Fünf Kandidaten werden an den Präsidentschaftswahlen in Russland teilnehmen: Wladimir Schirinowskij und Gennadij Sjuganow als Veteranen der russischen Politik, der vergleichsweise unerfahrene Führer der Partei Gerechtes Russland Sergej Mironow, als Neuling der Milliardär Michail Prochorow und der seit über zehn Jahren an der Spitze der russischen Macht stehende Wladimir Putin. Schirinowskij und Sjuganow sind bekannte Oppositionspolitiker, die in den letzten zwanzig Jahren gegen jede Regierungspartei opponiert, aber kein einziges Mal bei den Wahlen gewonnen haben. Mironow wird bisher nur als Führer der „Westentaschen-Opposition des Kremls“ wahrgenommen, und lediglich Prochorow geht als Dark horse, als unbekanntes Rennpferd, ins Rennen. Schauen wir uns das Feld einmal etwas genauer an.
Der Exzentriker
Um seine Hartnäckigkeit kann Wladimir Schirinowskij von
allen anderen russischen Politikern nur beneidet werden — so oft wie er hat
sonst niemand um den Präsidentensessel gekämpft. Der Führer der Liberal-demokratischen
Partei Russlands tritt nunmehr bereits zum fünften Mal zur Wahl an, wobei er
niemals mehr als 10% der Stimmen auf sich vereinen konnte. Aber die
gescheiterten Versuche schrecken Schirinowskij offensichtlich nicht ab. Im Laufe
der letzten beiden Dekaden hat er sich als Radikal-Oppositioneller dargestellt,
der die Interessen der schutzbedürftigsten Schichten der Bevölkerung vertritt.
In seinen Wahlkämpfen setzt er traditionsgemäß den Akzent auf Sozialleistungen, Renten, Bildung und den Schutz der Rechte von Werktätigen. Bei den aktuellen Präsidentschaftswahlen verspricht er im Falle seines Sieges eine großangelegte Amnestie und ein Kündigungsverbot für Rentner. Das Leitmotto des Präsidentschaftswahlkampfes dieses charismatischen Politikers lautet „Schirinowskij oder es wird schlimmer“.
Kurz zusammengefasst: Schirinowskij ist den Wählern in erster Linie als exzentrischster Kämpfer in der politischen Arena bekannt. In den vergangenen Jahren hat der LDPR-Führer ein beeindruckendes Arsenal an Werkzeugen zur Gewinnung der Aufmerksamkeit von Seiten der Massen angehäuft. Intensiver Gebrauch vulgärer Ausdrücke, Beleidigung seiner Opponenten (und manchmal sogar seiner Wähler) während des Wahlkampfes, eine Vielzahl von Gerichtsklagen – der Name Schirinowskij verschwindet selten von den Fernsehschirmen und den Titelseiten der Zeitungen. Und obwohl die Bevölkerung ihn nicht selten als „Polit-Clown“ sieht, akzeptieren ihn die Fachleute doch als ernsthaften Politiker.
Das Symbol der „glanzvollen Vergangenheit“
Gennadij Sjuganow ist das Gesicht der Kommunistischen Partei Russlands. Sie ist die einzige Oppositionskraft, die in den vergangenen zwanzig Jahren realistische Chancen hatte, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen (im Jahre 1996 überholte Boris Jelzin Gennadij Sjuganow nur mit Mühe im zweiten Wahlgang), und bei den Parlamentswahlen erreicht die Partei stets mühelos den zweiten Platz. Der Großteil Sjuganows Wählerschaft besteht aus älteren Menschen, die bis heute noch den „guten alten“ sowjetischen Zeiten nachtrauern.
Das Programm der Kommunisten unterscheidet sich nur unwesentlich von den Programmen ähnlicher Parteien in anderen Ländern. Sie versprechen Arbeitsplätze, eine Renaissance der Industrie, eine Verbesserung des Lebens der Bauern und Arbeiter, Beschneidung des Einflusses der Großkonzerne auf das wirtschaftliche und politische Leben im Lande.
