Freundschaftsgrüße aus Russland

Dank Postcrossing erleben die traditionellen Postkarten die Wiedergeburt. Foto: Swetlana Priwalowa

Dank Postcrossing erleben die traditionellen Postkarten die Wiedergeburt. Foto: Swetlana Priwalowa

„Postcrossing“ ist in Russland wie in Deutschland gleichermaßen Trend und lässt die Postkarte wieder aufleben.

Aus dem Briefkasten ziehen wir hauptsächlich Papier-Spam. Echte Briefe und Postkarten erhalten wir heute kaum mehr, was im 21. Jahrhundert auch niemanden verwundert. Es gibt jedoch eine Gemeinschaft aus über 278 000 Menschen in 201 Ländern, die sich gegenseitig über den traditionellen Postweg Hunderte von Postkarten schicken. Sie sind durch das Projekt „Postcrossing“ miteinander verbunden. In Russland leben über 29 000 Mitglieder, die zusammen bereits mehr als eine halbe Million Postkarten in die ganze Welt verschickt haben. In Deutschland haben sich immerhin fast 18 000 Mitglieder angemeldet, die dafür bereits über eine Million Postkarten verschickt haben.

Die Idee des sogenannten Postcrossings hatte der Portugiese Paulo Magalhães, der die entsprechende Internetseite 2005 als Student startete. Die erste Million verschickter Postkarten wurde 2008 erreicht, im November 2011 waren es bereits 9 Millionen und nun wurde die 10-Millionen-Grenze überschritten. Derzeit werden jede Stunde ca. 800 Postkarten verschickt, und in den vergangenen sechs Jahren haben alle Postkarten zusammengenommen rund 52 Milliarden Kilometer zurückgelegt.

Eine der Teilnehmerinnen ist Alena Geraschtschenko, eine Designerin aus Moskau. Sie ist seit 2007 dabei und hat in dieser Zeit fast 2000 Karten verschickt. Deren älteste Empfängerin war eine 96-jährige Dame aus Amerika, während der jüngste Empfänger ein noch ungeborenes Kind aus Asien war – die zukünftige Mutter hatte sich eine Postkarte mit dem Text „Willkommen auf der Welt!“ gewünscht. Alena kannte zum Zeitpunkt des Versands keine der beiden Frauen, und genau darin liegt eine der Besonderheiten des Projekts: der Empfänger wird vom Computer ausgewählt. Es ist auch schon vorgekommen, dass Alena nicht nur den Adressaten nicht kannte, sondern sogar das Land, in das sie die Postkarte zu schicken hatte. Nach dem pazifischen Inselstaat Tuvalu musste sie eine ganze Weile suchen.

Auf der Internetseite postcrossing.com ist zu lesen: „Wenn Sie eine Postkarte verschicken, erhalten im Gegenzug auch Sie mindestens eine Postkarte von einem zufällig ausgewählten Postcrosser aus irgendeiner Weltgegend. Dank den Postkarten aus exotischen Gegenden verwandelt sich Ihr Briefkasten in eine Schatulle voller Überraschungen.“

Die Adresse des unbekannten Empfängers erhält der Absender von der Internetseite. Nach Versand einer Karte erhält man eine andere Karte von einem anderen Teilnehmer und registriert deren Empfang auf postcrossing.com. Man kann bis zu fünf Postkarten gleichzeitig versenden, wobei sich dieses Limit mit jeder 50. verschickten Postkarte um eine Karte erhöht. Die einzige Bedingung für die Teilnahme ist die Kenntnis der englischen Sprache. Die Karten können eingescannt werden und sind dann auf der Homepage einsehbar.

Zwar gibt es relativ viele junge Teilnehmer, aber man kann nicht sagen, dass es sich um eine Anti-Bewegung einer Generation handle, die die Epoche des nicht-elektronischen Postverkehrs nur noch knapp mitbekommen hat. Das Teilnehmerspektrum setzt sich aus allen Alterskategorien zusammen. Alena nahm an einem Postcrosser-Treffen in Moskau mit Mitgliedern aus verschiedenen Städten teil und war überrascht, welch unterschiedliche Leute sie antraf: Biker und Babuschkas, junge Mütter mit Kleinkindern und ein zwölfjähriges Mädchen. Kurzinfos über die Mitglieder sind jeweils auf der Internetseite abrufbar, sodass der Text auf der Postkarte durchaus persönliche Züge annehmen kann. Dennoch kommen auch immer wieder Postkarten mit Standardtexten an, wie „Grüße aus soundso, ich heiße soundso, auf der Postkarte siehst du dies und das“. Meistens schreiben die Leute über sich selbst: Wie sie leben, was sie machen, was es an ihrem Wohnort zu sehen gibt, falls der Empfänger einmal in die Gegend reisen sollte.

Eine elektronisch oder eine handschriftlich verfasste Nachricht sind zwei völlig verschiedene Dinge. „Elektronische Post ist etwas Unlebendiges“, findet Alena und fügt hinzu: „Hier haben wir es hingegen mit einer individuellen Schrift zu tun, die man erst mal entziffern muss. Außerdem versucht der Verfasser, die Sätze besonders knapp zu formulieren, um möglichst viel Informationen in einen begrenzten Raum zu packen.“

Alena hat neulich im Postmuseum in Helsinki über 100 Postkarten gekauft. „Das hat mich damals fast ruiniert, obwohl ich auch schon mehr Postkarten auf einmal gekauft habe“, erinnert sich Alena, die Grafikdesign studiert hat und früher sogar selber Postkarten kreierte. Jetzt überlegt sie sich, ob sie daraus nicht ein Geschäft machen soll. Ihrer Meinung nach gibt es in Russland nicht genügend Auswahl, und originelle Karten sind nur im Ausland zu finden.

Im Gegensatz zum allgemeinen Trend verschickt Alena Postkarten nur ungerne zur Weihnachts- und Neujahrszeit: Sie kommen in der Regel stark verspätet oder gar nicht an (normalerweise ist eine Postkarte etwa drei Wochen lang unterwegs). Gemäß Alenas Erfahrung gehen jährlich etwa 15 Postkarten verloren. „Bevor ich eine Karte verschicke, scanne ich sie ein. Im Statistikteil der Seite kann man alle Karten einsehen, die unterwegs sind, die angekommen und die verloren gegangen sind. Wenn ich mir die verlorenen anschaue, muss ich mit Bedauern feststellen, dass es die schönsten sind. Vermutlich behalten einige Postangestellte diese für sich selber“, so Alena.

Die Postcrosser sind für die Postunternehmen ein Geschenk des Himmels. So hat sich die niederländische Post im letzten Jahr bei den Teilnehmern mit einer Sonderbriefmarke bedankt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Ogonjok.

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