Ende der Post-Sowjetära

Foto: Reuters/VostockPhoto

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Russlands Regierungschef Wladimir Putin hat in seinem Anfang der Woche veröffentlichten Artikel geschrieben, dass die postsowjetische Periode vorüber sei und etwas Neues beginnen werde. Doch der wichtigste russische Politiker räumte ein, dass der Zerfall der Sowjetunion, der in den vergangenen 20 Jahren im Mittelpunkt des gesellschaftlichen und politischen Bewusstseins stand, kein positives Potenzial mehr hat. Eine neue Tagesordnung tut Not.

In der postsowjetischen Ära war der Zerfall der Sowjetunion der Ausgangspunkt für das neue Staatswesen. Die Wahrnehmung veränderte sich mit der Zeit. Alles begann mit antikommunistischen Postulaten Anfang der 1990er Jahre, als alles Sowjetische abgelehnt wurde. Dieser Trend verschwand aber schnell. Die Schwierigkeiten und Fehler beim Aufbau der Demokratie führten zur Unzufriedenheit in der Gesellschaft, in der sich viele nach den alten Zeiten zurücksehnten. Der Staat versuchte die Sowjet-Nostalgie für sich zu nutzen oder sie in harmlose Formen umzuwandeln – die Rückkehr zur sowjetischen Ästhetik und Symbolik. In den 2000er Jahren griff der Staat häufig auf sowjetische Elemente zurück und förderte die Nostalgie, um die Aufmerksamkeit von den aktuellen Ereignissen abzulenken.



Das Wesen der postsowjetischen Periode ist gut in der Außenpolitik Moskaus zu erkennen. Seit Anfang der 1990er Jahre und bis Ende der 2010er Jahre versuchte Russland in der Weltgemeinschaft zu beweisen, dass es trotz des Zerfalls der Sowjetunion eine Supermacht ist. Die Methoden, mit denen dies erreicht wurde, waren je nach Zeit unterschiedlich. Doch das Ziel, wieder den Status einer Weltmacht zu erlangen, blieb unverändert. In dem möglichen Maß wurde dieses Ziel erreicht. Die Wiederherstellung einer Weltmacht wie die Sowjetunion gehörte nicht zu den Aufgaben Russlands. Der Höhepunkt der Entwicklung Russlands in der postsowjetischen Ära  (sowohl wirtschaftlich als auch politisch) hat Russland zum Ende der 2010er Jahre erreicht.



Es ist sinnlos, sich nach den sowjetischen Zeiten sehnen. Das technologische Potenzial der Sowjetunion hat sich erschöpft. Davon zeugen die Umweltkatastrophen. Auch die sowjetischen Erfahrungen sind bei der Lösung der sozialen Probleme nicht mehr zu gebrauchen. Das Erbe der sowjetischen Außenpolitik hat sich nahezu aufgelöst. Der arabische Frühling hat die übrig gebliebenen Regimes eliminiert, die wegen ihrer Trägheit als Verbündete Russlands in der Region galten. Außerdem helfen sowjetische Ideen Russland nicht weiter, sich weiterzuentwickeln.


Putins Worte sind zwar wichtig, doch die russischen Behörden müssen ihren Kurs beibehalten und nicht mehr die Sowjetunion zurückwünschen. Auch Putin redet häufig von der Sowjetunion, als würde er die Rückkehr zum alten Modell begrüßen. Doch in der russischen Führung hat niemand dieses Ziel, weil alle wissen, dass es unmöglich ist. Doch es wird gerne über die sowjetische oder prosowjetische Zeit gesprochen, weil das Image Russlands als Nachfolger der sowjetischen Supermacht Initiativen überzeugender machen können. Ein gutes Beispiel dafür ist die von Putin vorgeschlagene Eurasische Union.

Beim Aufbau der Eurasischen Union geht es um den ersten ernsthaften Versuch, die Integrationsbeziehungen auf einer neuen Grundlage zu stellen –  auf einer vernünftigen Wirtschaftskooperation und gegenseitigen Vorteilen. Als Analogon gilt die EU-Integration in ihrer ursprünglichen Form. Putin hält das Projekt für zukunftsträchtig, die Wirtschaften der möglichen Mitgliedsländer waren über viele Jahrzehnte zusammengewachsen. Dadurch entsteht die Illusion, dass die Wiederherstellung der Sowjetunion das Ziel ist. Dies löst bei den Partnern Besorgnis aus und beunruhigt die Weltgemeinschaft. Die Suche nach neuen Argumenten, die auf die Zukunft und nicht die Vergangenheit gerichtet sind – das ist die Hauptaufgabe der neuen Ära.

Es ist klar, dass es unmöglich ist, die Vergangenheit auszuradieren. Doch es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Geschichte als politisches Instrument in ein Objekt der unvoreingenommenen Analyse verwandelt werden muss. Für die russische Elite ist es unvorteilhaft, die Sowjetunion wiederaufleben zu lassen, weil sie durch ihren Auseinanderfall an die Macht gekommen war. Das Nähren der Sowjet-Nostalgie nach der verlorenen Supermacht begräbt die Legitimität des russischen Establishments, das sowohl für den Zerfall der Sowjetunion als auch für das heutige System verantwortlich ist. Deswegen ist er daran interessiert, die sowjetische Vergangenheit gutzuheißen und die Wunden der Vergangenheit nicht aufzureißen. Putin hat den ersten Schritt gemacht. Jetzt muss damit begonnen werden, der Zukunft eine Gestalt zu geben.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti.

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