Die Experten merken allerdings an, dass aus Sjuganow in den vergangenen zwanzig Jahren kein ernsthafter Oppositionspolitiker geworden ist. „Auch wenn er als Anführer der Opposition gilt, haften ihm noch immer die für einen Apparatschik der sowjetischen Staatsverwaltung typischen Eigenschaften an“, bemerkt Grigorij Golosow, Professor an der Europäischen Universität in St. Petersburg. „In erster Linie geht es dabei um seine Neigung zu Kompromissen und sein Bestreben, ausschließlich nach den Regeln zu spielen, auch wenn die andere Seite diese auf die dreisteste Weise ignoriert“. Nach Meinung des politischen Kommentators Oleg Kaschin war es genau diese Charaktereigenschaft, die es Sjuganow gestattete, sich auf ideale Weise in das aktuelle politische System einzupassen und sogar zu einer seiner Säulen zu werden.
Der Oppositionelle von Kremls Gnaden
Die Experten nehmen auch Sergej Mironow, dem Führer der Partei
Gerechtes Russland, dessen
oppositionelle Gesinnung nicht ab. Seitdem die Partei vor sechs Jahren
aufgetaucht ist, vermochten es Mironow und seine Mannschaft bis heute nicht,
das Image einer vom Kreml geschaffenen „Westentaschen-Opposition“ loszuwerden. In
der Vergangenheit erklärte Mironow des Öfteren, dass er den Kurs Wladimir
Putins unterstützen würde, auch wenn er die Politik der Regierungspartei Einiges
Russland nicht teile. Mittlerweile gilt er als
Kritiker des Kurses von Wladimir Putin. „Diese janusköpfige Haltung haben viele
noch in Erinnerung. Die Wähler können dieses Verhalten nicht nachvollziehen“,
nimmt der Generaldirektor des Rates für nationale Strategie Walerij Chomjakow
an.
„Die Leute verstehen natürlich, dass jemand, der so unerwartet zur Einsicht gelangt ist wie Mironow, kein wahrer Oppositionspolitiker sein kann“, bekräftigt der Politologe Dmitrij Trawin. „Bei den Wahlen zur Staatsduma hat er ein paar Protestwählerstimmen abbekommen, aber nur aus dem einfachen Grunde, dass einige andere Parteien zu den Wahlen nicht zugelassen worden waren, aber das ist zu wenig, um die Oppositionsbewegung anzuführen“.
Von allen Präsidentschaftskandidaten ist Mironow der am wenigsten bekannte. Zudem leidet sein Programm nach Meinung der Politologen unter einer gewissen Unschärfe und Gegenstandslosigkeit. Nichtsdestotrotz gelangt es Mironow, im Laufe des Wahlkampfes eine spürbare Aufmerksamkeit auf seine Person zu ziehen. Nach den Protestaktionen in Moskau verkündete der Kandidat, dass er im Falle seines Sieges bei den Wahlen „bereit sein wird, Übergangspräsident zu werden, die notwendige politische Neugestaltung durchzuführen, sozial-ökonomische Reformen zu initiieren sowie spätestens im Dezember 2013 freiwillig zurückzutreten und für März 2014 Neuwahlen für das Präsidentschaftsamt durchzuführen“.
Der geheimnisvolle Milliardär
Michail Prochorow ist der einzige Parteilose auf der
Wahlliste und wohl auch der schillerndste der Kandidaten. Er ist einer der
erfolgreichsten Geschäftsleute Russlands und ohne jahrelange politische
Erfahrung, dafür aber mit einem goldenen Händchen in Wirtschaftsdingen – Prochorow
ähnelt keinem seiner Mitbewerber. Ja, und rein äußerlich kann man den
Geschäftsmann wohl kaum mit seinen Konkurrenten verwechseln – er ist fast zwei
Meter groß.
Die Hauptthesen in Prochorows Wahlprogramm könnte bei vielen Bewohnern des Landes wohl auch Verwunderung hervorrufen. Er beabsichtigt kleine und mittelständige Unternehmen zu fördern, die Produktion technologisch ausgereifter zu gestalten und gegen Korruption und Schmiergelder zu kämpfen. Das Fehlen von Versprechungen bezüglich Renten und Löhnen lässt erkennen, dass Prochorows Zielgruppe nicht die schwachen sozialen Schichten der Gesellschaft sind, sondern die Mittelklasse und diejenigen, die sich an den Protestaktionen nach den Dumawahlen vom Dezember beteiligen. Arbeiter und Staatsbedienstete fremdeln eindeutig mit dem Milliardär.
