Kim Jong Il. Foto: RIA Novosti
Nordkorea hat einen neuen „Großen Führer“, Kim Jong Un, Sohn des kürzlich verstorbenen Kim Jong Il. Nun ist er „Großer Führer“, Staatsoberhaupt, Parteivorsitzender und Oberbefehlshaber der nordkoreanischen Volksarmee. Formell ist die Machtübergabe damit abgeschlossen.
Die Nachbarstaaten Nordkoreas, Russland, China und Japan, aber auch die USA und die anderen Akteure der internationalen Politik interessiert nun insbesondere die Frage, ob die Atommacht Nordkorea weiterhin auf Konfrontationskurs mit dem Rest der Welt bleiben wird oder ob sie auf den Weg des Dialogs umschwenken wird.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Nordkorea in der Vergangenheit immer wieder mit starkem Druck von außen konfrontiert war. Doch die Thronbesteigung des 29-jährigen Kim Jong Un als Regent der Kim-Dynastie in dritter Generation belegt, dass die herrschenden Elite keine radikalen Kursänderungen plant. Nichtsdestotrotz hat sich das Land in den letzten Jahren verändert.
Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verlor Nordkorea seinen wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partner. Die archaische, militarisierte Volkswirtschaft geriet ins Schlingern. Hinzu kam eine Reihe von Naturkatastrophen, die das Land in eine Hungersnot führten und Pjöngjang dazu zwangen, die Weltgemeinschaft um materielle Hilfe zu bitten.
1994 starb Kim Il Sung, der das Land in stalinistischer Manier geführt hatte. Sein Sohn Kim Jong Il konnte die wirtschaftlichen Errungenschaften Chinas beim besten Willen nicht ignorieren, ganz zu schweigen von den Erfolgen Südkoreas.
Kim Jong Ils Reformen bleiben ohne dauerhaften Erfolg
Zuweilen sah es danach aus, als ob Kim Jong Il das Potential zu einem nordkoreanischen Gorbatschow haben könnte. 2002 leitete er vorsichtige und im Ausland nur wenig zur Kenntnis genommene Marktreformen ein. Die Sonderwirtschaftszone Kaesŏng entstand, südkoreanische Investoren durften ins Land und der Kleinhandel wurde legalisiert.
Die größten Störfaktoren für Kim Jong Ils Politik waren seine Krankheit, 2008 erlitt er offensichtlich einen Schlaganfall, und die Kursänderung in der Politik Südkoreas. Unter dem Präsidenten Roh Moo Hyun schwenkte Südkorea von der „Politik der Sonnenstrahlen“, d.h. der Kooperation mit Nordkorea, zu einer „Politik des kalten Windes“ um. Verstärkt durch George Bushs Erklärung, Nordkorea bilde mit Iran und Irak die „Achse des Bösen“, war dies Wasser auf die Mühlen der nordkoreanischen Hardliner.
In der Folge wurden zahlreiche Neuerungen wieder außer Kraft gesetzt. 2009 zerstörte eine mit Enteignungen einhergehende Geldreform die angehäuften Geldsummen der „neuen Nordkoreaner“, wobei auch die Staatsfinanzen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Hardliner bewiesen, dass Wirtschaftspolitik nicht ihre Stärke ist. Dennoch war, wie es der erste und letzte Präsident der UdSSR Michail Gorbatschow zu charakterisieren pflegte, „der Prozess bereits angestoßen“.
„Heute haben die marktwirtschaftlichen Elemente nicht nur ihre Stellungen, auf die es die Konservativen abgesehen hatten, zurückerobert, vielmehr sind sie bereits um Einiges weiter gekommen. Die ökonomische Realität Nordkoreas unterscheidet sich inzwischen radikal von der Gleichmacherei des vergangenen Jahrhunderts. Es sieht danach aus, dass der „Point of no Return bereits überschritten ist“, analysiert Georgij Talaraja, Direktor des Zentrums für Koreastudien des Instituts für globale Wirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Interessanterweise erinnert die Situation immer mehr an die Zeiten, als sich die UdSSR an der Schnittstelle ihrer Reformen befand. Einflussreiche Staatsbeamte gehen immer selbstherrlicher mit den ihnen anvertrauten Ressourcen um. An zahlreiche Ämter und Organisationen sind verschiedene Firmen gekoppelt, die marktwirtschaftlichen Interessen nachgehen, vom Außenhandel bis zu Dienstleistungen für die Bevölkerung.
