Auskunft gibt meine Nummer weiter. Das nenne ich berühmt.

Immanuel Kant arbeitete einst in der Wallenrodtschen Bibliothek. Ein großer Philosoph, dessen Werk ich sehr schätze. Auch die Bibliothek haben wir restauriert. Wenn ich Besuch habe, zeige ich gern diese Arbeit. Dann stelle ich meine S-Klasse in der Nähe von Kants Grab ab, wo meist viele deutsche Touristen sind, die mich ganz irritiert anblicken: ihr Land, ihr Grab, ihr Auto – und dann so einer wie ich mit seiner asiatischen Visage. Herrlich!

Der Kaliningrader ist mehr Europäer als Russe. Die Jungen reisen nach Europa und lernen, wie es laufen sollte. Als man den Gouverneur verjagte, wurde niemand geschlagen oder verhaftet. Selbst die Bullen sagten: „Wir haben Demokratie.“ Manchmal stell ich mir 1938 vor. Kommt ein Hellseher in eine Königsberger Kneipe und verkündet: „1944 wird die Stadt von den Engländern zerbombt, aber zu Beginn des nächsten Jahrhunderts wird ein Usbeke nach Russisch Königsberg kommen und die Dom-Orgel restaurieren!“ Sie hätten diesen Fantasten garantiert mit Bierkrügen beworfen.

Maks´s Gedankengänge notierte und ordnete Igor Najdjonow für das Magazin Russki Reportjor.

Wie ein Phönix aus der Asche

Foto: Maxik.ru

Der Königsberger Dom erhielt 2008 eine neue Chor- und eine Hauptorgel. Der Prospekt der Hauptorgel, von Ibragimows Firma gefertigt, orientiert sich weitgehend an dem Original von 1721, jedoch mit einigen Änderungen: Der preußische Adler wurde durch einen Phönix ersetzt, die Mittelfigur „David mit der Harfe“ durch eine Madonna. Auch der preußische Adler im Königsberger Stadtwappen wurde durch einen russischen ausgetauscht.

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