Allerdings bezweifeln die Experten, dass die aufgebrachte Stadtbevölkerung den Geschäftsmann unterstützen wird, da sie bis heute an seiner Selbstständigkeit als Kandidat zweifelt. „Jemand mit einem solch kolossalen Vermögen hat von Natur aus eine große Nähe zur Regierung“, glaubt der Vorsitzende der nicht im Parlament vertretenen Partei Jabloko Sergej Mitrochin. Gegen Prochorow spricht auch seine Mitwirkung bei der Partei Rechte Sache, die viele für ein Projekt des Kremls halten. Nach Meinung des politischen Kommentators der Zeitung Kommersant Stanislaw Kutschers wäre der Geschäftsmann jedoch in der Lage, dieses Image loszuwerden. „Es ist egal, wie der Anfang war – ab einem bestimmten Moment könnte Prochorow damit beginnen, sein absolut eigenes Spiel zu spielen. Alleine schon aus dem einfachen Grunde, dass er den Drive noch mehr liebt als das Geld“, glaubt Kutscher. „In diesem Falle müsste der 'gesteuerte Oligarch' in ihm sterben und er müsste wiedergeboren werden – anders kann man es nicht nennen – als vollkommen neuer Mensch, der bereit ist, nicht nur sein Kapital aufs Spiel zu setzen“.
Der Stabilisator
Der Name Wladimir Putin wird 2012 als letzter auf den
Stimmzetteln zu finden sein, aber alle Experten bezeichnen ihn einstimmig als
aussichtsreichsten Bewerber um den Präsidentenposten. Dabei sind Putins größter
Trumpf seine bisherigen Verdienste. Der heutige Ministerpräsident rückte in
einer für Russland unruhigen Epoche an die Macht - Ende der Neunzigerjahre. Zu
dieser Zeit herrschte im Land das organisierte Verbrechen, wurden die
Eigentums-Filetstücke neu verteilt, im Kaukasus tobte Krieg und Terroraktionen
gehörten zum Alltag. Zu diesem Zeitpunkt wurde Putin – ein ehemaliger
Geheimdienstagent und typischer Vertreter der Silowiki, der Sicherheitskreise des Landes – von der Bevölkerung
als beste Variante zur Lösung der Probleme angesehen.
Bis heute hat sich an Putins Image nicht wesentlich etwas geändert. Er geht als selbstsicherer Politiker, der hervorragend vernetzt ist und über hervorragende Erfahrungen in der Führung der Staatsgeschäfte und einen mächtigen Verwaltungsapparat verfügt, ins Rennen. Seine Wahlkampfkampagne zielt vor allem auf starke Emotionen ab: Ruhe, Stabilität und eine evolutionäre Entwicklung des Landes. Doch nach Meinung anderer Experten schreckt möglicherweise gerade diese Devise einen nicht kleinen Teil der Wählerschaft – in erster Linie die Mittelschicht – ab, Putin zu wählen.
„Die neue Generation versteht nicht, wozu sie Putin und seinen stabilen Staat benötigen“, bemerkt der Direktor des Zentrums zur Erforschung der postindustriellen Gesellschaft Wladislaw Inosemzew. „Diese Menschen haben sich sehr schnell entwickelt. Sie können sich nicht mehr an die schweren Zeiten erinnern, und Putins ständige Appelle, wie schlecht es doch in den Neunzigerjahren gewesen sei, berühren sie nicht“. Nach Meinung des Experten „interessiert das gebildete Russland sich für Politik, aber Putin verspricht diesen Menschen lediglich höhere Einkommen und aussichtsreiche Karrierechancen“. Bisher ist jedoch noch offen, wie groß eigentlich dieser Anteil der Wählerschaft ist und ob denn überhaupt die Mehrheit der Russen ihre Auffassungen teilt.
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