Parallel dazu wächst kontinuierlich die Anzahl an Restaurants, kleinen Geschäften und Märkten. „Die Bevölkerung lebt eindeutig besser als in den 1980er und vor allem 1990er Jahren“, so Talarajas Fazit.
Kim Jong Un könnte eigenen Kurs entwickeln
Und nun steht mit Kim Jong Un ein noch sehr junger Führer an Nordkoreas Staatsspitze. „Kurzfristig wird er den Kurs seines Vaters beibehalten. Gleichzeitig vertritt er eine neue Generation und hat eine gute Ausbildung in Europa genossen. Es ist deshalb durchaus anzunehmen, dass er seine eigene Sicht der Dinge entwickelt und eigene Initiativen realisieren wird“, vermutet Alexander Woronzow, Leiter der Korea-Abteilung des Instituts für Orientforschung der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Der Experte meint aber auch, dass es „entscheidend ist, wie die internationale Gemeinschaft und die unmittelbaren Nachbarn Nordkoreas neue Führung wahrnehmen werden“. Falls sich die heutige Politik der Isolation, der Sanktionen und der Versuche, einen Regimewechsel herbeizuführen, fortsetze, werde das neue Staatsoberhaupt genauso wie sein Vater keine Möglichkeit finden, den innenpolitischen Kurs Nordkoreas zu verändern, so Woronzow.
Darin liegt das größte Dilemma der USA, Japans und Südkoreas. Bis jetzt hat sich die Hoffnung, das nordkoreanische Regime werde unter der Last der wirtschaftlichen Probleme und Bedrohungen von außen zusammenbrechen, nicht bewahrheitet. Ein Umsturz seitens der Bevölkerung, die der japanischen Besatzung zäh standgehalten hatte, von 1950 bis 1953 einen blutigen Krieg gegen die USA durchmachte und nun unter der ständigen Bedrohung des schwelenden Konflikt mit Südkorea lebt, ist derzeit kaum zu erwarten. Zudem lebte und lebt Nordkorea in völliger Abhängigkeit, zunächst von der UdSSR und nun von China.
Der Fall der Regime in Afghanistan, Irak oder Libyen hatte die Kooperationsbereitschaft von Pjöngjang zuletzt noch stärker gemindert. Die Feldzüge gegen die dortigen Herrscher hatten die nordkoreanische Führung vollends davon überzeugt, dass die Atomwaffen, auf die Ghaddafi unbedachterweise verzichtet hatte, die zuverlässigste Garantie gegen einen Angriff seitens der viel stärkeren Feinde ist.
Hauptsächlich wegen der Sturheit der Nordkoreaner und deren Nuklearraketen, die sie als Bedrohung einsetzen, will der seit 2010 anhaltende Konflikt mit Südkorea kein Ende nehmen. Damals hatte Nordkorea, nach uneindeutigen Manövern der südkoreanischen Flotte auf Gewässern, die von beiden Seiten beansprucht werden, die an der Grenze liegende Inselgruppe Yeonpyeong beschossen.
Lässt Washington Idee eines grundlegenden Regimewechsels fallen?
Seit 2011 ist dennoch eine gewisse Entspannung der Situation eingetreten. Die bilateralen Konsultationen zwischen den USA und Nordkorea zum Atomprogramm wurden reaktiviert. Und genau einen Tag vor Kim Jong Ils Tod haben die USA bei Verhandlungen in Peking ihr Einverständnis zur Hilfslieferung von 240 Tonnen Lebensmittel gegeben.
Gemäß diplomatischer Kreise in Seoul, die von der südkoreanischen Agentur Yonhap zitiert wurden, soll Nordkorea für die Hilfslieferung im Gegenzug versprochen haben, „erste“ Maßnahmen zur Denuklearisierung einzuleiten. Konkret soll eine Unterbrechung des nordkoreanischen Urananreicherungsprogramms ausgehandelt worden sein.
Vermutlich hing die Zurückhaltung der USA und Südkoreas in diesen für Nordkorea kritischen Tagen mit diesem Deal zusammen. Die zentrale Frage, ob Washington und Seoul bereit sind, die Idee eines grundlegenden Regimewechsels in Pjöngjang fallen zu lassen und sich mit dem neuen Machthaber zu arrangieren, bleibt vorerst offen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!