Auch Piraten hatten einen Kodex. Bild: Niyaz Karim
Im Westen treffen die in Russland geltenden Spielregeln und Verhaltensweisen immer wieder auf Unverständnis. Die Meinung, dass gerade Russlands Regierung eine stärkere Kontrolle des Internets anstrebt, bleibt sehr populär. Dabei wird in Russland noch nicht einmal erwogen, im Falle von Unruhen Twitter oder Facebook zu sperren, während in Westeuropa einige Länder genau solche Maßnahmen bereits offen angekündigt haben.
Das Internet einfach zu blockieren oder zu sperren ist keine Lösung, weil es so schlicht den Sinn seiner Existenz verlieren würde. Deshalb werden in Russland alle Lösungsansätze, sei es bei der Interessenwahrnehmung der Rechteinhaber oder im Kampf gegen die Kinderpornographie, gemeinsam mit Branchenexperten diskutiert.
Der amerikanische Gesetzesentwurf SOPA, gegen den im Internet bereits „gestreikt“ wurde, ist das Resultat aktiver Lobbyarbeit seitens der Rechteinhaber-Verbände. Im Kern würde das Gesetz verlangen, dass jeder Internet-Nutzer, vom Provider über die Suchmaschinen bis hin zu den Anzeigekunden, verpflichtet wäre, seine Dienste an die der Piraterie bezichtigten Ressource zu unterbrechen und jegliche weitere Interaktion mit dieser zu unterlassen.
Im Falle seiner Annahme würde das SOPA nicht nur zu einem großen Hindernis bei der Entwicklung des Internets als Geschäftsfeld, sondern auch zu einem potentiellen Zensurmittel. Dies widerspricht den demokratischen Prinzipien und ist in keiner Weise mit Außenministerin Clintons wiederholten Aussagen über die „fundamentalen Freiheiten“ des Internets, gerade was Twitter und Facebook angeht, vereinbar.
Im Gesetzesentwurf ist unzweideutig festgehalten, dass die konkrete Gesetzgebung eines konkreten Staates auf den gesamten virtuellen Raum angewendet werden soll. Die Besonderheit der durch den SOPA vorgeschlagenen Prozedur liegt darin, dass nicht nur Internetseiten mit USA-Servern blockiert werden können, sondern überhaupt jegliche Ressourcen, zu denen dieses Land in irgendeiner Form Zugang hat. Und das betrifft wohl die Mehrheit des ganzen Internets.
Dabei werden die Rechte der einfachen Nutzer nicht beachtet. Im Falle einer individuellen Verletzung der Ehre oder Würde, hat der User nicht das Recht, die Schließung der entsprechenden Ressource oder zumindest die Entfernung der Materialien zu verlangen.
Besonders alarmierend ist, dass die Verstärkung der Kontrolle über die Webinhalte die Sicherheit im Internet eher schwächt.
Das Internet hat die Welt in einem atemberaubenden Tempo verändert und spielt eine entscheidende Rolle in der Funktionsweise unserer Zivilisation. Man kann dessen Aufstieg mit jenem des Automobils vergleichen. Solange die Anzahl PKW nicht eine kritische Masse überstieg und eine potentielle Gefahr für alle Verkehrsteilnehmer darstellte, gab es auch keine staatlichen Normen zur Verkehrsregulierung.
Die Folgen einer ungesetzmäßigen und mutwilligen Nutzung der neuen Technologien, unter anderem zu terroristischen Zwecken, können in ihrer Gefahr mit dem Potential klassischer Waffen oder sogar von Massenvernichtungswaffen vergleichen werden.
Ein Verhaltenskodex für den Cyberspace könnte die Anwendung der Informationstechnologien gegen die Interessen einzelner Staaten oder der Weltgemeinschaft behindern.
Nicht alle Staaten sind bereit, ihre Unterschrift unter eine juristisch verpflichtende Internet-Konvention zu setzen. Es liegt jedoch in der Natur der Internets, dass ein effizientes Resultat nur erreicht werden kann, wenn sich einem verpflichtenden Dokument absolut alle Staaten anschließen. Um wenigstens über die elementarsten Begriffe übereinzukommen, ist ein intensivierter Dialog dringend nötig.
Die Staaten, die sich einem solchen Verhaltenskodex anschließen würden, würden im Kampf gegen terroristische und andere illegale Aktivitäten im Internet gewisse Verpflichtungen auf sich nehmen. Dabei würden die Rechte und Freiheiten der Bürger, unter anderem das Recht auf Suche, Zugriff und Weitergabe von Informationen im Einklang mit ihrer jeweiligen nationalen Gesetzgebung, nicht verletzt.
Wichtig sind angemessene Strafen und unter den Staaten abgeglichene Vollmachten und Prozeduren zur Durchführung von juristischen Verfahren bei Rechtsverletzungen im Internet.
Dabei müssen die Souverenitäten und die Grenzen der nationalen Regulierung der einzelnen Staaten auch im virtuellen Raum vollständig intakt bleiben.
Aufgrund der Struktur des Internets ist ein Misserfolg eines solchen neuen Systems vorprogrammiert, wenn sich auch nur ein oder zwei Staaten dem gemeinsamen neuen System nicht anschließen. So geschaffene Schlupflöcher würden auf jeden Fall genutzt, um sowohl die Struktur im Ganzen, als auch einzelne Informationsressourcen sowie die Privatsphären- und Autorenrechte der Individuen anzugreifen.
Die Staaten müssen gemeinsam und ohne doppelte Standards anzuwenden neue Regeln und Schutzmechanismen für den gemeinsam genutzten Cyberspace erschaffen, um das Internet vor einem Blackout zu bewahren.
Der Autor ist Minister für Kommunikation und Medien der Russischen Föderation
Dieser Artikel erschien zuerst bei Vedomosti.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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